Hinrichtungen in der Laubenhütte
1893 gründete Moritz Simon in Ahlem bei Hannover eine Schule und Ausbildungsstätte für jüdische Gärtner und Handwerker, die einzige ihrer Art in Deutschland. Im Nationalsozialismus wurde Ahlem zum Deportations-Sammelplatz, später zum Kibbuz.
Ende des 19. Jahrhunderts, im Alter von 60 Jahren, verkaufte Moritz Simon sein Bankhaus in Hannover, damit er sich stärker seinen sozialen Aktivitäten widmen konnte. Dazu zählte unter anderem eine jüdische Gartenbauschule, die er 1893 in Ahlem, einem Dorf westlich von Hannover, gegründet hatte.
Der Historiker Hans-Dieter Schmid, Herausgeber des Bandes über die Gartenbauschule Ahlem, hat die Biografie Moritz Simons erforscht:
"Herr Simon war auch Hobbygärtner. Er war auch Mitglied im Provinzialgartenbauverein. In dieser Zeit hat er auch mal seine Vorstandskollegen zu sich in seine Villa eingeladen, wo er offensichtlich auch einen wunderschön angelegten Garten hatte mit einer künstlichen Ruine, die gibt's noch in Hannover."
Während eines längeren USA-Aufenthalts hatte Moritz Simon das Elend jüdischer Immigranten aus Osteuropa gesehen. Danach war er überzeugt, der beste Schutz vor Armut sei eine solide handwerkliche oder landwirtschaftliche Ausbildung und errichtete die Gartenbauschule für zunächst 60 Schüler.
"Da sind auch Handwerker ausgebildet worden, Schlosser, Schneider, Schuster, einige Dutzend. Es ist relativ einmalig für die deutsche Judenheit, dass es so eine Schule mit diesem Zuschnitt gab. Es ist die einzige jüdische Gartenbauschule, die es wahrscheinlich auch in Mitteleuropa gegeben hat."
Das "Modell Ahlem" war über Deutschland hinaus bekannt, nicht zuletzt weil internationale Organisationen, wie die Alliance Israelite Universelle und die Jewish Colonization Association, die Gartenbauschule unterstützten.
"Durch die Förderung internationaler jüdischer Organisationen musste sie sich nach außen öffnen. Von Anfang an waren in Ahlem nicht nur Lehrlinge und Schüler aus ganz Deutschland, sondern, wenn man so will, aus ganz Europa, vor allem aus Osteuropa."
Die Lehrlinge erhielten einen dreijährigen theoretischen und praktischen Unterricht in Obst-, Gemüse und Gartenbau, Landwirtschaft und Blumenkultur. Außerdem wurden in Ahlem auch Schulkinder aufgenommen.
Die Historikerin Marlis Buchholz von der Gedenkstätte Ahlem:
"Es war dort in Ahlem auch eine Volksschule, wo eben jüdische, am Anfang hauptsächlich Waisenkinder unterrichtet wurden. Und der Volksschule angeschlossen ein Internat, sodass die kleinen Jungen und Mädels auch direkt auf dem Gelände wohnten, verpflegt wurden, ihre Freizeit verbracht haben, wie eben dann auch die älteren Lehrlinge."
Die Gartenbauschule Ahlem war außerordentlich erfolgreich. Viele Absolventen emigrierten nach Palästina, wo sie später die Landschaftsarchitektur Israels maßgeblich beeinflussten. Dank des guten Rufs waren Gärtner aus Ahlem auch im europäischen Ausland sowie in Nord- und Südamerika tätig.
In Deutschland hingegen endete das "Modell Ahlem" 1933. Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten richteten die Lehrer zunächst noch Sonderkurse ein, um die Teilnehmer auf die Emigration vorzubereiten, bis der Unterricht ganz eingestellt, die Schule geräumt und Ahlem in den Dienst des Terrorsystems gestellt wurde. Hans-Dieter Schmid:
"Die Gartenbauschule war erstens das Sammellager für die Deportation der Juden aus dem Bereich der Gestapo-Leitstelle Hannover. Zweitens hat es als Judenhaus gedient, das heißt, das gesamte Gelände hat als Wohn- und Arbeitsstätte für zwangseingewiesene Juden gedient."
Nach einem alliierten Luftangriff auf Hannover zog ein Teil der Gestapo nach Ahlem um. Im Schulhaus richtete man ein Gefängnis ein, in dem unter anderem Kurt Schumacher, der spätere Vorsitzende der SPD, eingesperrt war. Schließlich führte die Gestapo in Ahlem auch Hinrichtungen durch. Hans-Dieter Schmid:
"Schrecklicherweise in der ehemaligen Laubhütte der Gartenbauschule, in der ein Galgen eingebaut worden ist. Es sind etwa 60 bis 70 Personen auf diese Weise hingerichtet worden."
1945 fanden nach der Befreiung sogenannte Displaced Persons in Ahlem vorübergehend Unterkunft, darunter auch Häftlinge aus dem nahen Konzentrationslager Bergen-Belsen. Einige Dutzend gründeten auf dem Gelände einen Kibbuz, arbeiteten im Gartenbau und lernten Hebräisch, weil sie beim Aufbau eines jüdischen Staates mitwirken wollten. Sie waren die letzten jüdischen Schüler der Gartenbauschule. Hans-Dieter Schmid:
"Das nannte sich Kibbuz "Zur Befreiung" und hat etwa zwei Jahre lang existiert, dann sind die Letzten nach Palästina ausgewandert."
Heute befindet sich eine Schule auf dem Gelände sowie in einem ehemaligen Schulhaus eine Gedenkstätte. Sie dokumentiert die Geschichte der Gartenbauschule und der jüdischen Einwohner Hannovers.
Zum Thema:
"Ahlem. Die Geschichte einer jüdischen Gartenbauschule" von Hans-Dieter Schmid (Hrg.)
Verlag Edition Temmen, Bremen
402 Seiten, 24,90 Euro
Der Historiker Hans-Dieter Schmid, Herausgeber des Bandes über die Gartenbauschule Ahlem, hat die Biografie Moritz Simons erforscht:
"Herr Simon war auch Hobbygärtner. Er war auch Mitglied im Provinzialgartenbauverein. In dieser Zeit hat er auch mal seine Vorstandskollegen zu sich in seine Villa eingeladen, wo er offensichtlich auch einen wunderschön angelegten Garten hatte mit einer künstlichen Ruine, die gibt's noch in Hannover."
Während eines längeren USA-Aufenthalts hatte Moritz Simon das Elend jüdischer Immigranten aus Osteuropa gesehen. Danach war er überzeugt, der beste Schutz vor Armut sei eine solide handwerkliche oder landwirtschaftliche Ausbildung und errichtete die Gartenbauschule für zunächst 60 Schüler.
"Da sind auch Handwerker ausgebildet worden, Schlosser, Schneider, Schuster, einige Dutzend. Es ist relativ einmalig für die deutsche Judenheit, dass es so eine Schule mit diesem Zuschnitt gab. Es ist die einzige jüdische Gartenbauschule, die es wahrscheinlich auch in Mitteleuropa gegeben hat."
Das "Modell Ahlem" war über Deutschland hinaus bekannt, nicht zuletzt weil internationale Organisationen, wie die Alliance Israelite Universelle und die Jewish Colonization Association, die Gartenbauschule unterstützten.
"Durch die Förderung internationaler jüdischer Organisationen musste sie sich nach außen öffnen. Von Anfang an waren in Ahlem nicht nur Lehrlinge und Schüler aus ganz Deutschland, sondern, wenn man so will, aus ganz Europa, vor allem aus Osteuropa."
Die Lehrlinge erhielten einen dreijährigen theoretischen und praktischen Unterricht in Obst-, Gemüse und Gartenbau, Landwirtschaft und Blumenkultur. Außerdem wurden in Ahlem auch Schulkinder aufgenommen.
Die Historikerin Marlis Buchholz von der Gedenkstätte Ahlem:
"Es war dort in Ahlem auch eine Volksschule, wo eben jüdische, am Anfang hauptsächlich Waisenkinder unterrichtet wurden. Und der Volksschule angeschlossen ein Internat, sodass die kleinen Jungen und Mädels auch direkt auf dem Gelände wohnten, verpflegt wurden, ihre Freizeit verbracht haben, wie eben dann auch die älteren Lehrlinge."
Die Gartenbauschule Ahlem war außerordentlich erfolgreich. Viele Absolventen emigrierten nach Palästina, wo sie später die Landschaftsarchitektur Israels maßgeblich beeinflussten. Dank des guten Rufs waren Gärtner aus Ahlem auch im europäischen Ausland sowie in Nord- und Südamerika tätig.
In Deutschland hingegen endete das "Modell Ahlem" 1933. Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten richteten die Lehrer zunächst noch Sonderkurse ein, um die Teilnehmer auf die Emigration vorzubereiten, bis der Unterricht ganz eingestellt, die Schule geräumt und Ahlem in den Dienst des Terrorsystems gestellt wurde. Hans-Dieter Schmid:
"Die Gartenbauschule war erstens das Sammellager für die Deportation der Juden aus dem Bereich der Gestapo-Leitstelle Hannover. Zweitens hat es als Judenhaus gedient, das heißt, das gesamte Gelände hat als Wohn- und Arbeitsstätte für zwangseingewiesene Juden gedient."
Nach einem alliierten Luftangriff auf Hannover zog ein Teil der Gestapo nach Ahlem um. Im Schulhaus richtete man ein Gefängnis ein, in dem unter anderem Kurt Schumacher, der spätere Vorsitzende der SPD, eingesperrt war. Schließlich führte die Gestapo in Ahlem auch Hinrichtungen durch. Hans-Dieter Schmid:
"Schrecklicherweise in der ehemaligen Laubhütte der Gartenbauschule, in der ein Galgen eingebaut worden ist. Es sind etwa 60 bis 70 Personen auf diese Weise hingerichtet worden."
1945 fanden nach der Befreiung sogenannte Displaced Persons in Ahlem vorübergehend Unterkunft, darunter auch Häftlinge aus dem nahen Konzentrationslager Bergen-Belsen. Einige Dutzend gründeten auf dem Gelände einen Kibbuz, arbeiteten im Gartenbau und lernten Hebräisch, weil sie beim Aufbau eines jüdischen Staates mitwirken wollten. Sie waren die letzten jüdischen Schüler der Gartenbauschule. Hans-Dieter Schmid:
"Das nannte sich Kibbuz "Zur Befreiung" und hat etwa zwei Jahre lang existiert, dann sind die Letzten nach Palästina ausgewandert."
Heute befindet sich eine Schule auf dem Gelände sowie in einem ehemaligen Schulhaus eine Gedenkstätte. Sie dokumentiert die Geschichte der Gartenbauschule und der jüdischen Einwohner Hannovers.
Zum Thema:
"Ahlem. Die Geschichte einer jüdischen Gartenbauschule" von Hans-Dieter Schmid (Hrg.)
Verlag Edition Temmen, Bremen
402 Seiten, 24,90 Euro