HipHop als weltumspannende Jugendkultur

Von Gerd Brendel |
HipHop ist das, was früher einmal Jazz oder später die Hippie-Bewegung war - eine weltumspannende Jugendkultur: mit eigenen Codes, eigener Musik und eigenen Ausdrucksformen. Mit dem rhythmischen Sprechgesang schwarzer Jugendlicher in den Bronx fing alles an. "Rap" oder "Mcing" bestimmt auch in Berlin die HipHop-Szene.
"Ich heiß Darrrall big darrel mac, ich mach Rap, ich mach Texte, ich mach Lieder ... über das, was ich so mache…"

"Ich bin Tarek, und ich rappe auch."

"Ich heiß Wassiv ich mach so'n bisschen beat-produktion."

Ein Kreuzberger Kellerbüro, drei junge Männer um die 20 sitzen vor einer halbleeren Pizzaschachtel und einem Tabakbeutel. Was wie ein WG-Wohnzimmer aussieht, ist die Schaltzentrale von "Royal Bunker" einem von einem halben Dutzend Hiphop-Labels in der HAUPTStadt. Sie heißen "Agro", "Dirty Deutsch" oder eben " Royal Bunker", und sie funktionieren wie Großfamilien: Der Zusammenhalt nach innen ist so stark, wie die Abgrenzung nach außen:

"Das is kein Wahlkampf… Wenn ich rappe, sind die anderen MCs arm dran. Ich bin der Platzwart. Komm mit dem Monstertruck..."

Unmissverständliche Worte von MC Big Darrell. Ob die verbale Kraftmeierei die Schlägerei auf der Straße ersetzt?

"Ich mach doch keinen Spaß, wenn man darüber was sagt, dann muss man dazu stehen. Und das doch machen."

Wie Schlägertypen wirken die drei allerdings nicht. Und noch wichtiger als die MCs vom gegnerischen Label zu diesen, verbal der Lächerlichkeit preiszugeben, sind die eigenen "skills", die eigenen Fähigkeiten zu entwickeln: Wenn der 20-jährige Wasim erzählt wie er einen neuen "Beat" für den Sprechgesang der MCs am Computer produziert, klingt das so selbstbewusst wie professionell:

"Man sitzt hinterm Computer, hat en Keyboard, und spielt dann erst denn Baß ein und en bisschen schnick schnack. Man hat so ne mp10, und da legt man die kick drauf, und dann hat man bestimmte Takte da legt man drauf, und dann hat man am Ende so ein drum –loop."

Wer ihm die Computer-Instrumente beigebracht hätte? Niemand. Aus der Familie gab es keine Unterstützung:

"Ich komm aus ner arabischen Familie: die wissen das nicht, das interessiert die nicht so, mit Musik und so, und Deutsch-Rapp kennen die gar nicht."

Bei den drei Rappern ist das ähnlich, mindestens einer von ihnen ist zweisprachig aufgewachsen, keiner von ihnen hat in der Schule ein besonderes Interesse an Literatur entwickelt, trotzdem fühlen sie sich in der deutschen Sprache so sehr zu Hause, dass sie mit Begeisterung eigene Texte schreiben.

"Ich will nicht aufstehen, der Wecker klingt wie ne Drohung, will nicht rausgehen, der Feind lauert vor der Wohnung, die Frau neben mir ist eine Fremde, ich ertränke meine Sorge und box Löcher in die Wände. Schulden ohne Wände, ich muss das Geld gut einteilen, zieh eine Line und verwechsel high mit frei sein... danach ..."

Auf die Frage, was er besonders gut kann, muss Tarik nicht lange überlegen.

"Ich denke... verbildlichen."

"Verbildlichung", das klingt mehr nach romantischer Erkenntnistheorie als nach HipHop. Das, was der Begriff beschreibt, haben alle Lyriker und Schriftsteller seit jeher praktiziert. Dabei scheint die Bilderflut heutiger Tage - Reklamespots, Videoclips, Fernsehen, Kino - die Bildersprache der Hiphop-Poeten eher zu beflügeln als verkümmern zu lassen.

Souverän beherrschen sie den Umgang mit dem Medium Sprache und den Medien, die auf dieser Sprache basieren: Die Bitte nach einer Aufnahme des Tracks über den traurigen Morgen neben der fremden Frau wird abschlägig beschieden: Für Tariks Sprechgesang hat Wasim nämlich ein Stück von Xavier Naidu gesampelt, und leider sei das mit den Rechten noch nicht geklärt.

Darin unterscheiden sich Jugendliche im Zeitalter des Hiphop vielleicht von den Hippies früherer Tage: Die Regeln der Erwachsenenwelt werden erst mal als gültig anerkannt. Für jugendliche Hip-Hop Coolness bleibt dann noch Raum genug.


Das Gespräch zum Thema mit Ronald Hitzler, Soziologieprofessor an der Universität Dortmund, können Sie bis zu acht Wochen nach der Sendung in unserem Audio-On-Demand-Player hören.