Die Gründung der USA als Battle-Rap
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In "Hamilton" wird das Leben des gleichnamigen Gründungsvaters der USA als Musical erzählt. Die Darsteller sind Latinos oder Schwarze, die Musik ist Hip-Hop - für Musical Director Alex Lacamoire eine guter Zugang zur US-Geschichte.
Als "Hamilton" 2015 in New York Premiere hatte, wurde es schnell zu einem der meist diskutierten und gefeierten Musicals. Es gewann elf "Tonys", einen Grammy und den Pulitzerpreis.
Während seiner Präsidentschaft lud Barack Obama "Hamilton" für eine Privatvorstellung ins Weiße Haus ein. Auch nach Deutschland soll das Erfolgsmusical über den Gründervater Alexander Hamilton im Herbst 2021 kommen. Pünktlich zum Unabhängigkeitstag in den USA gibt es nun eine Filmversion von "Hamilton" beim Streamingdienst Disney+, ein Mitschnitt von drei Aufführungen aus dem Jahr 2016.
Geschichte über Immigration
Der größte Teil des Musicals ist gerappt. Hip-Hop und R&B bilden die musikalische Grundlage. Der kreative Kopf des Musicals, Lin-Manuel Miranda, Sohn puerto-ricanischer Eltern, hat fast alle Rollen mit Latinos und Schwarzen besetzt. Das Musical erzählt die Geschichte von Alexander Hamilton, einem der Gründerväter der USA, als erfolgreiche Geschichte der Immigration. Geboren wurde Hamilton als nichteheliches Kind in der Karibik.
Susanne Burg sprach mit Alex Lacamoire, dem Musical Director von "Hamilton". Er hat zunächst erzählt, warum das Musical aus seiner Sicht so viel Begeisterung auslöste.
Alex Lacamoire: Die Sprache des Musicals ist für das Publikum sehr zugänglich. Etwas, das vor 200, 300 Jahren passiert ist, wird so viel realer und auch drängender. Auf einmal kann man an die Figuren aus den Geschichtsbüchern anknüpfen, sie werden zu menschlichen Wesen.
Die Gründerväter waren ungefähr genauso alt wie ich heute. Es waren Menschen mit Ideen und Idealen; sie waren bereit, dafür ins Gefängnis zu gehen oder zu sterben. Sie kämpften für die Freiheit und eine andere Art zu leben.
Dann geht es auch um einen Immigranten, der sich eine Position in der Geschichte erarbeitet, der in der Regierung einen hohen Posten als Finanzminister bekommt. Hamilton war gebildet, er konnte gut mit Sprache umgehen und er hatte die Fähigkeit, Leute von seinen Ideen zu überzeugen. Es ist aufregend zu sehen, wie es ein Underdog schafft, sich zu behaupten. Daran können die Zuschauer auch anknüpfen.
Auf die Sprache konzentrieren
Susanne Burg: Das Musical ist musikalisch im Hip-Hop verankert, es gibt viele Zitate von Hip-Hop-Ikonen wie Eminem, DMX, Snoop Dogg, Rihanna, Drake, aber auch Zitate von den Beatles oder aus Musicals wie South Pacific. Sie waren zuständig für die Orchestrierung. Mit einer Musik wie Hip-Hop, die so sehr auf Beats basiert und so stark mit Sprache arbeitet, wie sind Sie an die Orchestrierung rangegangen?
Lacamoire: Mir war klar, dass ich mit der Musik nicht dem Rap und dem Gesang in die Quere kommen wollte. Ich fand es gut, dass wir uns auf den Beat und das Schlagzeug verlassen, um uns durch den Moment zu tragen. Die Band sollte sehr transparent sein.
Beim Hip-Hop ist die Musik unter dem Rap häufig sehr sparsam. Manchmal braucht man nur einen Bass und ein Schlagzeug. Beim Rap gibt es viel Aktivität, viel Bewegung, viel Inhalt. Meine Aufgabe war es sicherzustellen, dass die Orchestrierung nicht überfrachtet ist, sodass sich die Zuschauer wirklich auf die Sprache konzentrieren können.
Burg: Inwieweit gilt das auch für die Kabinettssitzungen, die in Form von Battle-Raps abgehalten werden? Im ersten Battle streitet sich Außenminister Thomas Jefferson mit Finanzminister Hamilton über dessen Finanzplan und dessen Vorschlag, eine Nationalbank zu gründen. Das sind zentrale Szenen, in denen es um die Grundfeste des Landes ging.
Lacamoire: Lin-Manuel Miranda hat mir eine Demoaufnahme gegeben, aus der sofort klar wurde, wie ein Song klingen sollte. Es hatte den Beat und einen Klavierpart. Dann war die Frage, wie wir das noch verstärken. Wir haben Schallplattenkratzer hinzugefügt, die Klaviermelodie durch ein Delay geschickt, sodass die Aufnahmen wie ein Nas-Song klangen, den Lin im Kopf hatte.
Häufig spielt der DJ bei Rap-Battles einen Loop, einen Beat, der sich wiederholt, sodass die Rapper freestylen können. Also galt auch da für mich: Es ging nicht darum, dass die Orchestrierung besonders clever ist oder viel Aufmerksamkeit auf sich zieht. Sie sollte unterstützen. Es ging um Einfachheit.
Themen, die noch heute bewegen
Burg: Alexander Hamilton war traditionell ein Held der Wall Street, er galt als der Mann, der eine Nationalbank gegründet hat, der den Kapitalismus gestärkt hat, anders als Jefferson agrarisch geprägtes Wirtschaftsideal. Im Musical zeigen die Rap-Battles, wie sehr die Sklaverei die Argumente für kleine Bundesstaaten und eine dezentrale Regierung stützt. Wie Hamilton auf der anderen Seite mit seiner Forderung nach einer starken Bundesregierung auch gegen die Sklaverei kämpfte. Wie hat sich das Verständnis von Hamilton im Laufe der Zeit verändert?
Lacamoire: Es ist interessant, dass uns viele Themen, die im 18. Jahrhundert für Spannung gesorgt haben, auch heute noch beschäftigen. Es geht um die Frage, welche Rolle soll die Bundesregierung in unserem täglichen Leben spielen, in den einzelnen Bundesstaaten. Wie sehr soll sich die Regierung international einmischen? Ich finde es interessant, dass sich in mancher Hinsicht sehr viel getan hat und in anderer Hinsicht gar nichts.
Burg: Das Musical ist auch im aktuellen Kontext der Black-Lives-Matter-Bewegung interessant, mit der es eine Partnerschaft geben soll. Was ist da die grobe Richtlinie?
Lacamoire: Ich habe gehört, wie die Darsteller über die Herausforderung sprachen, sich damit zu versöhnen, eine Figur wie Thomas Jefferson zu spielen, einen weißen Mann, der zu seinen Lebzeiten schwarze Menschen besessen hat. Daveed Diggs, der Jefferson darstellt, hatte da einen interessanten Gedanken. Er meinte, es kann beides wahr sein: Ja, Thomas Jefferson war ein sehr gebildeter Mann und konnte die Unabhängigkeitserklärung gut in Worte fassen. Trotzdem war er ein Sklavenhalter, der Menschenleben nicht so respektierte wie es seine Worte in der Unabhängigkeitserklärung eigentlich vorsahen.
Das sind Widersprüche, die existieren - auch innerhalb einer Person. Ich denke, wir befinden uns in einer Phase der Erweckung. Die Ereignisse der vergangenen Monate, die Ermordung von George Floyd, der Shutdown – all das hat dazu geführt, dass wir verstärkt über wichtige Themen wie Rassismus, Polizeigewalt und soziale Ungerechtigkeit nachdenken.
Wir müssen dringend Dinge verändern. Ich glaube, dass es im 18. und 19. Jahrhundert ähnlich war. Manches galt vielleicht als normal, als üblich, als akzeptabel – und irgendwann haben Menschen gesagt: Moment, hier läuft etwas falsch. Sie haben an einer Verschiebung der Wahrnehmung gearbeitet.
Wir haben noch einen langen Weg vor uns. Aber ich möchte in meinem Leben noch diese Verschiebung der Wahrnehmung sehen. Viele Menschen sind derzeit dabei, sich zu fragen: Was können wir tun, um diese Veränderung herbeizuführen?
Ich bin also gespannt, was aus der Partnerschaft wird. Ich denke, wir können eine Menge lernen - aus der aktuellen Situation, aber auch aus der Vergangenheit, in der Veränderung möglich war, auch wenn das nicht so schien.
Platz für verschiedene Perspektiven
Burg: Wo steht in diesem Zusammenhang – der Verschiebung der Wahrnehmung – Hamilton als Kunstwerk? Auf der einen Seite geht es im Musical darum, einen Immigranten in die Geschichte der Gründung Amerikas einzuschreiben. Es gibt Zeilen wie "Immigranten – wir erledigen die Arbeit". Auf der anderen Seite gibt es die Kritik, dass trotzdem weiße Geschichte erzählt wird. ‚Da könne man noch so viele Afro-Amerikaner und Latinos auf die Bühne stellen‘, sagt beispielsweise die Historikerin Lyra Monteiro. Wo sehen Sie Hamilton in diesem historischen Kontext?
Lacamoire: Die Menschen werden aus dem Musical mitnehmen, was sie wollen. Zuschauer interpretieren ein Kunstwerk auf ihre Art und Weise.
Unser Musical erzählt eine bestimmte Geschichte auf eine bestimmte Art. Ein Thema, das uns inspiriert hat, ist eben das des Immigranten. Haben wir in den zweieinhalb Stunden die gesamte amerikanische Geschichte in all ihren komplizierten Facetten dargestellt? Nein, natürlich nicht. Das ist unmöglich.
Ein anderer Komponist hätte andere Musik geschaffen und es wäre eine komplett andere Show geworden. Wenn man eine Geschichte erzählt, braucht man einen Rahmen, ein Thema, einen Erzählstrang. Wir haben eine Wahl getroffen, aber nie, weil wir eine bestimmte Person oder ethnische Gruppe runtermachen wollten.
Was Menschen jetzt über die Show sagen, darüber haben wir keine Kontrolle. Ich bin der Meinung, wenn Menschen eine bestimmte Kritik haben und eine andere Geschichte erzählen wollen: nur zu. Es gibt Platz für all die verschiedenen Perspektiven.