Machen unsere Schulen Kinder zu Objekten?
Gerald Hüther ist einer der bekanntesten Neurobiologen Deutschlands und er sagt: Schule diene in erster Linie der Stabilisierung der jeweiligen gesellschaftlichen Verhältnisse. Er plädiert für einen sinnlichen, ganzkörperlichen Unterricht. Idealerweise in der Natur.
Mit seinen Vorträgen füllt der Hirnforscher Gerald Hüther regelmäßig Säle, seine Bücher – mittlerweile um die 20 – sind Bestseller. Bekannt wurde er mit seiner Kritik unserer Schulen: Der Mensch lerne immer dann gut, wenn er von etwas begeistert, er also emotional beteiligt sei. Noten und Zeugnisse hingegen machten das Kind zum Objekt.
"Die Schule dient in erster Linie der Reproduktion und der Stabilisierung der jeweiligen gesellschaftlichen Verhältnisse. Und wenn wir das jetzt auf unsere gegenwärtige Gesellschaft beziehen, muss man fragen: Was braucht denn unsere Gesellschaft, wenn sie stabil bleibt? Und da ist eine sehr traurige Antwort, aber die ist eben unabwendbar geworden: Wir brauchen auch genügend Konsumenten."
"Wir brauchen genügend Menschen, die mit sich selbst nicht so richtig zufrieden sind, die noch irgendwie ‘ne ganze Menge von Bedürfnissen haben – oder denen man alles Mögliche einreden kann, und die deshalb bereit sind, sich zur Verfügung zu stellen."
Gerald Hüther, 1951 in einem Dorf in Thüringen geboren, war zunächst kein guter Schüler. Aber weil er Biologie studieren wollte, beschloss er mit 16, ein gutes Abitur zu machen – und schaffte es auch. Er studierte und promovierte in Leipzig – und verließ 1979 die DDR. Er hatte sich zuvor in vielen Versuchen selbst beigebracht, wie man einen Visumsstempel fälscht:
"Wenn man ein hinreichend starkes Motiv hat, lernt man alles."
Die Flucht aus der DDR als Selbstbefreiung
Diese Flucht aus eigener Kraft – über Ungarn und Jugoslawien in die Bundesrepublik – beflügelt ihn bis heute:
"Das ist ‘ne tiefgreifende Erfahrung, wenn es einem gelingt, unter solchen Bedingungen, wo man wirklich total zum Objekt gemacht wird, wenn es dann gelingt, sich selbst zu befreien – ich glaube, das kann keiner verstehen, was für eine Kraft man daraus gewinnt. Und ich glaube, dass das bis heute noch in mir wirksam ist. Das ist auch einer der Gründe, warum ich als Wissenschaftler die Kraft gefunden habe zu sagen: Ok, das ist zwar schön mit den Ionenkanälen und diesen ganzen Feinheiten, die man da machen kann, aber eigentlich wollte ich verstehen, wie das Leben geht."
Daher hat sich der Neurobiologe von der experimentellen Hirnforschung verabschiedet und den großen Fragen gewidmet: Dem Lernen, dem gesellschaftlichen Miteinander und neuerdings – in seinem heute erscheinenden Buch – der Demenz.