Man muss das RKI umbenennen
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Besonders in der Corona-Pandemie haben die Erkenntnisse des Robert Koch-Instituts (RKI) einen hohen Stellenwert. Doch sein Namensgeber ging für seine Forschungen auch über Leichen. Historiker Jürgen Zimmerer fordert eine Umbenennung.
Ute Welty: Krankheitsüberwachung und Krankheitsprävention, das sind die zentralen Aufgaben des Robert Koch-Instituts. Die Einrichtung gehört zum Geschäftsbereich des Gesundheitsministeriums, und Namensgeber ist der Mediziner und Mikrobiologe Robert Koch, der heute vor 110 Jahren stirbt, und dessen Urne im Institut beigesetzt wird. Koch steht für Fortschritt und Forschergeist, aber er geht auch über Leichen, zum Beispiel auf der Suche nach einem Mittel gegen die Schlafkrankheit.
Jürgen Zimmerer ist Professor für die Geschichte Afrikas am Institut für Globalgeschichte der Universität in Hamburg, und er hat sich mit Kochs Menschenversuchen in Ostafrika intensiv beschäftigt. Was gibt Ihnen das Recht, über Koch so zu urteilen, dass Sie sagen, das Robert Koch-Institut braucht einen anderen Namen?
Zimmerer: Also zunächst mal die Quellenlage. Wenn man sich die Biografie Robert Kochs anguckt und eben auch die Kapitel seines Lebens, die auf der Webseite des Robert Koch-Instituts ein bisschen ominös mit "Die dunkelsten Kapitel seiner Laufbahn" überschrieben werden, im Einzelnen untersucht, dann merkt man: Da ist ein Mensch, der es mit der ethischen Verpflichtung eines Arztes in seiner Forschung eben nicht so genau nimmt, zumindest dann nicht, wenn diese in Afrika stattfindet.
Experimente zur Schlafkrankheit in Deutsch-Ostafrika
Welty: Welche Forschung hat Koch denn in Afrika betrieben?
Zimmerer: Er wurde im Dienste der deutschen Kolonialverwaltung – er war oft auf Reisen, oft in Diensten der britischen und der deutschen Kolonialverwaltung, er war also auch Deutschlands bekanntester Kolonialmediziner sozusagen – nach Deutsch-Ostafrika, dem heutigen Tansania, geschickt, um eben die Schlafkrankheit zu bekämpfen, eine tödliche Krankheit, die zu Zehntausenden von Opfern führte und eben auch die afrikanische Arbeitskraft eben gefährdete, und deshalb wollte man sie bekämpfen.
Die Erreger kannte man, er suchte ein Mittel und experimentierte mit diesem arsenhaltigen Mittel Atoxyl, von dem man wusste schon zeitgemäß, dass es Nebenwirkungen hervorruft, es war eine Frage der Dosierung. Das Problem tritt auf, als er eben an Afrikanerinnen und Afrikanern dieses Mittel testete ohne deren Einwilligung und in deutlich höheren Dosen, als man zum Beispiel in Berlin in einem vergleichbaren Fall anwandte.
Und dann traten Nebenwirkungen auf, nämlich Erblindung, die er eigentlich abtat, das sei vorübergehend, obwohl in der Forschungsliteratur zu der Zeit schon feststand, dass das eben dauerhafte Erblindung sein kann.
Koch hat Einzelne geopfert, um Andere zu schützen
Und er erhöhte die Dosen noch mal, und das führte zu Erblindung und bis zum Tod einzelner Leute. Und obwohl er das wusste, empfahl er dann der deutschen Kolonialverwaltung eine großflächige Atoxyl-Kampagne, zu sagen, im Grunde sterben zwar die Leute, während sie diese Behandlung haben, sie werden nicht geheilt, auch das war klar, er konnte keinen Beweis erbringen, dass eine endgültige Heilung möglich ist. Aber während sie behandelt werden, sind sie als Erregerherd eigentlich ausgeschaltet.
Das heißt, um andere zu schützen – und da wird es jetzt auch sehr modern, die Frage – um andere zu schützen, hat er im Grunde Einzelne geopfert. Und das ist eine ethische Frage, die gerade in Corona-Zeiten natürlich sehr, sehr aktuell ist.
Welty: Hat Koch je selber jemals so etwas wie ein Unrechtsbewusstsein entwickelt?
Zimmerer: Nein, also das ist zumindest nicht bekannt. Er war ein berühmter Mediziner, aber er war von dem Klein-Klein des wissenschaftlichen Alltagsgeschäfts eigentlich nicht sehr angetan. Er sah überall Neider und Missgünstige und sagte, es gibt so viele Bakteriologen, alles, was man erforscht, wird sofort hinterfragt, andere machen einem das sofort madig, kritisieren einen. Aber in Afrika, da liegt das Gold noch auf der Straße, da kann man noch großflächige Themen bearbeiten und hat eben auch diese Beschränkungen nicht.
Ethische Regeln müssen für alle Menschen gelten
Welty: Sie haben es angesprochen, Koch zu seiner Zeit ist ein Medienstar, wird von der Presse hofiert. Welche Parallelen lassen sich da ziehen zu den allgegenwärtigen Virologen von heute?
Zimmerer: Na ja, ich würde jetzt mal sagen, dass die modernen Virologen, auch das Robert Koch-Institut, sich natürlich meilenweit von den ethischen Problemen des Namensgebers entfernt haben. Aber dieser Starkult um die Naturwissenschaften, der war im Kaiserreich sehr ausgeprägt, weil man im Kaiserreich natürlich auch das als Waffe sah im Streit gegen die anderen europäischen Nationen. Also es war eben auch eine nationale Aufgabe.
Welty: Wie lassen sich Kriterien entwickeln, die für die Beurteilung von Recht und Unrecht Bestand haben, und zwar über die Jahrzehnte, die Jahrhunderte hinaus?
Zimmerer: Das ist natürlich eine ganz schwierige Frage, die haben wir ja auch im Moment immer wieder: Was darf man an Opfern den Einzelnen zumuten für ein größeres Allgemeinwohl? Und dann die zweite Frage: Wer definiert eigentlich dieses größere Allgemeinwohl? Also auch bei Koch war es ja im Grunde die Wirtschaft: Um die Wirtschaft zu schützen, die Arbeitskraft, konnte man dann Einzelne opfern.
Wer bestimmt das? Im Fall der Beurteilung von Robert Koch muss man natürlich sagen: Wichtig ist, dass die ethischen Kriterien, die man entwickelt, dann für alle Menschen gelten, in allen Regionen, und man nicht sagt, in Berlin gelten andere, striktere Regeln als in Daressalam oder auf den Ssese-Inseln im Viktoriasee. Da kommt eben ja auch der koloniale Rassismus ins Spiel. Das muss man vermeiden. Wenn es Regeln gibt, müssen die für alle gelten.
Kein Geheimwissen, das ans Licht kommt
Welty: Das nach Koch benannte Institut ist in Corona-Zeiten so bekannt wie nie und hat auch jede Menge zu tun. Inwieweit können Sie nachvollziehen, wenn der Chef jetzt sagt, ich denke über einen neuen Namen nach, wenn Zeit dafür ist?
Zimmerer: Ja, ist völlig klar. Mir ist auch lieber, er macht jetzt seine Aufgaben in der Bekämpfung der Corona-Pandemie. Wichtig ist nur, dass er nachdenkt, und dass man zu einem späteren Zeitpunkt dann dieses Institut umbenennt.
Mein Einwand, zu sagen, es kommt jetzt zum falschen Zeitpunkt, wäre ja: Warum haben Sie die letzten 110 Jahre nicht schon drüber nachgedacht? Das ist ja jetzt kein Geheimwissen, das ans Licht kommt. Wie gesagt, die Webseite selber sagt, die Afrikareise war das dunkelste Kapitel. Dann hätte man ja nachfragen können: Warum war es dunkel und was macht man dagegen? Das müssen die nicht sofort machen.
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