„Die CDU grenzt sich eindeutig vom Rechtsextremismus ab“
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Die CDU zeige klare Kante gegenüber der AfD, meint der Historiker Andreas Rödder, selbst CDU-Mitglied. Und er empfiehlt seiner Partei, mit den Grünen zu koalieren. Die AfD hält er nicht für regierungsfähig.
Der Partei-Austritt des CDU-Kreispolitikers Möritz wegen dessen rechtsextremer Vergangenheit zeige, dass die CDU "sich ganz deutlich vom Rechtsextremismus abgrenzt", sagt der Historiker Andreas Rödder von der Universität Mainz. Rödder, selbst CDU-Mitglied, sieht nicht, dass "die CDU-Führung hier sonderlich gewackelt" habe.
Das Dilemma der AfD
Bleibt dennoch die Frage, wie die CDU es generell halten will mit den Rechten, besonders mit der AfD. Hier plädiert Andreas Rödder für sprachliche Differenzierung. Es gebe eine "Trennlinie zwischen einer legitimen Rechten und einem illegitimen Rechtsextremismus, diese Trennlinie verläuft mitten durch die AfD selbst hindurch." Darum stehe die AfD vor einem Dilemma: Um koalitionsfähig zu werden müsse sie sich in Richtung bürgerlicher Mitte orientieren. Andererseits übertrete nicht nur der völkische Flügel der AfD, sondern auch deren früherer Vorsitzender Alexander Gauland immer wieder bewusst rote Linien.
Die AfD verschiebe damit die Grenzen des Sagbaren, aber nicht sie allein, meint Andreas Rödder. Es gebe eine allgemeine gesellschaftliche Polarisierung in Deutschland, auch "auf Seiten einer multikulturalistischen Linken". Vorwürfe wie Rassismus, Sexismus, Nazismus seinen zu "Keulen" geworden, "die auf all das niedergehen, was als politisch unliebsam gilt." Dies sei Zeichen einer Pauschalisierung auf allen Seiten.
Seine eigene Partei, die CDU, sieht Andreas Rödder in einer ähnlichen Konstellation wie die SPD, nämlich "dass die großen traditionellen Volksparteien zwischen den Grünen auf der einen Seite, die eine klare Agenda haben, und der AfD auf der anderen Seite, die die Unzufriedenheit und das Ressentiment bedient, dass SPD und CDU dazwischen viel zu wenig sprachfähig sind." Wenn CDU und SPD überleben wollten, müssten sie politische Inhalte viel klarer formulieren in Zeiten von Fridays for Future. "Ideen, Kommunikation und Köpfe, das ist das, was die Parteien brauchen."
"Machtpolitisch notwendig für die CDU, mit den Grünen zu koalieren"
Dabei müsse die CDU aufpassen, dass sie koalitionsfähig bleibe. "Die Große Koalition ist ja offenkundig völlig erschöpft", konstatiert Andreas Rödder, für die klassische Verbindung CDU/FDP reichten die Stimmen nicht. "Insofern ist es eine machtpolitische Notwendigkeit für die CDU, mit den Grünen zu koalieren".
(pga)
Das Interview im Wortlaut:
Deutschlandfunk Kultur: Auch die große konservative Partei Deutschlands, die CDU, lebt nach dem Grundsatz: Nur wer sich ändert, bleibt sich treu. Inzwischen bildet die CDU mit ziemlich vielen Parteien Koalitionen, mit der FDP, mit der SPD und auch mit den Grünen. Ein nächster "Möchtegern-Partner" steht schon in den Startlöchern, die AfD nämlich. Ob das eine Option ist, darüber möchte ich mit Prof. Dr. Rödder von der Uni Mainz sprechen. Er ist Historiker und Mitglied der CDU.
Die letzten Wochen hat ein Kreispolitiker der CDU aus Sachsen-Anhalt die Partei in Atem gehalten. Er hatte Kontakte zu Rechtsextremen, seine Distanzierung geriet nicht wirklich überzeugend. Dann gab es Besprechungen usw. Nun ist der junge Mann aus der CDU ausgetreten. – Wie beurteilen Sie diesen Fall?
Andreas Rödder: Nun, ich finde, dass dieser Fall schon eine hohe Logik in sich hat, weil die CDU ganz eindeutig darauf ausgerichtet ist, jede Nähe zu Rechtsextremismus zu vermeiden und da konsequent zu reagieren. Der Fall ist auch genauso ausgegangen.
Deutschlandfunk Kultur: Es gibt ja doch Einige, die meinen, die Landes-CDU wie auch die Bundes-CDU hätten doch eine ganze Weile gebraucht, um sich eindeutig zu positionieren. Manche haben sich ein klares Wort gewünscht und erinnerten an den Ausschluss Martin Hohmanns aus der CDU, der von der damaligen Parteivorsitzenden Merkel betrieben worden ist.
Rödder: Der Fall Hohmann war eine andere Situation. Ich habe die Situation hier so verstanden, dass der Fall zunächst auf Landesebene aufgekommen ist. Ich habe die ganze Reaktion der CDU nicht so verstanden, als wenn sie hätte Zweifel aufkommen lassen, dass die CDU sich ganz deutlich von Rechtsextremismus abgrenzt. So habe ich die Kommunikation nicht verstanden.
Eindeutige Abgrenzung der CDU zum Rechtsextremismus
Deutschlandfunk Kultur: Wenn, dann doch eher auf Kreisebene?
Rödder: Ja, das ist ja immer die Frage wenn solche Themen aufkommen. Dann beginnt das auf lokaler oder auf Kreisebene, geht auf Landesebene, geht auf Bundesebene, und wann man reagiert. Frau Kramp-Karrenbauer hat ja aus Larnaka reagiert, das heißt, die Parteivorsitzende war als Ministerin im Ausland unterwegs. Es kommen auch immer solche Bedingtheiten mit hinzu.
Ich sage noch einmal: Ich habe nicht den Eindruck gehabt, als hätte die CDU-Führung hier sonderlich gewackelt in der Sache. Die Abgrenzung zum Rechtsextremismus ist für die CDU nach meiner Beobachtung eine ziemlich eindeutige Sache.
Deutschlandfunk Kultur: Wenn wir mal die Rechtsextremisten auf die Rechten verkürzen, dann haben die CDU und die Rechten eine lange Geschichte. Die AfD ist ja Fleisch von ihrem Fleische, von enttäuschten CDU-Mitgliedern gegründet worden. Auf dem jüngsten Parteitag der AfD waren dann die Wieder-Annäherungsversuche wirklich nicht zu überhören. Jörg Meuthen zum Beispiel sagte: "Wir müssen regierungswillig und -fähig sein." – Ist die AfD das?
Rödder: Sie haben gerade die entscheidende begriffliche Unterscheidung vorgenommen. Sie sagten: "Wenn wir Rechtsextreme auf die Rechten reduzieren." – Genau liegt ja das Problem. Genau hier liegt auch das Problem für die AfD. Denn wir haben uns in Deutschland tatsächlich angewöhnt, von "der" Rechten oder "den" Rechten zu sprechen und das allzu pauschal zu meinen. Man macht in Deutschland "Rock gegen Rechts" und ist zugleich links und frei. Insofern haben wir hier auch eine begriffliche Unschärfe, zugleich aber auch eine Grauzone. Und die zieht sich ja mitten durch die AfD hindurch.
Denn die Trennlinie zwischen einer legitimen Rechten und einem illegitimen Rechtsextremismus, diese Trennlinie verläuft mitten durch die AfD selbst hindurch. Das ist die große Gretchenfrage, vor der die AfD steht und die sie ja auf ihrem Parteitag auch diskutiert hat: "Wollen wir offen bleiben für das Rechtsextreme?", so wie sich die AfD in den letzten Jahren zunehmend entwickelt hat. "Oder wollen wir anschlussfähig werden für die Parteien der Mitte?" Aber das würde für die AfD bedeuten, sich von dem rechtsextremen Flügel zu distanzieren, dem rechtsextremen Flügel, mit dem sie erst stark geworden ist.
AfD ist gespalten
Deutschlandfunk Kultur: Man könnte fragen: Hat die AfD auf diesem Parteitag nur die Chance verpasst, klare Kante gegenüber den Rechtsextremen zu zeigen? Oder will die Partei das gar nicht?
Rödder: Es ist das Dilemma, in dem die AfD steht. Es ist auch die Widersprüchlichkeit, in der die AfD agiert. Auf der einen Seite, Sie haben es ja gerade gesagt, Herr Chrupalla, Herr Meuthen und Herr Gauland haben deutlich das Signal ausgesendet, dass die AfD sich in Richtung bürgerlicher Mitte orientieren müsse, um koalitionsfähig zu werden. Und auf der anderen Seite haben wir natürlich den Flügel, wir haben Björn Höcke.
Wir haben auf dem Parteitag zwar erlebt, dass Herr Gedeon aus Baden-Württemberg ausgebuht worden ist und die Partei deutlich signalisiert hat, dass sie diese Formen von Rechtsextremismus und von völkischem Denken nicht mehr tolerieren mag. Auf der anderen Seite sind aber ebenso Personen unterwegs, die sich eindeutig im rechtsextremen Milieu tummeln. Diesen Widerspruch hat ja auch Alexander Gauland höchstpersönlich praktiziert. Jetzt sagt er auf der einen Seite, "die AfD soll koalitionsfähig für die CDU werden", auf der anderen Seite hat er diese roten Linien ja ganz bewusst immer wieder überschritten, wenn ich nur zum Beispiel an die Äußerung vom "Vogelschiss" denke. Denn das war von Alexander Gauland eine ganz bewusste Tabu-Verletzung, eine Verletzung der roten Linie, von der er weiß, dass die CDU diese Linie nie übertreten könnte.
Deutschlandfunk Kultur: Apropos "Vogelschiss": Jörg Schuster, der Vorsitzende des Zentralrats der Juden in Deutschland, hält die AfD nicht nur für in Teilen rechtsextrem, das tun Sie ja auch, das sieht der Verfassungsschutz auch so, der den sogenannten "Flügel" und auch die "Junge Alternative" zu den Rechtsextremen zählt und sie beobachtet. Jörg Schuster wirft der AfD auch vor, das gesellschaftliche Klima verändert zu haben. Wer vom Nationalsozialismus als einem Vogelschiss der Geschichte spricht, verschiebe rote Linien. "Aus Worten werden Taten", sagt Jörg Schuster. Das heißt ja, dass die AfD und die radikale und extreme Rechte eine reale Gefahr geworden sind für diejenigen, die sie als ihre Feinde betrachten, also eine Gefahr für deren Leib und Leben.
Rödder: Die Situation mit der AfD ist ja sehr komplex und sehr differenziert. Die AfD ist weder nur rechtsextrem, noch nur bürgerlich konservativ. Schon in ihrer Entstehungsgeschichte kommen da ganz unterschiedliche Strömungen zusammen. Sie hat ja als eine geradezu bürgerliche Partei begonnen, die skeptisch gegenüber der Euro-Rettungspolitik war. Sie hat dann ihren zweiten großen Aufschwung genommen über die Kritik an der Migrationspolitik Angela Merkels 2015 und 2016.
In den neuen Ländern sammelt die AfD eine allgemeine Unzufriedenheit, wo ja übrigens erstaunlich viele Wähler - oder gar nicht so erstaunlich viele Wähler - von der Linkspartei zur AfD übergegangen sind. Und sie vereint natürlich die neue Rechte und ein völkisches rechtsextremes Denken.
Das heißt, die AfD ist eine ziemlich komplexe Ansammlung, so dass ich nicht so eindeutig sagen würde, die AfD ist das oder das oder sie steht eindeutig da oder dort.
AfD hat gesellschaftliches Klima verändert
Deutschlandfunk Kultur: Sie würden auch nicht sagen, wie Herr Schuster, dass Sie das gesellschaftliche Klima verändert hat?
Rödder: Darauf wollte ich gerade zu sprechen kommen. Was die AfD tatsächlich getan hat und was wir gerade an der Person Alexander Gaulands paradigmatisch beobachten können, ist, dass er immer wieder wie mit dem "Vogelschiss" Grenzen des öffentlich Sagbaren überschritten, dass er Tabus gebrochen hat. Damit haben sich tatsächlich Grenzen des Sagbaren verschoben. Da hat die AfD auf der rechten Seite tatsächlich einen massiven Anteil daran.
Ich würde zugleich sagen, dass diese Grenzverschiebungen, die die AfD auf der rechten Seite vornimmt, nicht ganz im luftleeren Raum stattfinden, sondern Teil einer allgemeinen gesellschaftlichen Polarisierung sind. Denn auf der anderen Seite erleben wir, wie unliebsame Meinungsäußerungen auf Seiten einer multikulturalistischen Linken ganz schnell als rassistisch, sexistisch, nazistisch diffamiert werden und wir auch hier eine Veränderung des Sagbaren erleben. Insofern sind diese Grenzverletzungen der AfD Teil einer allgemeinen Polarisierung in der Öffentlichkeit sind, die unsere politische Öffentlichkeit in der bundesdeutschen Demokratie in den letzten Monaten und wenigen Jahren zunehmend geprägt hat.
Deutschlandfunk Kultur: Nun ist ja die Frage, ob diejenigen, die Sie gerade genannt haben, tatsächlich Meinungsäußerungen "diffamieren" als sexistisch, rassistisch usw. oder sie nicht schlicht so bezeichnen. Früher gab es Politiker wie Dregger, Strauß, auch Kohl in Teilen, die haben sich nach heutigen Maßstäben eindeutig sexistisch und rassistisch geäußert. Die waren damals CDU- bzw. CSU-Mitglieder. Heute hören wir solche Stimmen mehr aus den Reihen der AfD. Da sind wir an dem Punkt, dass man sagt: Früher hat die CDU diese Rechten, die Rechtsradikalen auch, noch geschafft einzubinden, heute nicht mehr. Heute haben die ihre eigene Partei, die finden einen Platz in der AfD. – Ist es wirklich besser, wenn die in der CDU sind? Oder ist es nicht besser, wenn sie ihre eigene Partei haben?
Rödder: Ja, das ist eine sehr berechtigte Frage, wobei das nicht nur für die CDU gilt. Das gilt auch nicht nur für die Union, sondern das gilt auch für die SPD. Das ist eine Bewertungsfrage, ob man sagt, es ist besser, diese Gruppen werden sozusagen erkennbar und sammeln sich, oder ob man sagt, die sind an die Parteien der freiheitlich-demokratischen Grundordnung angebunden und somit, wenn Sie so wollen, stillgestellt. Das kann man auf unterschiedliche Art und Weise beurteilen. Da gibt es kein eindeutiges Falsch und Richtig.
Ich wollte nur nochmal sagen, wenn Sie von Rassismus oder Sexismus reden, natürlich haben sich die Grenzen des Redens und des öffentlich akzeptierten Redens verschoben. Unsere Aufmerksamkeit für Redeformen hat sich verändert. Das ist auch ganz normal so. Das heißt, dass man Dinge, die vor zwanzig Jahren unproblematisch gesagt worden sind, heute für hoch problematisch hält und nicht akzeptiert. Das ist eigentlich immer so.
Was ich aber vorher meinte, ist nicht, dass wir tatsächlich heute mit gutem Grund sagen, "das hier ist doch eine rassistische Redeweise oder eine sexistische Redeweise", sondern ich wollte zugleich sagen, dass in der öffentlichen Diskussion Vorwürfe wie Rassismus, Nazismus und Sexismus zugleich auch zu Keulen geworden sind, die auf all das niedergehen, was als politisch unliebsam gilt.
Das heißt, wir haben hier eine starke Zuspitzung der öffentlichen Sprache mit solchen Kampfbegriffen, wie gesagt, Rassismus und Sexismus von Seiten der multikulturalistischen Linken, während die AfD dann Probleme des Rechtsstaats in der Migrationskrise sofort zum "Staatsversagen" hoch-jazzt. Und diese Polarisierung der Sprache, das ist ein Problem für die demokratische Öffentlichkeit von beiden Seiten.
Zuspitzung der öffentlichen Sprache auf Kampfbegriffe
Deutschlandfunk Kultur: Ich kann Ihnen da trotzdem nicht folgen, Herr Professor Rödder. Das müssten wir wahrscheinlich an einzelnen Beispielen diskutieren. Ich finde es spricht nichts dagegen, wenn jemand sich sexistisch äußert, das auch zu benennen. Sie sprechen davon, das wäre eine "Keule". Dem würde ich jetzt in so einer Allgemeinheit erstmal widersprechen.
Rödder: Nein, nein. Wir müssen unterscheiden. Die Frage ist immer: Wer definiert, was Rassismus und was Sexismus ist? Wenn es um Herabwürdigung von anderen ethnischen Gruppen geht, werden wir keinen Dissens haben, dass wir das als Rassismus bezeichnen. Und wenn es um Herabwürdigung von Frauen geht, werden wir keinen Dissens haben, dass wir das als Sexismus bezeichnen.
Das Problem ist nur: Was wird als Rassismus und was wird als Sexismus bezeichnet? Was wird als Nazismus bezeichnet? Und da ist die öffentliche Debatte an dem Punkt - jetzt müssten wir tatsächlich in die konkreten Beispiele gehen - dass das tatsächlich zu Leerformeln der öffentlichen Diskussion geworden ist. Übrigens auch zu pauschal vorgebrachten Argumenten – das habe ich kürzlich wieder in einer Diskussion erlebt, wo es hieß, dass Studenten ständig Sexismus und Rassismus ausgesetzt seien. Da ist es ja umgekehrt so, dass solche Vorwürfe dann gar nicht wirklich belegt werden, sondern dann heißt es, irgendwas vom Hörensagen her. Das kommt auch stark aus den Universitäten.
Also, es gibt diese Pauschalisierung auf allen Seiten massiv. Und wir sind dann wieder zusammen, wenn wir sagen, das muss man ganz konkret am konkreten Fall begründen.
Dann werden wir uns wahrscheinlich auch schnell einigen können. Was ist Sexismus? Was ist rassistisch? – Aber es muss dann eben auch konkret benannt werden.
Parteivorsitzende der CDU hat nicht triumphiert
Deutschlandfunk Kultur: Ja, da bin ich ganz bei Ihnen, denn ansonsten würde ich Ihnen nämlich jetzt den Vorwurf machen, dass Sie pauschalisieren.
Lassen Sie uns mal auf die CDU blicken. Die hat vor einigen Wochen auch einen Parteitag abgehalten. Und Frau Kramp-Karrenbauer hat den für sich dann doch zu einem großen Erfolg gemacht. Aber ist die Partei wirklich überzeugt von ihr? Das scheint mir nicht so zu sein. Viele wünschen sich offenkundig weiterhin einen radikaleren Führungswechsel an der Führungsspitze der CDU. Ist die CDU vielleicht eine Partei im Übergang?
Rödder: Ja, die CDU hat auf dem Hamburger Parteitag 2018 eine Führungsfrage zu entscheiden gehabt, die sie sehr knapp zugunsten von Frau Kramp-Karrenbauer entschieden hat. Dann hat Frau Kramp-Karrenbauer das Problem bekommen, dass Angela Merkel weiterhin im Amt geblieben ist und sie in der schwierigen Situation war, nur Parteivorsitzende zu sein, aber keine wirklichen Gestaltungsmöglichkeiten zu haben. Zugleich ist sie in eine Reihe von schwierigen Situationen gekommen, die sie zum Teil selbst verursacht hat, für die sie zum Teil auch nichts konnte, deren Folge allerdings war, dass Frau Kramp-Karrenbauer als Parteiführerin zunehmend infrage gestellt worden ist.
Sie hat das dann auf dem Parteitag in Leipzig abfangen können, so dass sie ihre Position einstweilen hat stabilisieren können. Ob das tatsächlich für sie so ein großer Triumph gewesen ist, da bin ich mir nicht so ganz sicher. Es ist auch von der "Vertrauensfrage" gesprochen worden, die sie gestellt habe. Nun, ich würde eher sagen, es ist ja eine rhetorische Frage gewesen, weil daraus keine Abstimmung oder keine offene Debatte hat entstehen können oder entstehen sollen. Insofern ist das tatsäch…
Deutschlandfunk Kultur: Naja, "hat können" schon.
Rödder: Ja, aber rein formal: Wie hätte das aussehen sollen? Wenn man sagt, "dann müssen wir es jetzt auch beenden", dann muss ich die Vertrauensfrage auch so stellen, dass die Frage zu einer Abstimmung führt. Das ist nicht vorgesehen gewesen. Und die Situation war nicht so, dass eine ganz offene Debatte hätte stattfinden können.
Sozialdruck auf einem Parteitag
Deutschlandfunk Kultur: Das stimmt, aber es hätten auch nicht alle Delegierten aufstehen müssen und minutenlang applaudieren. Und es gibt ja Beispiele aus der Geschichte der SPD, wo schon mal etwas passiert ist, man frage Rudolf Scharping, wo so etwas nicht vorgesehen war.
Rödder: Ja, das ist ein guter Vergleich, den Sie nennen, aber der entscheidende Unterschied zu Mannheim 1995 war, dass da tatsächlich Wahlen anstanden. Hier stand ja keine Wahl an. Und tatsächlich - insofern ist es wieder richtig -, hat sich Annegret Kramp-Karrenbauer die Mechanismen eines solchen Parteitags zunutze gemacht, weil solche Parteitage dann, wenn nicht Abstimmungen und tatsächlich Kontroversen wirklich anstehen, Heerschauen der Geschlossenheit sind; und dieses Aufstehen, von dem Sie sprachen, einen enormen Sozialdruck auf die Delegierten ausübt, dem sich die Mehrzahl der Delegierten, wenn alle aufstehen, auch gar nicht entziehen kann.
Insofern können Sie tatsächlich sagen, dass Annegret Kramp-Karrenbauer die Mechanismen dieses Parteitags und damit der Parteidemokratie und des parteilichen Apparats sehr zu ihrem Vorteil bedient hat. Mit der Konsequenz, dass sie ihre Position vorderhand hat stabilisieren können. Was das als Wechsel auf die Zukunft bedeutet, das weiß niemand von uns. Wenn Sie sich an die Europawahl erinnern: Das geht so schnell, dass solche Situationen sich in die eine oder in die andere Richtung entwickeln können.
Ideen, Kommunikation und Köpfe
Deutschlandfunk Kultur: Ich wollte eigentlich gar nicht so lange bei Frau Kramp-Karrenbauer bleiben. Wesentlicher für die CDU ist ja möglicherweise dass der Konflikt, den es schon immer gab, zwischen Konservativen und Wirtschaftsliberalen auf der einen Seite und den Liberal-Progressiven auf der anderen Seite, weiter bestehen bleibt, aber zurzeit, scheint es mir, nicht wirklich offen ausgetragen wird. Wir sehen ja an anderen großen konservativen Parteien in Italien, in Frankreich, dass die auch über Nacht in sich zusammenfallen können. Was muss die CDU tun, um nicht denselben Weg zu gehen?
Rödder: Ja, das Interessante ist, dass wir in Italien und Frankreich sehen, was Sie für die eine Seite beschrieben haben, und dass wir in Österreich und in Großbritannien sehen, was auf der anderen Seite möglich ist.
Das heißt, dieses Feld ist tatsächlich nach beiden Seiten offen. Das Problem ist - da sind sich CDU und SPD vergleichsweise ähnlich in ihrer Konstellation -, dass die großen traditionellen Volksparteien zwischen den Grünen auf der einen Seite, die eine klare Agenda haben, und der AfD auf der anderen Seite, die die Unzufriedenheit und das Ressentiment bedient, beide aber mit relativ klaren und eindeutigen Botschaften auftreten, dass SPD und CDU dazwischen im Grunde viel zu wenig sprachfähig sind.
Sie haben auch das Problem, dass klassische Parteiapparate eine Sprache sprechen, die in Zeiten von Fridays for Future und in unserer Öffentlichkeit in abnehmendem Maße akzeptiert werden.
Ich würde sagen: Wenn SPD und CDU überleben wollen, müssen sie sehr viel klarer politische Inhalte formulieren und die auch entsprechend kommunizieren. Und sie brauchen auch Personen, die diese verkörpern. Insofern: Ideen, Kommunikation und Köpfe, das ist das, was die Parteien brauchen.
AfD ist vor allem gegen - aber wofür?
Deutschlandfunk Kultur: Lassen Sie uns nochmal zurückkommen auf die Bestrebungen der AfD, in naher Zukunft mit der CDU regieren zu wollen. Ich habe mir mal die politischen Leitlinien der AfD angeguckt und frage mich: Was verbindet diese Parteien eigentlich – CDU und AfD? Denn außer einer rigiden Migrationspolitik und einer Betonung des Nationalen konnte ich keine wirklichen politischen Leitlinien bei der AfD finden. Es ist ja vieles ungemein ungeklärt. Im kommenden Jahr gibt es extra einen Renten-Parteitag, weil sich da zwei diametral verschiedene Ansätze gegenüberstehen.
Rödder: Ja. Das ist ganz typisch für die AfD. Das liegt auch in der Natur ihrer Entstehung, weil sie als Protestpartei entstanden ist. Sie ist als Protestpartei gegen die Euro-Rettungspolitik der Bundesregierung entstanden. Sie hat sich stabilisiert als Protestpartei gegen die Migrationspolitik Angela Merkels. Und sie ist zugleich die Protestpartei allgemeiner Unzufriedenheit gegenüber der sozialen Entwicklung im Lande.
Aber das ist alles ein "Gegen". Das ist noch lange kein "Für". Wir hatten ja schon davon gesprochen, dass da unterschiedliche Strömungen zusammenkommen. Deswegen tut sich die AfD sehr schwer darin, konsistente Positionen, die auch zukunftsfähig wären, zu einzelnen politischen Themen zu formulieren.
In der Familienpolitik oder auch in der Bildungspolitik vertritt sie oftmals Positionen, die die CDU vor zehn oder vor fünfzehn Jahren vertreten hat. Es gibt auch Elemente, gerade in der Bildungspolitik, wo sich Teile der AfD um seriöse inhaltliche Fundierungen bemühen. Aber das ist bei der AfD alles noch nach wie vor sehr diffus, weil Protest auf der einen Seite und die konstruktive Formulierung von Positionen auf der anderen eine ganz unüberschaubare Gemengelage bilden und zugleich die AfD im Verhältnis zur CDU von einem ganz grundständigen Ressentiment getragen ist.
Russlandtreue der AfD
Deutschlandfunk Kultur: Ich nenne noch ein Beispiel: Außenpolitik. Da findet sich im Programm der AfD: "Außenpolitik an deutschen Interessen ausrichten", "vertiefte wirtschaftliche Zusammenarbeit mit Russland", ein Ende der Sanktionen, ist ja klar, "Deutschland muss sich selbst verteidigen" und, das fand ich auch sehr interessant: "Den Einsatz deutscher Streitkräfte für fremde Interessen lehnt die AfD ab". Das lese ich auch als eine Ablehnung der Beistandsverpflichtung der Nato, was doch etwas ist, was die CDU niemals mitmachen würde.
Rödder: Ja, in den Punkten, die Sie soeben genannt haben, kommt alles wieder zusammen. Gerade das Verhältnis der AfD zu Russland ist ganz signifikant. Es hat auch mich selbst, ehrlich gesagt, überrascht. Nachdem die CDU in der gesamten Geschichte der Bundesrepublik den deutschen Konservatismus in Richtung Westorientierung gebracht hatte, hat mich selbst überrascht, wie stark so ein altes pro-russisches Sentiment nach wie vor ist, dass Sie übrigens auf Seiten der Linkspartei und auf Seiten der AfD finden. In diesem Verhältnis zu Russland hat die AfD keinen gemeinsamen Grund mit der CDU.
Wenn die AfD grundsätzlich formuliert, dass deutsche Außenpolitik deutsche Interessen vertreten müsse, spricht sie insofern etwas völlig Richtiges an, als deutsche Außenpolitik deutsche Interessen deutlicher formulieren sollte- Zumindest ist es so, dass es zu wenig für eine konstruktive Außenpolitik, für eine konstruktive deutsche Politik in Europa ist, nur zu sagen, dass deutsche und europäische Interessen identisch seien.
Wenn es aber darum geht, nicht fremden Interessen zu dienen, und das heißt, sich aus internationaler Kooperation oder multilateralen Verbindungen zurückzuziehen, dann ist das wiederum eine Form der außenpolitischen Orientierung, mit der die AfD keinen gemeinsamen Grund mit der CDU finden würde.
AfD nicht regierungsfähig
Deutschlandfunk Kultur: Jörg Meuthens Satz auf dem Parteitag lautete: "Wir müssen regierungswillig und -fähig sein." Willig? Weiß ich nicht. Fähig – ist die AfD offenbar nach Ihrer Analyse auf jeden Fall noch nicht.
Rödder: Also, bislang ist die AfD das noch nicht. Und die entscheidende Frage für die AfD wird sein: Wird sie weiter eine ressentimentgeladene Partei sein wollen, die offen in Richtung Rechtsextremismus ist? So hat sie sich in den letzten Jahren entwickelt. Oder will sie eine für die bürgerliche Mitte anschlussfähige politische Partei werden? Dann muss sie programmatisch und inhaltlich und kommunikativ tatsächlich eine Menge tun und einen Weg wieder zurückgehen, den sie in den letzten Jahren in die andere Richtung beschritten hat.
Deutschlandfunk Kultur: Zurzeit wehrt sich die CDU gegen diese Vereinnahmungsversuche der AfD bzw. beantwortet sie gar nicht, zumindest auf Bundesebene und auch auf Landesebene, soweit ich weiß. Schwarz-Grün ist dagegen mehr en vogue. Selbst Friedrich Merz hat von der "Chance" gesprochen, "Ökonomie und Ökologie zu versöhnen". – Liegt die Zukunft der CDU also bei den Grünen?
Für eine Koalition der CDU mit den Grünen
Rödder: Dass Friedrich Merz hier das adressiert, was für die ganze CDU ein Thema ist, das liegt ja auf der Hand. Die CDU muss aufpassen, dass sie koalitionsfähig bleibt. Denn tatsächlich hat sich die politische Landschaft in Deutschland so verschoben, dass für eine ganze Zeit lang das Aufkommen der AfD der CDU und damit Angela Merkel ihre strukturelle Mehrheitsfähigkeit gesichert hat. Das galt 2013. Das galt 2017. Das ist aber keineswegs unbedingt auf Dauer so. Und dann können sich die politischen Verhältnisse so formieren, dass die CDU außen vor ist. Wenn Sie sehen, wie in Thüringen die Wahlen ausgegangen sind; diese Konstellation, dass Linkspartei und AfD mehr als die Hälfte der Stimmen und der Abgeordnetenmandate vereinen, das hätte man vor ein paar Jahren nicht gedacht.
Insofern muss sich die CDU natürlich orientieren. Dann lautet die Frage: Wohin? Die große Koalition ist ja offenkundig vollkommen erschöpft. Das ist auch ganz normal. So eine große Koalition zwischen CDU und SPD kann keine politische Dauerlösung sein. Für CDU und FDP, die klassische Verbindung, reichen die Stimmen offenkundig nicht.
Insofern ist es auch eine machtpolitische Notwendigkeit der CDU, mit den Grünen zu koalieren. Zugleich ist es aber eine politisch spannende Frage, wie sich diese Parteien, die in vielem Berührungspunkte haben, in wesentlichen Fragen aber auch ganz grundsätzlicher unterschiedlicher Auffassung sind, wie die sich politisch miteinander einigen können.
Themen der AfD müssen adressiert werden
Deutschlandfunk Kultur: Die AfD sieht das ja, wie gesagt, anders. Alice Weigel hat kürzlich in einem Interview gesagt – ich zitiere: "Vor Ort sind die Leute im Austausch. Wenn die CDU-Parteiführung das von oben verbieten will, dann zeigt das, wie weit weg diese Leute von der Realität sind. Die CDU im Osten ist teilweise deutlich weiter als man in Berlin glaubt. Das können sie nicht mehr aufhalten."
Rödder: Ich glaube, es ist viel zu kurz, die Frage auf Koalitionen zu reduzieren. Ich finde es ist wichtig, im Umgang mit der AfD weniger ritualisierte Empörung an den Tag zu legen und stattdessen die politische Debatte zu führen. Das heißt, die Themen und die Wähler der AfD zu adressieren, ohne der AfD nach dem Mund zu reden und ohne die Frage der Koalitionen aufzugreifen.
Deutschlandfunk Kultur: Aber das hatten wir doch gerade mit den Themen. Sie haben doch kein Thema außer Migration, die an allem Schuld ist.
Rödder: Ja, aber Migration ist ein Thema. Mit dem Thema der Migration verbindet sich der Rechtsstaat. Und wenn wir sagen, dass die AfD gerade im Osten eine soziale und kulturelle Unzufriedenheit aufsammelt, dann stehen da auch Fragen der sozialen Sicherheit und auch des Ost-West-Verhältnisses dahinter, die man politisch adressieren muss.
Ich erlebe oft auf Diskussionsveranstaltungen, wenn ich als Historiker über die deutsche Wiedervereinigung rede, dass mich Menschen ansprechen, offenkundig mit einem AfD-Hintergrund. Und ich finde es ganz wichtig, deren Debatten und deren Argumente aufzunehmen und die Fragen zu diskutieren und über die Themen zu sprechen. Das ist das, was Politik leisten muss.
Nicht empören, diskutieren
Deutschlandfunk Kultur: Der Soziologe Floris Biskamp von der Uni Tübingen sagt, anders als viele meinten, habe es in Deutschland in den vergangenen Jahren keinen Rechtsruck gegeben. Das Potenzial der Wähler für eine rechtsradikale Partei sei in Deutschland eigentlich über die Jahrzehnte weitestgehend gleich geblieben. Die AfD mache das, das hatten wir vorhin, mache das nur sichtbar, sei aber nicht mehrheitsfähig. Aber er sagt, der Demokratie drohe dann eine Gefahr, "wenn andere Parteien rechtspopulistische Rhetorik und Politik kopieren." – Besteht diese Gefahr nicht doch, wenn CDU und AfD zusammengehen sollten?
Rödder: Also, von "Zusammengehen" der CDU und AfD kann ja gar keine Rede sein. Es kann auch keine Rede davon sein, die Rhetorik der AfD zu kopieren. Ich würde empfehlen, Empörung abzubauen und die Themen zu diskutieren. Diskutieren heißt nicht Kopieren, aber Diskutieren heißt Repräsentation ausüben. Das eigentliche Risiko für die Demokratie wäre eine dauerhafte Repräsentationslücke, in die dann demokratiefeindliche Parteien nicht nur einströmen, sondern wo sie sich auch festsetzen.