Hinter den Kulissen der Bonner Republik
Die ehemalige Bonner "Spiegel"-Korrespondentin Ursula Kosser nimmt in "Hammelsprünge" die politische Kultur der alten Bonner Republik unter die Lupe. Sie schreibt über die Gier nach Sex und Macht in einer Männerwelt und plädiert für mehr Frauen in der Politik.
Wie war das einst mit der Macht am Rhein? Minister und Parteigrößen, Gewerkschaftsbosse und Korrespondenten – vom Kanzleramt bis nach Bad Godesberg, vom Venusberg bis zur Bundespressekonferenz befand sich in Bonn alles nahezu fest in männlicher Hand. Nur gut zehn Prozent der Journalisten im "Bundesdorf" der 1980/90er Jahre waren weiblich. Auch im Bundestag hatten nur elf Prozent Frauen einen Sitz.
Als Ursula Kosser damals, zunächst fürs private Fernsehen, dann für den "Spiegel" antrat, glaubte sie, mit Können und Fleiß ihren exotischen Stand in der "Stammesgesellschaft" der Männer wettmachen zu können. Weit gefehlt. Man tat damals alles, um den "jungen Hennen das Gefieder zu stutzen." Gelächter über das Plädoyer einer Grünen-Politikerin gegen Belästigungen jedweder Art gehörte noch zu den harmloseren Reaktionen. Nur besonders Schlagfertige leisteten sich ein Widerwort wie die Kollegin, der ein Politiker so lange aufs Dekolleté starrte, bis sie ihn darauf aufmerksam machte: "Die reden übrigens nicht."
Rhetorische und sexuelle Übergriffe fanden tagtäglich statt: der Regierungssprecher, der Frauen auf Dienstreisen bis in den Hotelaufzug nachstellte, die Minister, für die jedes weibliche Wesen ein "Schätzchen" war, der Büroboss des "Stern", der jede "Neue" im Porsche zu einer billigen Absteige fuhr, um sie dort auf ihre "Nachttauglichkeit" zu prüfen.
Warum damit keine Frau an die Öffentlichkeit oder vor Gericht ging? Abgesehen davon, dass keine Politikerin oder Journalistin, wie ein damaliger Anwalt sagte, in Bonn je mehr ein Bein auf die Erde bekommen hätte, wäre ein solcher Schritt auf die Frauen selbst zurückgefallen: Außerdem gab es erst dank des überfraktionellen Bündnisses zwischen Frauen 1994 ein Gesetz, das sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz unter Strafe stellte.
Wer Skandalgeschichten unter den "Hammelsprüngen" erwartet, ist falsch gewickelt. Zumindest nicht solche, die Ross und Reiter beim Namen nennen, denn nicht wenige der Akteure von damals sind heute noch im Amt, was Kossers Informant/inn/en zur Anonymität veranlasst. Es muss ja nicht der marktübliche Voyeurismus à la "Bunte" bedient werden, aber ob ein äußerlich glattgebügelter Politiker hinter verschlossenen Türen mit doppelter Zunge sprach, das wüsste man doch gern, bevor man ihm bei der nächsten Wahl sein Kreuz gibt.
Besonders wenn man liest, wie viele der Ex-Bonner-Kämpen sich nach der "guten alten Zeit" zurücksehnen, weil damals das Privatleben eines Politikers nicht "nach draußen gezerrt" wurde, Beispiel Seehofer-Affäre, dann ist man froh, in der Berliner Republik zu leben, wo Skandale, egal unter welchem Hoheitszeichen, als solche benannt werden, egal ob sie von Gier nach Sex oder Macht oder beidem angestiftet wurden.
Auch wenn sich in Berlin laut Ursula Kosser vieles geändert hat - ihr Buch ist mehr als eine hübsch zu lesende Erinnerung an eine vergangene Epoche. Die Autorin, die einst die Frauenquote für einen Makel hielt, "der unsere persönlichen Verdienste schmälere", weiß es heute besser. So sind die "Hammelsprünge" auch ein Plädoyer dafür, dass mehr Frauen nach der Macht greifen, in jeder Art von politischer Öffentlichkeit.
Besprochen von Edelgard Abenstein
Ursula Kosser: Hammelsprünge, Sex und Macht in der deutschen Politik
Dumont Verlag, Köln 2012
256 Seiten, 18,99 EUR
Links bei dradio.de:
"Wir Frauen haben uns ein bisschen mehr unten gefühlt"
Ursula Kosser: "Hammelsprünge. Sex und Macht in der deutschen Politik"
Als Ursula Kosser damals, zunächst fürs private Fernsehen, dann für den "Spiegel" antrat, glaubte sie, mit Können und Fleiß ihren exotischen Stand in der "Stammesgesellschaft" der Männer wettmachen zu können. Weit gefehlt. Man tat damals alles, um den "jungen Hennen das Gefieder zu stutzen." Gelächter über das Plädoyer einer Grünen-Politikerin gegen Belästigungen jedweder Art gehörte noch zu den harmloseren Reaktionen. Nur besonders Schlagfertige leisteten sich ein Widerwort wie die Kollegin, der ein Politiker so lange aufs Dekolleté starrte, bis sie ihn darauf aufmerksam machte: "Die reden übrigens nicht."
Rhetorische und sexuelle Übergriffe fanden tagtäglich statt: der Regierungssprecher, der Frauen auf Dienstreisen bis in den Hotelaufzug nachstellte, die Minister, für die jedes weibliche Wesen ein "Schätzchen" war, der Büroboss des "Stern", der jede "Neue" im Porsche zu einer billigen Absteige fuhr, um sie dort auf ihre "Nachttauglichkeit" zu prüfen.
Warum damit keine Frau an die Öffentlichkeit oder vor Gericht ging? Abgesehen davon, dass keine Politikerin oder Journalistin, wie ein damaliger Anwalt sagte, in Bonn je mehr ein Bein auf die Erde bekommen hätte, wäre ein solcher Schritt auf die Frauen selbst zurückgefallen: Außerdem gab es erst dank des überfraktionellen Bündnisses zwischen Frauen 1994 ein Gesetz, das sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz unter Strafe stellte.
Wer Skandalgeschichten unter den "Hammelsprüngen" erwartet, ist falsch gewickelt. Zumindest nicht solche, die Ross und Reiter beim Namen nennen, denn nicht wenige der Akteure von damals sind heute noch im Amt, was Kossers Informant/inn/en zur Anonymität veranlasst. Es muss ja nicht der marktübliche Voyeurismus à la "Bunte" bedient werden, aber ob ein äußerlich glattgebügelter Politiker hinter verschlossenen Türen mit doppelter Zunge sprach, das wüsste man doch gern, bevor man ihm bei der nächsten Wahl sein Kreuz gibt.
Besonders wenn man liest, wie viele der Ex-Bonner-Kämpen sich nach der "guten alten Zeit" zurücksehnen, weil damals das Privatleben eines Politikers nicht "nach draußen gezerrt" wurde, Beispiel Seehofer-Affäre, dann ist man froh, in der Berliner Republik zu leben, wo Skandale, egal unter welchem Hoheitszeichen, als solche benannt werden, egal ob sie von Gier nach Sex oder Macht oder beidem angestiftet wurden.
Auch wenn sich in Berlin laut Ursula Kosser vieles geändert hat - ihr Buch ist mehr als eine hübsch zu lesende Erinnerung an eine vergangene Epoche. Die Autorin, die einst die Frauenquote für einen Makel hielt, "der unsere persönlichen Verdienste schmälere", weiß es heute besser. So sind die "Hammelsprünge" auch ein Plädoyer dafür, dass mehr Frauen nach der Macht greifen, in jeder Art von politischer Öffentlichkeit.
Besprochen von Edelgard Abenstein
Ursula Kosser: Hammelsprünge, Sex und Macht in der deutschen Politik
Dumont Verlag, Köln 2012
256 Seiten, 18,99 EUR
Links bei dradio.de:
"Wir Frauen haben uns ein bisschen mehr unten gefühlt"
Ursula Kosser: "Hammelsprünge. Sex und Macht in der deutschen Politik"