Hiroshima als Historienspiel

Von Michael Meyer |
Am 6. August 1945 wurde die erste Atombombe über der japanischen Stadt Hiroshima abgeworfen. Wie es dazu kam und was die Menschen durchlitten, erzählt das Doku-Drama "Hiroshima". Regisseur Paul Windhurst verwebt geschickt historische Filmaufnahmen mit nachgespielten Szenen und Interviewpassagen, setzt allerdings zu sehr auf Emotion, so dass eine kritische Analyse der Vorgeschichte ausbleibt.
"Dies ist die Geschichte einer Waffe, die die Welt veränderte... am Himmel über Hiroshima. "

"Ziel nach Sicht mit guten Ergebnissen bombardiert", gab der amerikanische Pilot Paul Tibbets nach dem Abwurf der Atombombe über Hiroshima an den Luftwaffenstützpunkt durch. Tibbets, ebenso wie eine Reihe anderer amerikanischer und japanischer Zeitzeugen kommen in dem Doku-Drama "Hiroshima" ausführlich zu Wort. Dies ist insofern bemerkenswert, als dass es auf japanischer Seite lange Zeit als Tabu galt, über den Schrecken von Hiroshima zu sprechen.

Der Film beginnt mit der Schilderung der politischen Situation im Sommer 1945. Deutschland war besiegt worden, in New York und anderswo feierten die Menschen frenetisch das Ende des Krieges. Doch das war nicht ganz richtig: Denn im Pazifik, genauer: in Japan war der Zweite Weltkrieg noch nicht zu Ende. Die Japaner weigerten sich standhaft, sich zu ergeben. In jahrelangen, zermürbenden Schlachten hatten die Amerikaner versucht, Japan zu besiegen – doch bis dahin vergeblich.

Mitte Juli 1945 gelang den Amerikanern auf dem Testgelände von Alamogordo in New Mexico, worauf sie seit Jahren gehofft hatten: eine nukleare Bombe mit gewaltiger Zerstörungskraft zu entwickeln. Die Wucht der Detonation in der Wüste von New Mexico entsprach 67 Millionen Dynamitstäben.

In einer nachgestellten Szene im Film berichtet ein Soldat über die Folgen des Experiments:

" Folgendes ist passiert: Der Blitz der Explosion war in zehn Meilen Entfernung noch zu sehen ... Diejenigen von uns, die dabei waren, wussten: Ein neues Zeitalter hat begonnen. "

Nachdem Japan sich erneut weigerte, zu kapitulieren, gab US-Präsident Harry Truman den Befehl aus, die atomare Waffe gegen Japan einzusetzen. Ziel waren "Soldaten und die Marine, nicht Frauen und Kinder", wie Truman es in völliger Verkennung der schrecklichen Folgen des Angriffs formulierte.

Innerhalb von Sekunden vernichtete die Bombe das Leben Zehntausender Menschen, selbst in kilometerweiter Entfernung hatte die Druckwelle und die Strahlung der Bombe noch verheerende Folgen, wie sich einer der wenigen Überlebenden erinnert:

" Ich öffnete langsam meine Augen und schaute zum ersten Mal in die Richtung, woher das Licht kam. Genau in diesem Augenblick stieg eine riesige Wolke auf... Es ist heute kaum noch jemand da, der sagen kann, er hat sie mit eigenen Augen gesehen. "

"Hiroshima" von Paul Windhurst verwebt geschickt historische Filmaufnahmen mit nachgespielten Szenen und Interviewpassagen – ein Verfahren, das in den letzten Jahren immer häufiger angewendet wird. "Es ist der Königsweg des historischen Journalismus im 21. Jahrhundert", betont trotzig der ZDF-Historiker Guido Knopp.

In der Tat kommt diese Technik dem Film "Hiroshima" zugute: Mittels schneller Schnitte und aufwühlender Musik entstand ein spannendes Doku-Drama, das allerdings zu oft auf Emotion setzt. Etwa wenn es um die Geschichte des damals kleinen Jungen Takashi Tanemori geht, der in der zerstörten Stadt von einem Soldaten gerettet wird – oder wenn Windhurst die 43 Sekunden vom Abwurf der Bombe aus dem Flugzeug bis zu ihrem Aufschlag Hollywoodreif in die Länge zieht.

"Hiroshima" thematisiert leider zu wenig und auch erst am Schluss die politischen Gründe für die Atombombenabwürfe in Hiroshima und Nagasaki. Denn der Angriff der Japaner auf Pearl Harbor 1941 und ihr scheinbar unbezwingbarer Siegeswille mögen ein Motiv gewesen sein, in Wirklichkeit ging es, so eine Interpretation, um etwas anderes, nämlich um den Test einer Atombombe gegen einen ohnehin schon geschwächten Gegner.

Das Paradox von Hiroshima ist, dass wahrscheinlich ohne den Atombombenabwurf weitere hunderttausende Opfer im Krieg zu beklagen gewesen wären. Dennoch ist Hiroshima ein Synonym für einen Massenmord geworden – dieses Paradox kann und will dieser Film auch nicht auflösen, sagt der Autor Paul Windhurst:

"Es ist sehr schwer zu sagen, was die wirklichen Motive waren – der Film sagt nicht: Das ist passiert, und dies sind die Gründe. Wir dachten, es sei sinnvoll, verschiedene Interpretationen anzubieten. Eine mögliche andere Erklärung stammt von George Elsey, der damals im Atomwaffenprogramm im Weißen Haus arbeitete, er sagt:

Die Entscheidung, die Bombe abzuwerfen, war ganz klar vom japanischen Militär provoziert, das es ablehnte, sich zu amerikanischen Bedingungen zu ergeben. Anstatt auf dieses Angebot einzugehen und so etwas wie Würde und auch das japanische Kaiserreich zu bewahren, meinten die Strategen: Das wäre Schwäche, wir kämpfen weiter! Das ist für mich der tragischste Moment in der ganzen Geschichte, der Moment, an dem es ein Ende des Krieges am Verhandlungstisch hätte geben können. "


Die Tragödie von Hiroshima ist bis heute in der Stadt präsent: Jedes Jahr versammeln sich Zehntausende von Bürgern, um der Toten zu gedenken. Bei Sonnenuntergang lassen sie kleine, buntfarbene Boote mit Kerzen zu Wasser – jede einzelne Kerze steht für einen Menschen, der gestorben ist. Mit diesen Bildern endet der Film.

Service:
Das Doku-Drama "Hiroshima" ist am Dienstag, 2.8. um 20.15 Uhr im ZDF zu sehen.