Hip-Hop

Nomade der Unterhaltungskultur

René El Khazraje alias MC Rene zelebriert das Leben im Zug. Auf dem Bild schaut er im Bademantel und Handtuch aus der Tür eines Regionalexpresses der Bahn.
René El Khazraje alias MC Rene zelebriert das Leben im Zug. © Oliver Rath
Von Laf Überland |
Mit den Angebern der Rap-Szene war MC Rene nicht mehr einverstanden. Nach einem kurzen Callcenter-Intermezzo sattelte er um auf Standup-Comedian. Seitdem wohnt er dank Bahncard 100 im Zug statt im Berliner Altbau.
Zum Hip-Hop gehört das Posen wie die Narrenkappe zum Karneval – ein bisschen Großtuerei, Ich bin der Größte, und manche ziehen sich auch protzig an. MC Rene, dieses Urgestein des deutschen Hip-Hop jedoch sieht aus wie der Bäckerssohn von nebenan: solide, freundlich, mediterrane Gesichtszüge und schwarzes Struwelhaar – meistens mit Stoppelbart. Und er lacht gern. Wie das Klischee des gefährlichen Rappers aus der Muckibude sieht er jedenfalls wirklich nicht aus, der MC Rene.
Jede Jugendkultur hat ihre eigenen Ausdrucksformen und bietet Orientierung. Der 13-jährige René El Khazraje, geboren in Braunschweig als Sohn einer Deutschen und eines Marokkaners, fühlte sich jedenfalls sofort verstanden, als die afro-deutschen Rap-Pioniere von Advanced Chemistry ein Stück namens "Fremder im eigenen Land" rausbrachten:
"Durchs Radio bin ich dazu gekommen. Ich habe zum ersten Mal einen Song gehört, wo jemand gesprochen hat in rhythmischer Form und Nicht gesungen hat. Das hat mein Weltbild komplett auf den Kopf gestellt, und ich war total fasziniert von dieser Art von Ausdrucksform."
Subkultur als Familienersatz
Und er entdeckte, dass das nicht nur eine neue Musikrichtung war, sondern eine komplette Subkultur:
"Da gab es Treffs – meistens war das in Jugendzentren, wo dann Breaker angekommen sind, Graffitisprüher und Rapper, und man hat sich ausgetauscht über Inspiration, Motivation. Man hat voneinander gelernt. Und selbst wenn man keine Familie zuhause, hatte man dann eine Familie im Hip-Hop."
Es sind die frühen 90er, und MC Rene, auch Reen genannt, wird einer der bekanntesten Hip-Hopper Deutschlands und nach Meinung vieler der beste Freestyle-Rapper überhaupt.
Ende 99 lag Reen die Welt zu Füßen, Geld verdienen war geil, Geld ausgeben noch mehr. Beim Musik-Fernsehsender VIVA moderierte er dann zwei Jahre lang eine Hiphop-Sendung, die dem deutschen Nachwuchs die Möglichkeit gab, sich einem breiteren Publikum zu präsentieren. In der Szene beschimpften das zwar einige als Ausverkauf, aber es passte zu René, denn der ist eine Frohnatur, harmonisch gestimmt.
Und als dann eine neue deutsche Rapgeneration anfängt, sich als Straßenkriminelle zu gebärden und sich publicity-trächtig nur noch gegenseitig zu beleidigen, da steigt er frustriert aus – und zwar wegen der aufkommenden Heuchelei und des Opportunismus. Er setzt sich ab und findet sich plötzlich im wirklichen Leben:
"Und dann kam dieser Abschnitt mit dem Callcenter, als ich dann Stefan Eckert wurde, weil mein bürgerlicher Name René El Khazraje ist."
Und er meinte, ein marokkanischer Name sei vielleicht nicht so vertrauenserweckend, wenn man Leuten am Telefon Versicherungen aufschwatzen soll.
"Stefan Eckert war sozusagen mein bürgerliches Notfallprogramm, was mir die Möglichkeit gegeben hat, zu entscheiden."
Neues Leben dank Schnapsidee
Die Schnapsidee, die ihm ein Kollege im Callcenter beim Mittagessen auftischt, verspricht fundamentale Veränderung - undeinen Riesentopf an Geschichten: Na, wenn Dir das hier nicht gefällt, sagt der Kollege scherzhaft, dann verkauf doch deine Klamotten, gib die Wohnung auf und kauf Dir ne Bahncard 100 – dann kannst Du jeden Tag umsonst in der Gegend rumfahren und tun und lassen, was Du willst!
Und diese Schnapsidee setzt René El Khazraje in die Tat um – nur dass er seine Klamotten verschenkt.
"Konzentrieren, fokussieren, reflektieren, erst wenn ich die Angst verliere, kann mir nichts mehr passieren: Mir bleibt nichts anderes übrig, ich muss es einfach machen – einen Schlußstrich ziehen, um alles hinter mir zu lassen. Alles auf eine Karte …"
(MC Rene – "Alles auf eine Karte)
Alles auf eine Bahncard 100. In seiner Zeit als Rapper hat René in ganz Deutschland jede Menge Leute kennengelernt: ein Netzwerk von potentiellen Schlafplätzen. Ein Internetblog, den er die ersten zwei Jahre lang vom ICE aus betreibt: Die kleinen Videos aus seinem Leben auf der Schiene bringen ihm ebenfalls Einladungen – zum Schlafen oder zum Auftreten.
Man kann ihn über Facebook auch buchen – als Rapper oder als Comedian: Das will MC Rene nämlich jetzt werden. Standup Comedian:Ist ja gar nicht so viel anders als ein Freestyle-Rapper: Geschichtenerzähler! Komödiant! Auf der Comedy-Bühne macht er nun Scherze über Hip-Hop-Klischees, sich selbst und die Comedy-Szene. Dabei ist dieser Neustart gar nicht immer so zum Scherzen:
"Und du bist dann in irgendeinem Kaff in irgendeinem Brauhaus trittst du auf, dann denkst du dir auch: Ey ich bin 33. Ich hatte mal ne Karriere als Rapper. Ich hatte mal ne eigene Fernsehsendung, und jetzt stehst du hier für 30 Euro und musst dich vielleicht sogar dem Spott der Leute preisgeben. Aber: neuer Tag, neues Glück!"
Coverstar der Bahnzeitschrift
Eben! Nach einer Weile kennt René die bahnhofsnahen Waschsalons in mindestens 30 deutschen Städten. Und irgendwann bringt sogar die Bahnzeitschrift "mobil" einen Artikel über ihn – mit Foto auf dem Titel! Und er schreibt ein lustiges, gemütliches Buch über all dies.
Inzwischen lebt MC Rene immer noch – wie in den letzten drei Jahren – überwiegend im Zug und nicht an einem bestimmten Ort. Aber er hat eine Menge neue Songs geschrieben, denn irgendwie ist er dann doch wieder beim Hip-Hop gelandet nach seiner Pilgertour auf der Eisenbahn: abgeklärter, erwachsener. Ein etwas füllig gewordener MC Rene, der sich im Video jetzt an einem Wirtshaustisch mit karierter Decke und Weinflasche drauf durch die Altstadt von Heidelberg rappt - übers wirkliche Leben.
"Du gewinnst, du verlierst, es geht nur darum, dass du dich selbst akzeptierst. Es gibt keine Garantie! Dir wird ständig suggeriert, den bequemen Weg zu gehen, das Problem nicht zu verstehen, die Realität nicht zu sehen."
(MC Rene – "Das Leben ist ein Freestyle")
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