Historiker Dan Diner

"Die Kindheit war der Nährboden für meine historische Neugier"

33:58 Minuten
Dan Diner trägt einen Anzug und blickt freundlich in die Kamera
Ein Leben in zwei Ländern: Dan Diner hat sowohl in Deutschland, als auch in Israel gelebt und gearbeitet © The University of Chicago
Moderation: Klaus Pokatzky |
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Der jüdische Historiker Dan Diner wurde nach dem Krieg in einem Lager für "displaced persons" geboren. Seine Lebensgeschichte spiegelt sein Lebensthema wider: Die schwierige Annäherung zwischen Deutschland und Israel.
Ein fremder Blick auf Fremdes sei sie gewesen: So beschreibt der Historiker Dan Diner seine Perspektive auf das Deutschland der Nachkriegszeit, das er als Kind jüdischer Flüchtlinge erlebte. Den Blickwinkel des distanzierten Beobachters hat der Historiker später zum Beruf gemacht. Dabei beschäftigt ihn bis heute die Frage nach Gedächtnis und Erinnern.
"Ich bin in München geboren, aber nicht in Deutschland", sagt Diner. Was paradox klingt, erklärt sich aus den Umständen seiner Geburt: Als Kind osteuropäischer Juden, die während des Holocaust ihre gesamte Familie verloren hatten, kam Dan Diner 1946 in einem Lager für "displaced persons" zur Welt. Später zog die Familie nach Israel, um 1954 wieder nach Deutschland zurückzukehren. Das stieß bei Freunden und Bekannten in Israel auf Unverständnis. "Es wurde als Tabubruch angesehen, als etwas, das die jüdische Staatsgründung gleichsam ungeschehen macht, als ob man über das hinweg geht, was geschehen ist", sagt er.

Im Strudel der '68er

Über ihre Erlebnisse während des Zweiten Weltkriegs sprachen seine Eltern nicht. Trotzdem sei der Krieg jederzeit spürbar gewesen, sagt der 72-Jährige. All die unbeantworteten Fragen wurden der Nährboden für seine historische Neugier. Doch zuerst studierte er im Frankfurt am Main der 60er-Jahre Rechtswissenschaften – und geriet in die Studentenproteste 1968:
"Einerseits war '68 natürlich ein sehr positives Fanal: Gerade für die jüdischen Jugendlichen und Studenten war das so, als ob sich jetzt ihre deutschen Altersgenossen der Vergangenheit ihrer Eltern in einer vehementen Form der Ablehnung zuwenden. Aber gleichzeitig und gerade auch in den späteren Jahren gab es insofern eine gewisse Form der Distanzierung, als man den Eindruck hatte, dass dies auch einhergeht mit einen Wiederaufflackern oder Öffentlichwerden von ganz bestimmten anti-jüdischen Ressentiments."

Kein Bann mehr über Deutschland

Nach der Habilitation wandte er sich ganz den geliebten Nebenfächern zu: Geschichte, Soziologie und Orientalistik. An der Hebräischen Universität in Jerusalem hatte er später eine Professur für Moderne Geschichte inne, in Leipzig leitete er viele Jahre lang das Simon-Dubnow-Institut für Jüdische Geschichte und Kultur.
Durch das Leben und Arbeiten in beiden Ländern nahm er einen allmählichen Wandel des Deutschland-Bilds in Israel wahr: Den "Bann" über Deutschland gebe es heute nicht mehr, sondern im israelischen Bewusstsein liefen gleichsam zwei Filme ab: "Der eine ist in Schwarz-Weiß, also wie ein Dokumentarfilm, und reflektiert die Vergangenheit, die Deutschland betrifft. Der andere läuft in Farbe, also: Bundesliga, Automobilindustrie, Kultur." Über die schwierige Annäherung zwischen Israel und Deutschland hat der Historiker mehrere Bücher geschrieben, sowie über Geltung und Wirkung des Holocaust. In seinem neuesten Großprojekt widmet er sich einer globalen Gedächtnisgeschichte, die neben der traditionellen West-Ost-Perspektive den Blick auf den Süden richtet.
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