Historiker: Angela Merkel ist "Stabilisatorin des Mainstreams"
Nach Einschätzung des Historikers Paul Nolte müssen die Christdemokraten nicht zu konservativeren Positionen zurückkehren, um ihre Wähler an sich zu binden. Die Partei stehe nicht in der Gefahr, Stammwähler zu verlieren.
André Hatting: Heute beginnt die CDU ihren Bundesparteitag in Hannover. Der Vorstand wird neu gewählt, Kanzlerin Merkel als Parteichefin bestätigt. Stärke und Geschlossenheit soll das Treffen symbolisieren. Aber das ist nicht so ganz einfach. Denn die liberale Fraktion in der CDU will homosexuelle Paare mit der klassischen Ehe gleichstellen, Mindestlöhne flächendeckend einführen und Mütter bei der Rente aufwerten. Man reibt sich verwundert die Augen.
Diese Themen bei den wertkonservativen Christdemokraten? Wofür steht die CDU heute eigentlich noch? Darüber möchte ich jetzt mit Paul Nolte sprechen. Er ist Professor für neuere Geschichte an der Freien Universität Berlin. Guten Morgen, Herr Nolte!
Paul Nolte: Ja, schönen guten Morgen, Herr Hatting!
Hatting: Die CDU 2012 – weder rechts noch konservativ, sondern schön mittig. Gehen Sie da mit?
Nolte: Ja, da gehe ich mit. Die Partei ist immer schon ihrem Anspruch natürlich nach eine Partei der Mitte gewesen. Das ist ein Etikett, das ihr Helmut Kohl schon, sozusagen einen großen Regierungszyklus vor Angela Merkel versucht hat, zu verpassen. Man muss auch aufpassen, dass man nicht auf die Selbststilisierung der Partei hineinfällt. Das ist natürlich auch eine Selbstwerbung. Wenn man auf die Website geht, dann steht da auch ganz groß: die Mitte, die CDU.
Also Vorsicht: In unserem Parteiengefüge markiert die CDU natürlich immer noch das, was eher im demokratischen Spektrum der rechte Pol ist. Das kann man ruhig so sagen, aber dieser rechte Pol hat sich eben ganz weit in die Mitte verschoben, gerade im Vergleich mit den politischen Kulturen anderer Länder. Wenn wir uns die Republikaner in den USA nur zum Beispiel einmal angeschaut haben in den letzten Wochen.
Hatting: Würden Sie sagen, dass die Verschiebung des rechten Pols zur Mitte ein Vorteil ist? Ich erinnere daran, dass Sie nach dem Abgang Roland Kochs 2010 in einem Artikel geschrieben haben, dass die Fragen konservativer Menschen an die Gegenwart wichtiger denn je sei. Jetzt aber das "Mittelmaß", in Anführungszeichen - haben Sie Ihre Meinung da ein bisschen geändert?
Nolte: Nein, ich habe immer schon gesagt, diejenigen, die in der CDU laut schreien, die Partei müsse sich wieder zurück dorthin bewegen, wo die vermeintlichen Stammwähler sind und dafür vielleicht die Mitte, die gesellschaftliche Veränderung, die neuen Milieus, die Frauen, die jungen Menschen, die internetaffinen, die Großstädte – man könnte eine lange Reihe aufzählen – dafür etwas mehr preisgeben, diese Menschen irren. Die CDU steht nicht, und – auf eine vielleicht auch bemerkenswerte Weise – nicht in der Gefahr, ihre eigentlichen Stammwähler zu verlieren. Es ist im Grunde so, dass die konservativen Stammwähler immer noch die CDU dann auch mitwählen, wenn die Partei sich ein Stück weit in die Mitte, nach links oder zu sozialpolitisch moderneren Positionen geöffnet hat.
Im Grunde gelingt der CDU da ein Spagat, der spiegelbildlich gar nicht so unähnlich ist dem ebenso bemerkenswerten Spagat, den die Grünen ja vollbringen, sich in die bürgerliche, auch, darf man manchmal sagen, wertkonservative Sphäre zu öffnen. Aber gleichwohl, ihre - ich sag’ es mal etwas zugespitzt -, ihre Revoluzzer-, ihre Protesthaltung, ihren Fundamentalismus doch auch an der Basis nicht ganz aufzugeben.
Hatting: Ja, Herr Nolte, auf die Grünen komme ich gleich noch mit Ihnen zu sprechen. Noch mal zurück zu den Stammwählern der CDU: Glauben Sie wirklich, dass der Spagat, von dem Sie gesprochen haben, zwischen moderneren Themen einerseits und den wertkonservativen gelingt? Also glauben Sie, dass Stammwähler auf dem Land Frauenquote, Mindestlohn und Gleichstellung der Homo-Ehe wirklich gut finden?
Nolte: Ja, die finden das nicht immer alles gut, aber die finden es gut, dass darüber diskutiert wird. Ich würde auch die Debatten, die wir jetzt beobachten können in den nächsten Tagen, so verstehen - das sind ja vergleichsweise, mit Verlaub, mit den Projekten, vor denen unser Land sonst steht, Energiewende, Außen- und Sicherheitspolitik, steht uns irgendwo ein neuer Krieg im Nahen Osten bevor, die Europäische Union und die Währungsunion und mehr als das, zerfallen vielleicht, müssen bewahrt werden unter höchsten Anstrengungen - sind das doch vergleichsweise geringe Themen, bei allem Respekt für die Menschen, die davon betroffen sind.
Entscheidend ist aber, dass die Partei darüber diskutiert und dass es ihr wichtig ist, darüber zu diskutieren. Diese Themen, steuerliche Gleichstellung der Homo-Ehe, die sogenannte Mütterrente, das steht ganz plakativ im Mittelpunkt dieses Parteitags. Nicht die eben von mir genannten großen, wirklich großen Themen, und das zeigt, dass gesellschaftspolitische Fragen im Herzen der Partei sind, dass sie darüber diskutieren will, dass sie sich daran, an der Debatte über diese Themen als eine werteorientierte Partei verstehen will. Wie das dann im Einzelnen ausgeht, das muss man dann sehen. Die Diskussion ist das Entscheidende im Selbstverständnis dieser Partei.
Und im Übrigen sind auch die Stammwähler der CDU, auch auf dem Lande und in den katholischen Gegenden, nicht mehr die, die sie in den 50er-, 60er-, ja in den 70er- und 80er-Jahren gewesen sind. Da hat sich auch eine Verschiebung vollzogen. Dieses konservative Milieu, das gibt es im Grunde gar nicht mehr, von dem noch Helmut Kohl manchmal gesprochen hat.
Hatting: Herr Nolte, jetzt haben wir über die verschiedenen Strömungen in der Partei gesprochen, da gibt es ja auch Streit, es gibt Papiere zur Modernisierung, dann gibt es wieder andere, die das nicht wollen. Ist die Parteichefin Angela Merkel der Joker, der diese Strömungen zusammenhält, indem er eigentlich gar nichts macht, sondern einfach die Leute reden lässt?
Nolte: Na ja, Joker wäre das falsche Wort - ein Joker macht ja was, der sticht auf einmal alles weg. Ich würde sagen, Angela Merkel hat ihre Rolle tatsächlich geändert. Sie musste ihre Rolle auch ändern. Sie ist von der Reformerin, vom linksreformerischen Flügel, von der linksreformerischen Avantgarde stärker ins Zentrum der Partei gerückt und erfüllt jetzt tatsächlich mehr die Rolle einer Stabilisatorin des Mainstreams. Sie hält den Laden jetzt zusammen, übrigens eine Entwicklung in mittlerweile ja auch bemerkenswerten zwölf Jahren des Parteivorsitzes, die der Entwicklung von Helmut Kohl auch ähnelt.
Auch ein Weg vom reformerischen Sturm und Drang am opponierenden linken Flügel der Partei in die Mitte. Vielleicht sehen wir tatsächlich jetzt - nicht unbedingt heute oder morgen, buchstäblich, aber in diesen Tagen, so etwas wie den Höhepunkt der Stellung Angela Merkels. Wir müssen also auch schauen bei diesem Parteitag, was machen die Jüngeren und damit, würde ich auch sagen, die wirklich Jüngeren, die jüngere Generation, die 15 Jahre nach Angela Merkel kommt.
Hatting: Apropos jüngere Generation. Die kann sich ja durchaus ein schwarz-grünes Bündnis vorstellen, und Sie haben ja schon zu Beginn des Gesprächs angedeutet, dass die Grünen sich im Prinzip, wenn man so will, von der anderen Seite auf die CDU zu bewegen, die verbürgerlichen nämlich immer mehr.
Spitzenkandidat Jürgen Trittin macht den Nationalökonomen, Göring-Eckardt steht für bürgerliche und christliche Werte. Ist das der wahre Wunschpartner der Union und dementiert sie es deshalb, genau deshalb so heftig?
Nolte: Ja, wahrer Wunschpartner ist wahrscheinlich nicht ganz falsch gesagt. Jedenfalls sind die Grünen für die CDU, auch wenn sie das gerade in diesen Tagen natürlich und sicher auch noch im bevorstehenden Wahlkampf bis zum nächsten Herbst heftig abstreitet, die Grünen sind für die CDU mehr ein Wunschpartner, als das umgekehrt der Fall ist.
Und zwar aus zwei Gründen: Ich habe das Gefühl, da gibt es doch sozusagen auch eine inhaltliche, eine emotionale Sehnsucht auch danach, die man beschreiben könnte mit diesem etwas abgedroschenen, aber nicht ganz falschen Bild, da wollen wir sozusagen unsere verloren gegangenen Kinder wieder einfangen, so wie die SPD ja auch ihre Kinder einfangen wollte in der rot-grünen Koalition. Das sind doch unsere Bürgerkinder, die haben doch aus sehr wertorientierten Motiven ja gekämpft gegen Menschenrechtsverletzungen, für einen Schutz der Umwelt.
Also das ist der eine Gesichtspunkt, und der andere ist natürlich ein Machtkalkül, ein machtpolitischer Faktor, die CDU muss beweisen, dass sie mehr als, ja, mit einer kleinen Partei kann. Die Große Koalition gibt es immer noch, aber da will man nicht hin zurück, die SPD noch viel weniger. Sich nur auf die FDP verlassen zu müssen, das ist eine schlechte Situation, eine ganz gefährliche Situation.
Insofern gilt Schwarz-Grün auch nicht nur als ein Experiment, als eine Nagelprobe für die CDU, sondern für die Wandlungsfähigkeit unseres Parteien- und Koalitionssystems überhaupt. Sehen wir eigentlich noch einmal etwas anderes als Schwarz-Gelb und Rot-Grün, was, in Anführungszeichen, "kleine Koalitionen" angeht? Das ist ja auch eine Frage an die SPD.
Hatting: Der Historiker und Publizist Paul Nolte mit einer Standortbestimmung der CDU vor ihrem Bundesparteitag in Hannover. Ich danke Ihnen für das Gespräch, Herr Nolte!
Nolte: Ja, vielen Dank, Herr Hatting!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Diese Themen bei den wertkonservativen Christdemokraten? Wofür steht die CDU heute eigentlich noch? Darüber möchte ich jetzt mit Paul Nolte sprechen. Er ist Professor für neuere Geschichte an der Freien Universität Berlin. Guten Morgen, Herr Nolte!
Paul Nolte: Ja, schönen guten Morgen, Herr Hatting!
Hatting: Die CDU 2012 – weder rechts noch konservativ, sondern schön mittig. Gehen Sie da mit?
Nolte: Ja, da gehe ich mit. Die Partei ist immer schon ihrem Anspruch natürlich nach eine Partei der Mitte gewesen. Das ist ein Etikett, das ihr Helmut Kohl schon, sozusagen einen großen Regierungszyklus vor Angela Merkel versucht hat, zu verpassen. Man muss auch aufpassen, dass man nicht auf die Selbststilisierung der Partei hineinfällt. Das ist natürlich auch eine Selbstwerbung. Wenn man auf die Website geht, dann steht da auch ganz groß: die Mitte, die CDU.
Also Vorsicht: In unserem Parteiengefüge markiert die CDU natürlich immer noch das, was eher im demokratischen Spektrum der rechte Pol ist. Das kann man ruhig so sagen, aber dieser rechte Pol hat sich eben ganz weit in die Mitte verschoben, gerade im Vergleich mit den politischen Kulturen anderer Länder. Wenn wir uns die Republikaner in den USA nur zum Beispiel einmal angeschaut haben in den letzten Wochen.
Hatting: Würden Sie sagen, dass die Verschiebung des rechten Pols zur Mitte ein Vorteil ist? Ich erinnere daran, dass Sie nach dem Abgang Roland Kochs 2010 in einem Artikel geschrieben haben, dass die Fragen konservativer Menschen an die Gegenwart wichtiger denn je sei. Jetzt aber das "Mittelmaß", in Anführungszeichen - haben Sie Ihre Meinung da ein bisschen geändert?
Nolte: Nein, ich habe immer schon gesagt, diejenigen, die in der CDU laut schreien, die Partei müsse sich wieder zurück dorthin bewegen, wo die vermeintlichen Stammwähler sind und dafür vielleicht die Mitte, die gesellschaftliche Veränderung, die neuen Milieus, die Frauen, die jungen Menschen, die internetaffinen, die Großstädte – man könnte eine lange Reihe aufzählen – dafür etwas mehr preisgeben, diese Menschen irren. Die CDU steht nicht, und – auf eine vielleicht auch bemerkenswerte Weise – nicht in der Gefahr, ihre eigentlichen Stammwähler zu verlieren. Es ist im Grunde so, dass die konservativen Stammwähler immer noch die CDU dann auch mitwählen, wenn die Partei sich ein Stück weit in die Mitte, nach links oder zu sozialpolitisch moderneren Positionen geöffnet hat.
Im Grunde gelingt der CDU da ein Spagat, der spiegelbildlich gar nicht so unähnlich ist dem ebenso bemerkenswerten Spagat, den die Grünen ja vollbringen, sich in die bürgerliche, auch, darf man manchmal sagen, wertkonservative Sphäre zu öffnen. Aber gleichwohl, ihre - ich sag’ es mal etwas zugespitzt -, ihre Revoluzzer-, ihre Protesthaltung, ihren Fundamentalismus doch auch an der Basis nicht ganz aufzugeben.
Hatting: Ja, Herr Nolte, auf die Grünen komme ich gleich noch mit Ihnen zu sprechen. Noch mal zurück zu den Stammwählern der CDU: Glauben Sie wirklich, dass der Spagat, von dem Sie gesprochen haben, zwischen moderneren Themen einerseits und den wertkonservativen gelingt? Also glauben Sie, dass Stammwähler auf dem Land Frauenquote, Mindestlohn und Gleichstellung der Homo-Ehe wirklich gut finden?
Nolte: Ja, die finden das nicht immer alles gut, aber die finden es gut, dass darüber diskutiert wird. Ich würde auch die Debatten, die wir jetzt beobachten können in den nächsten Tagen, so verstehen - das sind ja vergleichsweise, mit Verlaub, mit den Projekten, vor denen unser Land sonst steht, Energiewende, Außen- und Sicherheitspolitik, steht uns irgendwo ein neuer Krieg im Nahen Osten bevor, die Europäische Union und die Währungsunion und mehr als das, zerfallen vielleicht, müssen bewahrt werden unter höchsten Anstrengungen - sind das doch vergleichsweise geringe Themen, bei allem Respekt für die Menschen, die davon betroffen sind.
Entscheidend ist aber, dass die Partei darüber diskutiert und dass es ihr wichtig ist, darüber zu diskutieren. Diese Themen, steuerliche Gleichstellung der Homo-Ehe, die sogenannte Mütterrente, das steht ganz plakativ im Mittelpunkt dieses Parteitags. Nicht die eben von mir genannten großen, wirklich großen Themen, und das zeigt, dass gesellschaftspolitische Fragen im Herzen der Partei sind, dass sie darüber diskutieren will, dass sie sich daran, an der Debatte über diese Themen als eine werteorientierte Partei verstehen will. Wie das dann im Einzelnen ausgeht, das muss man dann sehen. Die Diskussion ist das Entscheidende im Selbstverständnis dieser Partei.
Und im Übrigen sind auch die Stammwähler der CDU, auch auf dem Lande und in den katholischen Gegenden, nicht mehr die, die sie in den 50er-, 60er-, ja in den 70er- und 80er-Jahren gewesen sind. Da hat sich auch eine Verschiebung vollzogen. Dieses konservative Milieu, das gibt es im Grunde gar nicht mehr, von dem noch Helmut Kohl manchmal gesprochen hat.
Hatting: Herr Nolte, jetzt haben wir über die verschiedenen Strömungen in der Partei gesprochen, da gibt es ja auch Streit, es gibt Papiere zur Modernisierung, dann gibt es wieder andere, die das nicht wollen. Ist die Parteichefin Angela Merkel der Joker, der diese Strömungen zusammenhält, indem er eigentlich gar nichts macht, sondern einfach die Leute reden lässt?
Nolte: Na ja, Joker wäre das falsche Wort - ein Joker macht ja was, der sticht auf einmal alles weg. Ich würde sagen, Angela Merkel hat ihre Rolle tatsächlich geändert. Sie musste ihre Rolle auch ändern. Sie ist von der Reformerin, vom linksreformerischen Flügel, von der linksreformerischen Avantgarde stärker ins Zentrum der Partei gerückt und erfüllt jetzt tatsächlich mehr die Rolle einer Stabilisatorin des Mainstreams. Sie hält den Laden jetzt zusammen, übrigens eine Entwicklung in mittlerweile ja auch bemerkenswerten zwölf Jahren des Parteivorsitzes, die der Entwicklung von Helmut Kohl auch ähnelt.
Auch ein Weg vom reformerischen Sturm und Drang am opponierenden linken Flügel der Partei in die Mitte. Vielleicht sehen wir tatsächlich jetzt - nicht unbedingt heute oder morgen, buchstäblich, aber in diesen Tagen, so etwas wie den Höhepunkt der Stellung Angela Merkels. Wir müssen also auch schauen bei diesem Parteitag, was machen die Jüngeren und damit, würde ich auch sagen, die wirklich Jüngeren, die jüngere Generation, die 15 Jahre nach Angela Merkel kommt.
Hatting: Apropos jüngere Generation. Die kann sich ja durchaus ein schwarz-grünes Bündnis vorstellen, und Sie haben ja schon zu Beginn des Gesprächs angedeutet, dass die Grünen sich im Prinzip, wenn man so will, von der anderen Seite auf die CDU zu bewegen, die verbürgerlichen nämlich immer mehr.
Spitzenkandidat Jürgen Trittin macht den Nationalökonomen, Göring-Eckardt steht für bürgerliche und christliche Werte. Ist das der wahre Wunschpartner der Union und dementiert sie es deshalb, genau deshalb so heftig?
Nolte: Ja, wahrer Wunschpartner ist wahrscheinlich nicht ganz falsch gesagt. Jedenfalls sind die Grünen für die CDU, auch wenn sie das gerade in diesen Tagen natürlich und sicher auch noch im bevorstehenden Wahlkampf bis zum nächsten Herbst heftig abstreitet, die Grünen sind für die CDU mehr ein Wunschpartner, als das umgekehrt der Fall ist.
Und zwar aus zwei Gründen: Ich habe das Gefühl, da gibt es doch sozusagen auch eine inhaltliche, eine emotionale Sehnsucht auch danach, die man beschreiben könnte mit diesem etwas abgedroschenen, aber nicht ganz falschen Bild, da wollen wir sozusagen unsere verloren gegangenen Kinder wieder einfangen, so wie die SPD ja auch ihre Kinder einfangen wollte in der rot-grünen Koalition. Das sind doch unsere Bürgerkinder, die haben doch aus sehr wertorientierten Motiven ja gekämpft gegen Menschenrechtsverletzungen, für einen Schutz der Umwelt.
Also das ist der eine Gesichtspunkt, und der andere ist natürlich ein Machtkalkül, ein machtpolitischer Faktor, die CDU muss beweisen, dass sie mehr als, ja, mit einer kleinen Partei kann. Die Große Koalition gibt es immer noch, aber da will man nicht hin zurück, die SPD noch viel weniger. Sich nur auf die FDP verlassen zu müssen, das ist eine schlechte Situation, eine ganz gefährliche Situation.
Insofern gilt Schwarz-Grün auch nicht nur als ein Experiment, als eine Nagelprobe für die CDU, sondern für die Wandlungsfähigkeit unseres Parteien- und Koalitionssystems überhaupt. Sehen wir eigentlich noch einmal etwas anderes als Schwarz-Gelb und Rot-Grün, was, in Anführungszeichen, "kleine Koalitionen" angeht? Das ist ja auch eine Frage an die SPD.
Hatting: Der Historiker und Publizist Paul Nolte mit einer Standortbestimmung der CDU vor ihrem Bundesparteitag in Hannover. Ich danke Ihnen für das Gespräch, Herr Nolte!
Nolte: Ja, vielen Dank, Herr Hatting!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.