Christopher Clark: "Gefangene der Zeit. Geschichte und Zeitlichkeit von Nebukadnezar bis Donald Trump"
DVA, 2020
336 Seiten, 26 Euro
"Wir müssen das Endzeitgefühl überwinden"
10:30 Minuten
Historiker Christopher Clark warnt vor einem verbreiteten Endzeitgefühl und fordert dazu auf, die Zukunft angesichts von Problemen wie dem Klimawandel neu zu kartieren. Zugleich geht er scharf mit dem britischen Chef-Strategen des Brexit ins Gericht.
Für den Historiker Christopher Clark ist klar: Wir leben einer Zeit extremer Herausforderungen, um die Zukunft zu sichern. Gebraucht würden Politiker mit Weitblick und der Fähigkeit, Lösungen für komplexe Probleme zu finden, betont er im Interview. Zugleich sei eine ganz andere Entwicklung auf dem Vormarsch: "Eine Kohorte aggressiver, gebieterischer Persönlichkeiten ist weltweit an der Spitze vieler politischer Strukturen aufgetaucht", heißt es in seinem neuen Buch "Gefangene der Zeit".
Als wichtigste Ursache für die Verrohung der politischen Kultur sieht er den Vertrauensverlust der Regierten gegenüber den Staatswesen der Welt. Mit der großen Wirtschaftskrise habe die Glaubwürdigkeit der Banken und der Finanzinstitutionen gelitten – und der Expertise überhaupt. Aus Sicht Clarks erkläre der große Krach des globalen wirtschaftlichen Systems auch das Phänomen Trump, den Bruch zwischen den alten Wall-Street-Konservativen der Ostküste in der Republikanischen Partei und den Konservativen im Mittleren Westen. Diese wollten eine neue Politik, wie Trump sie verkörperte. Trump sei ein Symptom des Problems.
Trump und Kaiser Wilhelm II. sind sich ähnlich
Christopher Clark vergleicht US-Präsident Donald Trump mit Kaiser Wilhelm II. – mit dessen Mangel an Empathie, dem aggressivem Umgang mit Gesprächspartnern, auch ausländischen Staatsoberhäuptern, und kommt zu dem Schluss:
"So eine einmalige deutsche Katastrophe war Wilhelm II. nicht. Auch eine reife, selbstbewusste Demokratie kann so was hervorbringen. Das gibt natürlich zu denken. Das macht Wilhelm II. nicht besser als er war, aber es ändert den Bezugsrahmen. Dass so etwas wie Trump heute möglich ist in den Vereinigten Staaten von Amerika."
Die Zeit heute sei davon geprägt, dass wieder Politiker als taktisch handelnde Machtmenschen hervortreten. Vor allem in Großbritannien habe man dies beobachten können. Ein besonders interessantes Phänomen ist für Clark der ehemalige Chefberater von Premierminister Boris Johnson, Dominic Cummings, der eine entscheidende Rolle bei der Brexit-Strategie gespielt hat. Cummings ist studierter Historiker und hat sich Bismarck zum Vorbild genommen.
"Was er an Bismarck so schätzt, ist die Unberechenbarkeit, die Bereitschaft, aus Freunden Feinde zu machen und aus Feinden Freunde, von einem Tag auf den nächsten", betont Clark. "Die Bereitschaft, seine Prinzipien außen vor zu lassen, zu improvisieren und mit denen zu reden, von denen man gemeint hat, Bismarck wird mit denen nie paktieren. Die Ruchlosigkeit hat Dominik Cummings fasziniert."
Bismarck und der Brexit
Clark erinnert daran, dass schon Bismarcks Politik zukunftslos gewesen sei. Die nationale Einigung habe das verdeckt, weil der Nationalismus auf seiner Seite war.
"Aber als das Ziel erreicht war, zeigte sich langsam die Armut der Bismarckschen Politik. Dass es eigentlich nur eine Politik des Status quo war und keine Entwicklungsmöglichkeiten anbot. Und das ist bei Dominic Cummings, glaube ich, nicht anders", urteilt Clark. Cummings sei kein Architekt einer Zukunft, sondern eher ein Zerstörer gegenwärtiger Strukturen.
Klimawandel als immense Gefahr
Clark weist darauf hin, dass wir mit dem Klimawandel vor immensen Gefahren stehen, warnt aber vor dem verbreiteten Endzeitgefühl:
"Denn das Gefühl einer Endzeit lähmt uns. Wir müssen das Endzeitgefühl als Gefühl überwinden und trotz allem die Zukunft neu kartieren und besetzen. Wir müssen die Passivität, die durch das Endzeitgefühl hervorgerufen wird, überwinden."