Historiker fordert Umbenennung von Petersen-Plätzen

Benjamin Ortmeyer im Gespräch mit Jürgen König |
Der Antisemitismus-Forscher Benjamin Ortmeyer hat sich nachdrücklich für eine Umbenennung von Straßen, Plätzen und Einrichtungen ausgesprochen, die den Namen des Reformpädagogen Peter Petersen tragen.
König: Wie wurden Sie gestern Abend empfangen, als Nestbeschmutzer oder als Mann, der das Licht der Erkenntnis nach Jena bringt?

Ortmeyer: Weder noch. Ich denke, die Nestbeschmutzerfraktion der älteren Herrschaften, die in der NS-Zeit sozialisiert wurden und einfach nicht wahrhaben wollen, was Peter Petersen in dieser Zeit veröffentlicht hat, waren natürlich zum Teil unangenehm, aber das muss man auch verstehen. Dann war sehr viel Interesse, wir haben ja 100 Broschüren ausgelegt mit den Dokumenten aus der NS-Zeit, in denen die Leute wirklich lesen konnten, dass es hier nicht um aus dem Zusammenhang gerissene Zitate geht, sondern um wirklich NS-Propaganda, die Peter Petersen betrieben hat. Und das stieß auch auf Interesse und auf Nachdenklichkeit, vielleicht auch bei diesen oder jenen der alten Peter-Petersen-Schülerinnen aus der NS-Zeit, die zu 10, 12, 15 Leuten anwesend waren.

König: Erklären Sie noch einmal kurz den Kern Ihrer Forschungsergebnisse. Sie sagen, Petersen war ein Rassist, ein Antisemit und belegen das womit genau?

Ortmeyer: Also Petersen hat Artikel veröffentlicht, in denen er vor der Rassenmischung eindeutig gewarnt hat. Im Vorspann dieser Sendung jetzt eben wurde ja auch zitiert, dass er nach 1945 nun nicht unter den Bedingungen einer Diktatur veröffentlicht hat, dass er Hitler vorwirft, dass er die Rasseneinheit, nicht Rassenreinheit, nicht durchgesetzt hat, also sozusagen eine Kritik von rechts an Hitler. Und diese rassischen … Ja, er hat ja auch den Krieg verloren und hat angekündigt, er gewinnt, das fanden die Leute natürlich auch nicht witzig, und er hat die Rassenreinheit versprochen. Und jetzt laufen da amerikanische Soldaten mit schwarzer Hautfarbe und vielleicht überlebende Juden und Slawen herum. Das ist eine Mentalität, die können wir uns gar nicht vorstellen, die war eben aber so und ist ja dokumentiert und belegt. Und die Motive, die Herrn Petersen getrieben haben, das ist eine andere Frage, aber erst mal muss man die Fakten sehen. Und das war der Sinn dieses Abends, die Fakten auf den Tisch zu legen, und an diesen Fakten kommt eben niemand vorbei.

König: Was halten Sie denn vom Reformpädagogen Petersen?

Ortmeyer: Ich bin ein ausgesprochener Freund von allen emanzipatorischen pädagogischen Ansätzen, und Petersen hat 27 einem rechten Flügel der Pädagogen angehört, die Linken, an der SPD orientierten, hießen "Die entschiedenen Schulreformer", hat aber dennoch als werbewirksame Maßnahme 27 die Ideen internationaler Reformpädagogen in diesem Jena-Plan gebündelt, und vieles davon ist absolut klar und brauchbar. Wir wollen alle nicht die Prügelstrafe, aber das ist nicht der Verdienst von Herrn Petersen, das abgeschafft zu haben, aber immerhin, er hat das auch propagiert, dass man das abschaffen soll. Und in vielerlei Hinsicht hat er dieser alten Kathederpädagogik eben Paroli geboten und war der Repräsentant, obwohl er's eigentlich nicht war, aber er galt als der große Mann der Reformpädagogik in Deutschland. Andere sind durch die NS-Zeit umgekommen, wie Clara Grunewald, die in Auschwitz ermordet wurde. Fritz Karsen musste emigrieren, deren Name kennt in Deutschland interessanterweise nach 1945 kaum jemand. Bekannt ist derjenige, der in der NS-Zeit sozusagen durchgehalten hat, Peter Petersen, und das ist natürlich auch eine historische Ungerechtigkeit gegenüber den anderen Reformpädagogen.

König: In der gestrigen Ausgabe der "taz" schrieben Sie, Herr Ortmeyer, dass Petersen nach dem Zweiten Weltkrieg schon allenthalben geächtet war wegen seiner NS-Schriften. Dass seine Ideen dann wiederbelebt wurden, Zitat, "im Rahmen der sozialdemokratischen Bildungsreform Ende der 60er und dann in den 70er-Jahren", das fand ich frappierend. Diese Nazitexte von Petersen, kannte man sie in den 60ern schlicht nicht mehr oder wollte man von ihnen nichts wissen?

Ortmeyer: Also diese Texte sind ja schon in der DDR-Zeit, vor der DDR-Zeit und auch in der Bundesrepublik zum Thema gemacht worden. Poliakov, ein jüdischer Historiker, hatte 1959 vor Petersen noch gewarnt, aber das hat man nicht einfach zur Kenntnis genommen oder als DDR-Propaganda abgetan oder ich weiß nicht genau die Motive der damaligen Zeit. Fest steht, da Peter Petersen ein Praktiker war – andere, die ich auch in meiner Analyse auseinandergenommen habe, waren mehr die theoretische Seite der [Anm. d. Red.: Auslassung, da unverständlich]

König: Eduard Spranger, Hermann Nohl, Erich Weniger.

Ortmeyer: Danke, ja genau. Das waren mehr am Gymnasium orientierte, am dreigliedrigen Schulsystem orientierte große Erziehungswissenschaftler. Und jetzt suchte man als Gegengewicht jemand, der eben für die langjährige Grundschule war, eher Richtung Gesamtschule tendierte, und das war pädagogisch eindeutig Peter Petersen. Und so kam es, dass er sozusagen ein Reload erlebt hat, wieder produziert wurde, wieder in hoher Auflage vertrieben wurde und ganz viele Schulen nach ihm benannt wurden.

König: Aber trotzdem wundert man sich, warum jetzt Ihr Buch eine solche Wirkung hat, wo doch auch wirklich seit Jahrzehnten im Grunde alle wissen oder wissen könnten, was Petersen für einer war.

Ortmeyer: Ja, da haben Sie recht, da müssen Sie natürlich vor allen Dingen die Forschungsstellen befragen, die sich professionell oder auch ehrenamtlich, je nach Planforschungsstellen, mit diesem Thema eigentlich beschäftigen hätten müssen und die natürlich jetzt extrem, ja, sich angegriffen fühlen und mit irgendwelchen Argumenten versuchen so zu tun, als würde das alles nicht stimmen. Das ist ein Problem der Schülerschaft von Peter Petersen, die wie eine geschworene Gemeinschaft – ein zentraler Begriff, den ich sehr furchtbar finde, diesen Gemeinschaftsbegriff, da steckt Chorgeist drin … Und so hat man ja im Grunde genommen …

König: Aber Entschuldigung, aber das müssen doch schon ältere Herrschaften sein, wenn die sagen, die Schüler von Peter Petersen.

Ortmeyer: Die Schüler von Peter Petersen sind alles ältere Herrschaften, haben wiederum ihre Schüler, akademische Schüler meine ich, wenn Sie das bitte verstehen, die also dann 1950 oder 49 noch bei ihm promoviert haben, oder 47. Das sind einfach dann die Leute, die jetzt bis 1980/90 den Laden dichtgehalten haben, auch faktisch dafür gesorgt haben, dass bestimmte Dokumente nicht ans Licht der Öffentlichkeit kommen. Und die sind jetzt nicht mehr da, wie Sie ja richtig vom Alter festgestellt haben. Und das ist sicherlich mit ne Erklärung, dass jetzt die Blase platzt und dass diese Glocke des Verschweigens sich nicht mehr halten lässt.

König: Einige Peter-Petersen-Schulen haben aufgrund ihrer Erkenntnisse ja den Namen schon gewechselt. Glauben Sie, dass diese Peter-Petersen-Schulen, -Straßen, -Plätze jetzt verschwinden werden?

Ortmeyer: Es wäre eine Katastrophe, wenn das nicht geschieht. Es klang auch gestern in Jena an, dass man den Namen beibehalten möchte und nur dokumentieren möchte, dass Peter Petersen zwei Seiten hat. Aber überlegen Sie sich, was das bedeutet: Sie zitieren diese rassistischen Äußerungen und sagen dann, das ist aber gar nicht so schlimm, er war doch ein großer Reformpädagoge. Das klingt fast so wie, der Hitler hat doch die Autobahnen gebaut. Man kann nicht die beiden Dinge nebeneinanderstellen, abwägen und dann sagen, die NS-Propaganda ist nicht so schlimm. Das wäre für das Renommee der Schulen und für das Renommee der Stadt Jena eine wirkliche Katastrophe. Und ich denke, jeder, der irgendwie Sympathie mit den Verfolgten des NS-Regime hat, kann diese unerträgliche Nazipropaganda von Petersen nicht abwägen mit dieser oder jenen vernünftigen Idee, die er aus internationaler Reformpädagogik nach Deutschland gebracht hat.

König: Der Pädagoge Peter Petersen als nazitreuer Antisemit. Ein Gespräch mit dem Frankfurter Erziehungswissenschafter Benjamin Ortmeyer. Sein Buch "Mythos und Pathos statt Logos und Ethos", "zu den Publikationen führender Erziehungswissenschaftler in der NS-Zeit", so der Untertitel, dieses Buch ist im Beltz-Verlag erschienen. Herr Ortmeyer, vielen Dank!

Ortmeyer: Ja, ich danke auch.
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