Programmhinweis: Die Zeitreisen-Sendung "Phönizier, Osmanen, Araber - Die schwierige Geschichte des Libanon“ läuft heute Abend ab 19:30 Uhr im Deutschlandradio Kultur.
Auf der Suche nach einer gemeinsamen Identität
Im Libanon wächst die Angst, dass der Krieg aus dem Nachbarland Syrien überschwappt. Eigentlich sollten die Einwohner des Landes der Gefahr geschlossen begegnen. Doch die sind historisch gespalten. Unsere Autorin Tabea Grzeszyk war zwei Monate um Land unterwegs und hat sich auf die Suche nach einer gemeinsamen Identität der Libanesen gemacht.
Es ist ein seltener Luxus für Journalisten, ohne Auftrag in ein Land zu reisen und dieses einfach kennen zu lernen. Tabea Grzeszyk konnte das so richtig genießen, denn das Deutsch-Nahost-Stipendium des Vereins Internationale Journalistenprogramme (IJP) gab ihr die Möglichkeit, den Libanon zunächst einfach nur zu erleben. Den ersten Monat sei sie daher auch viel unterwegs gewesen und habe versucht, das Land zu verstehen, erzählt Grzeszyk.
Schnell wurde ihr klar, dass sie etwas über die Geschichte des Libanon machen wollte und die aktuelle Situation mit den Flüchtlingen aus Syrien. Am Ende ist ein Beitrag über die zerstückelte Identität der Libanesen daraus geworden. Denn historisch gewachsen sehen viele sich nicht einfach als Einwohner des Libanon sondern als Phönizier, Osmanen oder Araber.
Deutschlandradio Kultur: Der Startschuss zu der Recherche fiel nach einem Kinobesuch. Was genau ist da passiert?
Tabea Grzeszyk: Ich habe an der American University of Beirut den Film "Sleepless Night“ über den libanesischen Bürgerkrieg von 1975 bis 1990 angeschaut. Der wurde im Libanon nie richtig aufgearbeitet, steht in keinem Schulbuch. Die Mörder von damals sitzen sogar teilweise im Parlament. Nur ein Mann hat sich öffentlich entschuldigt, er war ein ranghoher Offizier in der christlichen Miliz. Er hat gesagt: "Ihr dürft mich hassen, aber ich will verhindern, dass so etwas noch einmal passiert." Er sieht Parallelen zwischen der aktuellen Situation mit Syrien und der damaligen und er fürchtet, dass der Krieg in den Libanon überschwappt. Denn der Hass auf Moslems sei jetzt größer als damals.
Deutschlandradio Kultur: Wie ist daraus die Geschichte der Zeitreisen entstanden?
Tabea Grzeszyk: Im Libanon kann man nicht einfach sagen: "Wir sind Libanesen, wir wollen keinen Krieg und stellen uns zusammen“ – Das ist nicht gegeben. Jede Bevölkerungsgruppe hat ihre eigenen Herkunftsmythen, die Phönizier, Araber, Schiiten, Sunniten. Ich habe versucht, das darzustellen. In der aktuellen Situation ist das wichtiger denn je, weil davon Krieg und Frieden abhängen.
Deutschlandradio Kultur: Wie kann das konkret funktionieren?
Tabea Grzeszyk: Ich habe versucht, die Entwicklungsgeschichte der einzelnen Gruppierungen zu erzählen und die Konflikte zwischen ihnen aufzuzeigen. Der Aufstieg der Schiiten im Libanon beispielsweise ist eine riesige Erfolgsgeschichte – aber er wurde finanziert durch den Iran, nicht durch den Libanon. Jetzt wird der Frieden im Libanon bedroht durch den Konflikt in Syrien.
Der Knackpunkt ist, dass alle diese Gruppierungen Verbindungen nach außen haben, die oft stärker sind als das, was Libanesen untereinander verbindet.
Deutschlandradio Kultur: Wie kann man sich eine Recherche im Libanon vorstellen? Wer ist da Ansprechpartner?
Tabea Grzeszyk: Ich habe mich zunächst mit der Filmemacherin des eingangs erwähnten Films unterhalten, ich habe einen gewandelten Friedensaktivisten getroffen. Auch das Orient-Institut war eine große Hilfe. Besonders interessant war ein Ausflug in einer Art "Freilichtmuseum“, ein Propaganda-Park der Hisbollah. Die sind ist sehr aktiv im Libanon und versuchen, über den Bürgerkrieg eine Art identitätsstiftenden Mythos für die Schiiten aufrechtzuerhalten. Überall im Libanon, vor allem in Beirut, hängen viele Plakate, die pro Hisbollah sind. Aber auch diese Legende beginnt langsam zu kippen.
Deutschlandradio Kultur: Was ist so reizvoll an dieser Geschichte?
Tabea Grzeszyk: Mich interessieren diese Bruchstücke, es gibt viele kleine Geschichten, denen man nachspüren kann und anhand derer man sieht, wie die libanesische Identität sich ausdrückt. Seit Jahren wird versucht, diese zu finden. Und jetzt hat sie sich durch den Syrien-Konflikt wieder verändert.
Deutschlandradio Kultur: Wie kann man sich den Arbeitsalltag im Libanon vorstellen? Ist die Angst vor Krieg sehr präsent?
Tabea Grzeszyk: Beirut ist eine sehr offene Stadt. Aber das war eine sehr ambivalente Erfahrung. Als ich dort war, gab es zwei Anschläge. Die libanesischen Kollegen sind immer in Aktion, immer bereit, aufzuspringen, weil etwas passiert. Es ist eine ganz komische Situation: Beirut ist nämlich auch eine richtige Partystadt, man kann dort toll ausgehen, es gibt eine reiche Kultur, es fühlt sich fast an wie Berlin. Gleichzeitig ist da immer diese Angst, dass der Krieg überschwappt. Das zu verstehen und auszuhalten, weder in Panik zu verfallen, noch das zu unterschätzen – das war eine interessante Erfahrung.