"Hinterlassenschaften der Party der letzten 30 Jahre aufräumen"

Daniel Stelter im Gespräch mit André Hatting |
Einen europaweiten Schuldenschnitt in Kombination mit einer Vermögensabgabe fordert Daniel Stelter von der Boston Consulting Group. Die Gläubiger müssten auf etwas verzichten, und auch die Schuldner sollten einen Beitrag leisten.
André Hatting: Und schon wieder Milliarden für ein darbendes Euro-Land: Zypern bekommt eine Finanzspritze aus dem ESM-Rettungsfonds. Ob es auch auf die Beine kommt? Abwarten. Im Bundestag haben zumindest alle Fraktionen außer der Linken mehrheitlich für die Zypern-Hilfe gestimmt, aber viele mit Bauchschmerzen. Bei jeder neuen Krise immer neues Geld, das kann es nicht sein und muss auch anders gehen. Bündnis 90/Die Grünen zum Beispiel haben da eine Idee: die Vermögensabgabe.

Und wenn Sie jetzt denken, ja, ja, Vermögensabgabe, alter Hut der linken Politik in Deutschland, dann dürfte es Sie überraschen, dass auch eine der größten Unternehmensberatungen der Welt diese Idee im Prinzip richtig findet, und zwar die Boston Consulting Group. Dort arbeitet Daniel Stelter, guten Morgen, Herr Stelter.

Daniel Stelter: Guten Morgen, Herr Hatting.

Hatting: Sie haben sogar ein detailliertes Konzept zur Vermögensabgabe erstellt. Wie sieht das aus?

Stelter: Ja, die Frage ist ja, wie gehen wir mit den Schulden um. Und alle Ansätze, die versucht werden, gehen nicht, Sie können aus den Schulden nicht heraussparen, das wird nicht funktionieren, Sie stürzen die Wirtschaft immer tiefer in die Krise und die Schuldner haben letztlich noch mehr Schulden, als sie vorher hatten. Das kann man in Griechenland gut beobachten, aber auch in Portugal und Irland. Sie können versuchen, es über Inflation zu lösen, das wird sicherlich auch hier und da angestrebt, nur in so einem Umfeld ist es extrem schwer, Inflation zu generieren, und wenn sie kommt, dann wäre es in hohem Maße unsozial.

Und dann kommt dann die Frage, gut, wenn es diese zwei Möglichkeiten nicht gibt, Rauswachsen klappt auch nicht, wäre es nicht vernünftiger, das Ganze in einer Schuldenrestrukturierung zu bereinigen? Und dann muss irgendjemand dafür bezahlen und dann ist es in der Tat so, dass es naheliegend ist, diejenigen, die Vermögenswerte besitzen, die letztlich auch faktisch der Illusion unterliegen, dass die noch völlig belegt und zurückgezahlt werden, diejenigen entsprechend durch eine Steuer zu belegen und an diesen Kosten zu beteiligen und auf diese Art und Weise sozusagen die Party aufzuräumen, die Hinterlassenschaften der paar letzten 30 Jahre aufzuräumen.

Hatting: Eine Steuer. Das wäre etwas Regelmäßiges und nicht, wie jetzt zum Beispiel die Grünen fordern, eine einmalige Angelegenheit?

Stelter: Ja, die Frage ist, wie Sie das konkret ausgestalten. Erstens müssen Sie mal sagen, jawohl, es gibt keine andere Möglichkeit, als eine Schuldenschnitt durchzuführen, der muss bezahlt werden, so. Dann muss man diesen Schuldenschnitt über die Steuern bezahlen, dann können Sie sagen, da gestalte ich die Steuer aus. Ich meine, rein rechtlich ist es ja auch so, na ja, es ist besser, das über die Zeit zu strecken, als es mit einem einmaligen Schritt zu tun. Ich meine, wir werden es sicherlich sehen, in Zypern, da kann man es, wenn Sie es Geldvermögen machen, kann man es auf einen Schlag machen; wenn Sie alle Vermögenswerte einbeziehen, was Sie auch machen sollten, wie Immobilien und anderes, dann können Sie nicht erwarten, dass Leute, die Immobilien besitzen, jetzt verkaufen, um Geld zu mobilisieren.

Insofern ist sicherlich eine Kombination aus Vermögensabgabe, Vermögenssteuer oder erhöhter Erbschaftssteuer das Richtige. Wobei ich dazusagen muss, man müsste dann eigentlich auch fairnesshalber, um die Wirtschaft zu stärken, perspektivisch andere Steuern auch senken, um zukünftig das Wachstum zu fördern. Insofern, die Grünen sagen: Sehr schön, Vermögensabgabe, sie wollen ja gleichzeitig auch die Einkommensteuer und anderes erhöhen, wo ich ein Fragezeichen dran machen würde, aber ich glaube, wir sollten dann einen Anreiz geben, gerade bei den Leuten, die Vermögen verloren haben, durch Arbeit es wiederherzustellen.

Hatting: Ja, die Grünen sind sich auch nicht einig, ob nur Privatpersonen oder auch Unternehmen zahlen sollen. Wofür sind Sie?

Stelter: Das ist auf den ersten Blick natürlich ganz klar, man kann sagen, Unternehmen sollte man nicht rein mitnehmen, weil Unternehmen logischerweise eher investieren sollten und wir dann in eine Zwangsbesteuerung hineinkommen. Das Problem an der ganzen Sache ist natürlich, wie verhindern wir eine Umgehung und wie stellt man sicher, dass alle Leute gleichmäßig beteiligt sind? Weil, viele Leute haben dann eher, oder die Reicheren haben dann vielleicht die Möglichkeit, das eher zu umgehen als andere. Vor dem Hintergrund spricht einiges dafür zu sagen: Wir müssen alle heranziehen. Bei Unternehmen ist, glaube ich, eher das Grundproblem, wenn Sie gerade auch die großen Firmen anschauen, dass diese zu wenig investieren. Also, ich würde dann eher darüber nachdenken, Anreize zu schaffen, dass die Firmen die Gewinne zu mehr Investitionen nutzen und weniger zur Gewinnausschüttung oder Aktienrückkäufen.

"Lastenausgleich oder Inflationierung"
Hatting: Ist so ein bisschen hier das Vorbild der Lastenausgleich? Nach dem Zweiten Weltkrieg in Deutschland, da mussten ja ab 1952 Reiche die Hälfte ihrer Vermögenswerte abgeben, über einen Zeitraum von 30 Jahren. Machte also ungefähr 1,67 Prozent jährlich. Wäre das so das Modell?

Stelter: Das wäre das Modell. Wobei man dazusagen muss, wenn wir mit unseren Kunden sprechen, mit Managern sprechen, sobald sie verstanden haben, wie groß die Schuldenproblematik ist in Europa, dann finden Sie auch eine große Bereitschaft, in diese Richtung zu denken. Wenn Sie umgekehrt in andere Länder gehen, ich erinnere mich gerade an ein Gespräch, was ich kürzlich hatte mit einem sehr ranghohen Manager in Italien, da gibt es dieses Verständnis nicht, da ist die Tradition eher gegeben, dieses Problem über Inflation zu lösen. Und das ist ja auch die Spannung, die wir innerhalb Europas haben, dass sicherlich Länder mit einer Inflationstradition lieber sagen, lass uns inflationieren, während Länder mit einer Lastenausgleichtradition wie Deutschland eher wahrscheinlich dazu neigen würden, es über eine Steuerlösung zu bereinigen.

Hatting: Sollte man das europaweit machen oder nur in den wirtschaftlich stärksten Ländern?

Stelter: Das muss man sicherlich europaweit. Also, es wäre sicherlich ungerecht zu sagen, wir machen es in den wirtschaftlich starken Ländern, weil Sie haben in allen Ländern, gibt es natürlich noch Privatvermögen. Privatvermögen ist nicht gleich verteilt, insofern muss so was europaweit gemacht werden. Weil sonst wäre es sicherlich auch nicht fair. Die Belastung ist natürlich dann schon stärker bei den reicheren Ländern als bei den ärmeren Ländern, das ist aber auch ganz banal deshalb so, weil, die reicheren Länder sind die Gläubiger. Und was wir zurzeit in der Euro-Zone haben, ist ein ganz klassischer Konflikt, den es schon seit Jahrtausenden gibt, zwischen Gläubiger und Schuldner. Und wenn die Schulden zu hoch sind, dann setzt man sich am besten an den Tisch und bereinigt sie gemeinsam, wobei der Gläubiger auf etwas verzichtet und der Schuldner natürlich auch einen Beitrag leisten muss.

Hatting: Wer kontrolliert eigentlich am Ende dann die angemessene Verwendung dieser Vermögensabgabe oder diese über Jahre verteilte Steuer? Wenn wir uns Griechenland anschauen, da ist es ja zum Beispiel so, dass viele Gelder auch aus dem ESM gar nicht richtig ankommen, weil sie in der Bürokratie versickern. Wer soll das kontrollieren?

Stelter: Das ist ein richtiges Problem. Insofern muss man, glaube ich, sicherstellen, dass man in einem ersten Schritt den Schuldenüberhang poolt, am besten, also dass man hingeht und sagt auf der Euro-Zonen-Ebene, wir poolen alle ein, den Überhang der Schulden von Staaten, aber auch vom Privatsektor.

Hatting: Also, wir fassen ihn zusammen?

Stelter: Wir fassen ihn zusammen. Da könnte man sich sogar überlegen, wenn man das über Zeit strecken möchte, diesen zusammengefassten Pool auch durch Euro-Bonds zu refinanzieren, also nicht Euro-Bonds für alle, sondern Euro-Bonds sozusagen für die Altlast, und damit auch einen Zinsgewinn, sozusagen eine Zinsreduktion zu haben, Zinskosten zu reduzieren, und dann die Länder eben verpflichten, in diesen Fonds einen bestimmten Betrag pro Jahr einzuzahlen, um ihn über einen bestimmten Zeitraum auf Null runter zu bekommen. Das wäre so ein geordneter Weg.

Und dann können Sie es den Ländern letztlich überlassen, wie sie die Finanzierung dieses Beitrages bewerkstelligen, ob über normale Steuern, über Vermögensabgabe und anderes. Aber das Entscheidende ist eben, dass Gläubiger und Schuldner sozusagen das zusammen machen müssen und dass es sicherlich einen Transfer geben muss von den Gläubigern und den Schuldnern. Doch statt in die Richtung zu gehen als Transferunion und für alle Zukunft einen Blankoscheck zu schreiben, wäre es zu bevorzugen zu sagen: Jawohl, wir haben diese historischen Fehler gemacht, wir haben diese Schulden aufgebaut, lass sie uns gemeinsam geordnet abbauen und gleichzeitig auch für die Zukunft sicherstellen, dass wir den Fehler nicht wiederholen.

Hatting: Ist das in Deutschland mit der gegenwärtigen Regierung politisch durchsetzbar oder braucht es dafür Rot-Grün nach der Bundestagswahl?

Stelter: Meine Einschätzung ist folgende: Die Vorgehensweise in Zypern, auch wenn sie vielleicht vom Prozess her etwas unglücklich war, ist für mich ein klares Zeichen, dass in die Richtung Schuldrestrukturierung und auch Solidarität innerhalb Europas weiter gegangen wird. Und damit ist es für mich eigentlich nur eine Frage der Zeit und nicht so sehr eine Frage der sozusagen politisch gerade an der Macht Seienden, dass wir in diese Richtung gehen werden.

Hatting: Daniel Stelter von der Unternehmensberatung Boston Consulting Group, ich danke Ihnen für das Gespräch, Herr Stelter.

Stelter: Vielen Dank!

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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