Christopher Clark: "Von Zeit und Macht"
München: DVA, 2018
313 Seiten, 26 Euro
"Wir haben den Glauben an die Zukunft verloren"
Uns fehle Zukunftsvertrauen. "Stattdessen bieten Populisten eine erfundene Vergangenheit an", sagt Bestsellerautor Christopher Clark. Im Buch "Von Zeit und Macht" beleuchtet er, wie sich Regierende historisch positionierten und zieht Parallelen zum Jetzt.
Seit dem sensationellen Erfolg seines Buches "Die Schlafwandler" über den Ausbruch des Ersten Weltkriegs ist der Australier Christopher Clark in Deutschland einer der berühmtesten Historiker. Jetzt hat er ein Buch zu einem ganz anderen Thema veröffentlicht: "Von Zeit und Macht. Herrschaft und Geschichtsbild vom Großen Kurfürsten bis zu den Nationalsozialisten".
Auf die Frage, warum er nach dem "Schafwandler"-Erfolg kein Buch über den Ersten Weltkrieg und das Kriegsende 1918 vorgelegt habe, winkt Clark ab: Der Kriegsausbruch habe ihn interessiert, aber der Krieg selbst sei nicht sein Thema. Stattdessen hat Clark die Geschichtspolitik deutscher Herrschergestalten vom 17. bis zum 20. Jahrhundert untersucht: Wie sind sie mit Geschichte umgegangen und wie haben sie sich auf der historischen Bühne platziert?
Als dem Begriff "Geschichte" noch die Aura fehlte
Bemerkenswert ist die Politik, die der älteste der untersuchten Potentaten, der Große Kurfürst von Brandenburg, Friedrich Wilhelm, verfolgte. Für ihn hatte der Begriff "Geschichte" noch nicht die Aura, die er später bekam. Stattdessen spielte für ihn die Zukunftssicherung die entscheidende Rolle. Er setzte alles daran, sein Land vor einer Katastrophe wie dem Dreißigjährigen Krieg zu bewahren. Alte Provinz-Privilegien schaffte er ab, um mit dem Aufbau kurfürstlicher Streitkräfte sein Land vor künftigen militärischen Bedrohungen bewahren.
Clark verbindet diesen Umgang mit einer historischen Situation mit dem Heute: einer Zeit, in der die Zukunftsbewältigung eine enorme Herausforderung bedeutet. Aber nicht wenige Politiker haben heute ein ausgeprägtes Bedürfnis, mit einer eingebildeten Geschichte zu spielen. Make America great again. Groß-Ungarn. Freies Großbritannien.
"Die Zukunft der Moderne erscheint erschöpft"
Das Problem der Gegenwart sei, so Clark, dass uns der Glaube an die Zukunft verloren gegangen sei: "Die Zukunft der Moderne erscheint erschöpft. Die liberale Demokratie hat nicht mehr die Zukünftigkeit, die man ihr zugeschrieben hatte." Der verlorene Glaube an die Zukunft, die Verunsicherung angesichts der Krisen, sei das Problem der Gegenwart.
Davon würden die Populisten profitieren, die sagen: "Die Zukunft ist aus, wir schalten sie aus, und stattdessen bieten wir eine eigentlich erfundene Vergangenheit an." Christopher Clark hält es daher für vordringlich, die Zukunft neu zu besetzen.