Historiker: Kennedy hat am Skript für die Mauer mitgeschrieben
John F. Kennedy sei der erste US-Präsident gewesen, der Berlin preisgegeben habe, sagt der amerikanische Autor Frederick Kempe. Im Juni 1961 habe er Chruschtschow gegenüber signalisiert, dass er im Falle des Baus einer Mauer "stillhalten würde".
Katrin Heise: "Berlin 1961: Kennedy, Chruschtschow und der gefährlichste Ort der Welt", so heißt das Buch von Frederick Kempe, das sich mit dem Höhepunkt der Berlinkrise beschäftigt. Frederick Kempe ist Präsident des Atlantic Council, das ist ein außenpolitischer Think Tank mit Sitz in Washington. Er hat außerdem als Journalist zum Beispiel fürs "Wall Street Journal" gearbeitet, hat mehrere Bücher veröffentlicht. Mein Kollege Jürgen König hat Frederick Kempe zum Gespräch getroffen.
Jürgen König: Herr Kempe, "Berlin 1961: Kennedy, Chruschtschow und der gefährlichste Ort der Welt", in diesem Buch beschreiben Sie auf 672 Seiten das in seinem Verlauf dann immer dramatischere Jahr 1961 von Kennedys Amtsantritt im Januar bis zu dem Moment Ende Oktober, da sich in Berlin am Grenzübergangspunkt Checkpoint Charlie sowjetische und amerikanische Panzer unmittelbar gegenüberstehen. Im Zentrum Ihres Buches der vitale, da hatte ich manchmal den Eindruck, fast berserkerhafte sowjetische Regierungschef Nikita Chruschtschow, ihm gegenüber ein John F. Kennedy, den Sie als ausgesprochen zögerlich beschreiben, unsicher, auch sehr kränkelnd – nebenbei: ich habe selten in einem Buch Kennedy so krank erlebt, wie Sie ihn beschieben haben. War Kennedy überfordert mit dem, was da gleich zu Beginn seiner ersten Amtszeit alles so auf ihn zukam?
Frederick Kempe: Ja, kein amerikanischer Präsident ist dafür bereit. Es ist vielleicht der wichtigste Job der ganzen Welt, wo keine vorherige Erfahrung eigentlich nötig ist. Aber Kennedy war der jüngste Präsident der Geschichte der Vereinigten Staaten, 43 Jahre alt, aber am ersten Tag musste er die Weltmeisterschaft spielen. Er wusste nicht, ob er in die Geschichtsbücher käme durch einen Konflikt mit der Sowjetunion oder durch Frieden mit der Sowjetunion, aber er wusste, dass seine Geschichte mit Chruschtschow eigentlich zusammengehört. Also ich glaube, er war unvorbereitet, und dann gab es eine Menge Ereignisse: Schweinebuchtkrise, Wiener Gespräche, Mauerbau, Showdown von Panzer, Checkpoint Charlie, alle innerhalb von sieben, acht Monaten, seinen ersten sieben, acht Monaten.
König: Welche Ziele verfolgte Chruschtschow, was wollte Kennedy? Welche Haltungen, welche Interessen standen sich da gegenüber?
Kempe: Chruschtschow wollte seine eigene Haut retten, Weltmeisterschaft war nicht seine Sache, er hatte einen Parteikongress im Oktober, er möchte zuerst überleben. Und für ihn war dieser Flüchtlingsstrom eine Gefahr ...
König: Aus der DDR.
Kempe: ... aus der DDR, das war eine Gefahr für ihn. Es war eine Gefahr natürlich für den Sowjetblock, wenn die DDR zusammengebrochen wäre – man muss sich fragen, was wäre dann passiert mit Polen, Tschechoslowakei und so weiter –, aber für ihn karrieremäßig war das auch gefährlich. Kennedy war ehrgeizig, er wollte in den Geschichtsbüchern großgeschrieben sein wie seine Helden Abraham Lincoln, Franklin Roosevelt. Aber er hat Angst gehabt, weil diese zwei Helden berühmt geworden sind durch Kriege, und in seiner Zeit, in den 60er-Jahren bedeutete das Atomkrieg. Und das wollte er vor allem vermeiden.
König: Die Massenflucht aus der DDR haben Sie erlebt, sie nahm in diesem Verlauf des Jahres 1961 immer dramatischere Züge an. Man hat ja lange angenommen, der Bau der Mauer sei von Chruschtschow beschlossen worden. Auch in seinen Memoiren hat er das so als seine Idee zur, wie er das nannte, zur Lösung des Problems bezeichnet. Sie beschreiben, wie inzwischen auch andere Historiker, Walter Ulbricht als zentralen Betreiber des Mauerbaus. Kann man das so sagen: Die Mauer wurde von Walter Ulbricht gebaut?
Kempe: Ja, meiner Meinung nach natürlich hat Honecker beauftragt, das durchzuführen. Er wollte die Grenze schließen, so oder so, von 1953, das kann man nachvollziehen.
König: Da beginnen schon die Pläne für den Bau der Mauer?
Kempe: Da beginnen die Pläne. Stalin hat zuerst nicht erlaubt, dann hat Chruschtschow nicht erlaubt, weil die wichtigere Ziele hatten mit den Vereinigten Staaten, Weltziele hatten, Verhandlungen und so weiter, und es ist nur erlaubt worden meiner Meinung nach 1961 aus zwei, drei Gründen: erstens, weil die Wirtschaft Westdeutschlands viel stärker geworden ist, das führt zum Flüchtlingsstrom, dass die Wirtschaft der DDR im Vergleich schwächer geworden ist, dass die Flüchtlinge zugenommen sind und dass Kennedy das erlaubte. Und das ist, wo das Buch kontrovers ist und eigentlich die Rolle Kennedys neu beleuchtet, weil meiner Meinung nach hat Kennedy auf viele Weisen den Skript mitgeschrieben für die Berliner Mauer.
König: Also er war nicht nur einverstanden, er wollte auch, dass sie gebaut wird?
Kempe: Er wollte auf jeden Fall nicht, dass es nicht gebaut wird, und ich glaube, was am wichtigsten war, waren die Wiener Gespräche.
König: Also das Gipfeltreffen zwischen Chruschtschow und Kennedy im Juni 1961.
Kempe: So ist das, und er hat in Wien klar signalisiert, dass er stillhalten würde, solange Chruschtschow sich auf Ostberlin, Ostdeutschland beschränken würde, seine Aktionen, und Westberlins Freiheit nicht berührt. Und das war neu. Präsident Truman und Präsident Eisenhower haben es offener gelassen, was sie erlauben in Berlin, was sie nicht erlauben in Berlin, und Kennedy hat meiner Meinung nach den Weg frei gemacht für Chruschtschow.
König: War das seine Geheimdiplomatie, oder hat er sich mit den anderen Westalliierten und dem damaligen Bundeskanzler Adenauer abgesprochen?
Kempe: Es war eher geheim, und die Alliierten waren verschiedener Meinung. Für Macmillan war Berlin nicht so wichtig, ich glaube, für Kennedy war Berlin nicht so wichtig.
König: Macmillan, den britischen Premierminister damals.
Kempe: So ist das. Und de Gaulle war eher der Meinung, der Status quo muss verteidigt werden, man muss immer Paroli geben, den Hardlinern, Sowjets gegenüber. Macmillan war eher ein Softliner. Und Kennedy, man muss ganz ehrlich sagen, 1961 war Kennedy Berlin fast völlig egal. Was für ihn wichtig war, war Atomkrieg zu vermeiden, Prestige der Vereinigten Staaten zur verteidigen und wiedergewählt zu werden nach ein paar Jahren. Und Berlin war auf eine gewisse Weise für ihn eine Komplikation, und er hat geglaubt, dass, wenn dieses Flüchtlingsproblem, wenn Chruschtschow erlaubt war, mit den Ostdeutschen, dieses Flüchtlingsproblem, wenn er das irgendwie in den Griff kriegt, dann wäre er ein besserer Verhandlungspartner in Fragen wie zum Beispiel Atomwaffenverhandlungen, Nuclear-Test-Ban. Und das war eine Fehlkalkulation meiner Meinung nach, weil wir haben nicht eine sicherere Welt gekriegt durch den Mauerbau, wir haben ein Jahr danach die Kubakrise, und die Kubakrise wäre nie passiert meiner Meinung nach, wenn Chruschtschow 1961 entschieden hat, dass Kennedy schwach und unentschieden war.
König: Also hätte Kennedy Stärke gezeigt, wollen Sie sagen, hätte Chruschtschow sich nicht getraut, Atomraketen auf Kuba zu installieren?
Kempe: Mir ist das völlig klar, dass das der Fall war.
König: Der Mauerbau selber: Am 13. August werden die zwei Hälften Berlins mit Stacheldrahtrollen voneinander getrennt, die ganze Welt schaut gespannt auf diese Stadt, schaut vor allem auch auf die Alliierten, fragen sich, was werden sie tun? Und sie taten nichts. Das beschreiben Sie sehr eindrucksvoll, die amerikanischen Behörden in Berlin waren sich zunächst nicht einmal sicher, ob sie überhaupt Washington sogleich informieren sollten. Wie war das möglich?
Kempe: Teilweise war es eine Überraschung, aber teilweise war Chruschtschow, Ulbricht ... Sie haben es sehr vorsichtig gemacht. Auf eine gewisse Weise haben die alles gemacht nach dem Skript Kennedys. Die haben Zugang zum Westberlin nicht berührt, die haben die Freiheit Westberlins nicht berührt. Am Abend, in der Nacht 13. August haben Diplomaten ... amerikanische Diplomaten durften in Ostberlin fahren, obwohl alles abgeriegelt war, wusste man, das sind die Spielregeln, die Diplomaten dürfen durchfahren, danach haben wir keine Sanktionen unternommen gegen Ulbricht, gegen Chruschtschow. Auf eine gewisse Weise war Kennedy erleichtert, Macmillan erleichtert, vielleicht auch Adenauer auf eine gewisse Weise erleichtert. Die Leute in Berlin waren natürlich wütend und die waren enttäuscht.
König: Sie fühlten sich verraten zum Teil von den Amerikanern.
Kempe: So ist es. Aber dieser Held Kennedy, der Mythos ist eher 1962 geworden bei der Kubakrise, dann 1963 noch weitergegangen bei seiner Berlin-Rede, "Ich bin ein Berliner", aber man muss nicht vergessen, dass es '62, '63 geworden, das war ein neuer Kennedy, ein Kennedy, der gelernt hat, dass seine Versuche, Verhandlungen weiterzubringen mit den Sowjets, nur geschadet waren durch seine Taten in Berlin in 1961. Was ich für sehr wichtig halte, ist, dass Kennedy sich gegenüber kritisch war. Als ein Journalist in Washington von "Detroit News" Kennedy gefragt hat am Ende 1961, ob er ein Buch schreiben darf über das erste Amtsjahr Kennedys. Kennedy hat ihm geantwortet: Wer möchte eigentlich ein Buch lesen von einer Administration, die nichts zu zeigen hat, außer einer Reihe von Desastern? So, Kennedy hat selber erkannt, wie schlecht sein erstes Amtsjahr war.
König: Die Situation eskalierte dann, am Ende standen sich mitten in Berlin sowjetische und amerikanische Panzer unmittelbar gegenüber, nach all den Atomkriegsdrohungen, nach dem Zünden einer sowjetischen Wasserstoffbombe mit der Sprengkraft von 50 Millionen Tonnen TNT hielten nicht wenige auf der Welt damals einen Atomkrieg nicht nur für möglich, sondern für unmittelbar bevorstehend. Wie gefährlich war die Situation tatsächlich?
Kempe: Das unterstützt meine These, dass die Welt gefährlicher geworden ist durch die Mauer, nicht weniger gefährlich geworden ist. In der Zeit war das wirklich eine Probe zwischen Kennedy und Chruschtschow, aber diese Bombe, wovon Sie sprechen, war auch eine Art Innenpolitik, das war bei seinem Parteikongress, und Chruschtschow hat versucht zu zeigen: Ich habe die Mauer bauen lassen, ich bin der starke Mann, und dann, ein Jahr danach haben wir die Kubakrise gehabt, und ich glaube, es ist nur durch die Stärke Kennedys bei der Kubakrise, wo die Situation ein bisschen sicherer geworden ist. Und dann, bei seiner Rede in Berlin, hat er Sympathie von Berlin gewonnen erst, als er durch die Straßen Berlins gefahren ist, meiner Meinung nach.
König: Vielen Dank, Herr Kempe, vielen Dank für das Gespräch und alles Gute für Ihr schönes Buch!
Kempe: Ich bedanke mich!
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Jürgen König: Herr Kempe, "Berlin 1961: Kennedy, Chruschtschow und der gefährlichste Ort der Welt", in diesem Buch beschreiben Sie auf 672 Seiten das in seinem Verlauf dann immer dramatischere Jahr 1961 von Kennedys Amtsantritt im Januar bis zu dem Moment Ende Oktober, da sich in Berlin am Grenzübergangspunkt Checkpoint Charlie sowjetische und amerikanische Panzer unmittelbar gegenüberstehen. Im Zentrum Ihres Buches der vitale, da hatte ich manchmal den Eindruck, fast berserkerhafte sowjetische Regierungschef Nikita Chruschtschow, ihm gegenüber ein John F. Kennedy, den Sie als ausgesprochen zögerlich beschreiben, unsicher, auch sehr kränkelnd – nebenbei: ich habe selten in einem Buch Kennedy so krank erlebt, wie Sie ihn beschieben haben. War Kennedy überfordert mit dem, was da gleich zu Beginn seiner ersten Amtszeit alles so auf ihn zukam?
Frederick Kempe: Ja, kein amerikanischer Präsident ist dafür bereit. Es ist vielleicht der wichtigste Job der ganzen Welt, wo keine vorherige Erfahrung eigentlich nötig ist. Aber Kennedy war der jüngste Präsident der Geschichte der Vereinigten Staaten, 43 Jahre alt, aber am ersten Tag musste er die Weltmeisterschaft spielen. Er wusste nicht, ob er in die Geschichtsbücher käme durch einen Konflikt mit der Sowjetunion oder durch Frieden mit der Sowjetunion, aber er wusste, dass seine Geschichte mit Chruschtschow eigentlich zusammengehört. Also ich glaube, er war unvorbereitet, und dann gab es eine Menge Ereignisse: Schweinebuchtkrise, Wiener Gespräche, Mauerbau, Showdown von Panzer, Checkpoint Charlie, alle innerhalb von sieben, acht Monaten, seinen ersten sieben, acht Monaten.
König: Welche Ziele verfolgte Chruschtschow, was wollte Kennedy? Welche Haltungen, welche Interessen standen sich da gegenüber?
Kempe: Chruschtschow wollte seine eigene Haut retten, Weltmeisterschaft war nicht seine Sache, er hatte einen Parteikongress im Oktober, er möchte zuerst überleben. Und für ihn war dieser Flüchtlingsstrom eine Gefahr ...
König: Aus der DDR.
Kempe: ... aus der DDR, das war eine Gefahr für ihn. Es war eine Gefahr natürlich für den Sowjetblock, wenn die DDR zusammengebrochen wäre – man muss sich fragen, was wäre dann passiert mit Polen, Tschechoslowakei und so weiter –, aber für ihn karrieremäßig war das auch gefährlich. Kennedy war ehrgeizig, er wollte in den Geschichtsbüchern großgeschrieben sein wie seine Helden Abraham Lincoln, Franklin Roosevelt. Aber er hat Angst gehabt, weil diese zwei Helden berühmt geworden sind durch Kriege, und in seiner Zeit, in den 60er-Jahren bedeutete das Atomkrieg. Und das wollte er vor allem vermeiden.
König: Die Massenflucht aus der DDR haben Sie erlebt, sie nahm in diesem Verlauf des Jahres 1961 immer dramatischere Züge an. Man hat ja lange angenommen, der Bau der Mauer sei von Chruschtschow beschlossen worden. Auch in seinen Memoiren hat er das so als seine Idee zur, wie er das nannte, zur Lösung des Problems bezeichnet. Sie beschreiben, wie inzwischen auch andere Historiker, Walter Ulbricht als zentralen Betreiber des Mauerbaus. Kann man das so sagen: Die Mauer wurde von Walter Ulbricht gebaut?
Kempe: Ja, meiner Meinung nach natürlich hat Honecker beauftragt, das durchzuführen. Er wollte die Grenze schließen, so oder so, von 1953, das kann man nachvollziehen.
König: Da beginnen schon die Pläne für den Bau der Mauer?
Kempe: Da beginnen die Pläne. Stalin hat zuerst nicht erlaubt, dann hat Chruschtschow nicht erlaubt, weil die wichtigere Ziele hatten mit den Vereinigten Staaten, Weltziele hatten, Verhandlungen und so weiter, und es ist nur erlaubt worden meiner Meinung nach 1961 aus zwei, drei Gründen: erstens, weil die Wirtschaft Westdeutschlands viel stärker geworden ist, das führt zum Flüchtlingsstrom, dass die Wirtschaft der DDR im Vergleich schwächer geworden ist, dass die Flüchtlinge zugenommen sind und dass Kennedy das erlaubte. Und das ist, wo das Buch kontrovers ist und eigentlich die Rolle Kennedys neu beleuchtet, weil meiner Meinung nach hat Kennedy auf viele Weisen den Skript mitgeschrieben für die Berliner Mauer.
König: Also er war nicht nur einverstanden, er wollte auch, dass sie gebaut wird?
Kempe: Er wollte auf jeden Fall nicht, dass es nicht gebaut wird, und ich glaube, was am wichtigsten war, waren die Wiener Gespräche.
König: Also das Gipfeltreffen zwischen Chruschtschow und Kennedy im Juni 1961.
Kempe: So ist das, und er hat in Wien klar signalisiert, dass er stillhalten würde, solange Chruschtschow sich auf Ostberlin, Ostdeutschland beschränken würde, seine Aktionen, und Westberlins Freiheit nicht berührt. Und das war neu. Präsident Truman und Präsident Eisenhower haben es offener gelassen, was sie erlauben in Berlin, was sie nicht erlauben in Berlin, und Kennedy hat meiner Meinung nach den Weg frei gemacht für Chruschtschow.
König: War das seine Geheimdiplomatie, oder hat er sich mit den anderen Westalliierten und dem damaligen Bundeskanzler Adenauer abgesprochen?
Kempe: Es war eher geheim, und die Alliierten waren verschiedener Meinung. Für Macmillan war Berlin nicht so wichtig, ich glaube, für Kennedy war Berlin nicht so wichtig.
König: Macmillan, den britischen Premierminister damals.
Kempe: So ist das. Und de Gaulle war eher der Meinung, der Status quo muss verteidigt werden, man muss immer Paroli geben, den Hardlinern, Sowjets gegenüber. Macmillan war eher ein Softliner. Und Kennedy, man muss ganz ehrlich sagen, 1961 war Kennedy Berlin fast völlig egal. Was für ihn wichtig war, war Atomkrieg zu vermeiden, Prestige der Vereinigten Staaten zur verteidigen und wiedergewählt zu werden nach ein paar Jahren. Und Berlin war auf eine gewisse Weise für ihn eine Komplikation, und er hat geglaubt, dass, wenn dieses Flüchtlingsproblem, wenn Chruschtschow erlaubt war, mit den Ostdeutschen, dieses Flüchtlingsproblem, wenn er das irgendwie in den Griff kriegt, dann wäre er ein besserer Verhandlungspartner in Fragen wie zum Beispiel Atomwaffenverhandlungen, Nuclear-Test-Ban. Und das war eine Fehlkalkulation meiner Meinung nach, weil wir haben nicht eine sicherere Welt gekriegt durch den Mauerbau, wir haben ein Jahr danach die Kubakrise, und die Kubakrise wäre nie passiert meiner Meinung nach, wenn Chruschtschow 1961 entschieden hat, dass Kennedy schwach und unentschieden war.
König: Also hätte Kennedy Stärke gezeigt, wollen Sie sagen, hätte Chruschtschow sich nicht getraut, Atomraketen auf Kuba zu installieren?
Kempe: Mir ist das völlig klar, dass das der Fall war.
König: Der Mauerbau selber: Am 13. August werden die zwei Hälften Berlins mit Stacheldrahtrollen voneinander getrennt, die ganze Welt schaut gespannt auf diese Stadt, schaut vor allem auch auf die Alliierten, fragen sich, was werden sie tun? Und sie taten nichts. Das beschreiben Sie sehr eindrucksvoll, die amerikanischen Behörden in Berlin waren sich zunächst nicht einmal sicher, ob sie überhaupt Washington sogleich informieren sollten. Wie war das möglich?
Kempe: Teilweise war es eine Überraschung, aber teilweise war Chruschtschow, Ulbricht ... Sie haben es sehr vorsichtig gemacht. Auf eine gewisse Weise haben die alles gemacht nach dem Skript Kennedys. Die haben Zugang zum Westberlin nicht berührt, die haben die Freiheit Westberlins nicht berührt. Am Abend, in der Nacht 13. August haben Diplomaten ... amerikanische Diplomaten durften in Ostberlin fahren, obwohl alles abgeriegelt war, wusste man, das sind die Spielregeln, die Diplomaten dürfen durchfahren, danach haben wir keine Sanktionen unternommen gegen Ulbricht, gegen Chruschtschow. Auf eine gewisse Weise war Kennedy erleichtert, Macmillan erleichtert, vielleicht auch Adenauer auf eine gewisse Weise erleichtert. Die Leute in Berlin waren natürlich wütend und die waren enttäuscht.
König: Sie fühlten sich verraten zum Teil von den Amerikanern.
Kempe: So ist es. Aber dieser Held Kennedy, der Mythos ist eher 1962 geworden bei der Kubakrise, dann 1963 noch weitergegangen bei seiner Berlin-Rede, "Ich bin ein Berliner", aber man muss nicht vergessen, dass es '62, '63 geworden, das war ein neuer Kennedy, ein Kennedy, der gelernt hat, dass seine Versuche, Verhandlungen weiterzubringen mit den Sowjets, nur geschadet waren durch seine Taten in Berlin in 1961. Was ich für sehr wichtig halte, ist, dass Kennedy sich gegenüber kritisch war. Als ein Journalist in Washington von "Detroit News" Kennedy gefragt hat am Ende 1961, ob er ein Buch schreiben darf über das erste Amtsjahr Kennedys. Kennedy hat ihm geantwortet: Wer möchte eigentlich ein Buch lesen von einer Administration, die nichts zu zeigen hat, außer einer Reihe von Desastern? So, Kennedy hat selber erkannt, wie schlecht sein erstes Amtsjahr war.
König: Die Situation eskalierte dann, am Ende standen sich mitten in Berlin sowjetische und amerikanische Panzer unmittelbar gegenüber, nach all den Atomkriegsdrohungen, nach dem Zünden einer sowjetischen Wasserstoffbombe mit der Sprengkraft von 50 Millionen Tonnen TNT hielten nicht wenige auf der Welt damals einen Atomkrieg nicht nur für möglich, sondern für unmittelbar bevorstehend. Wie gefährlich war die Situation tatsächlich?
Kempe: Das unterstützt meine These, dass die Welt gefährlicher geworden ist durch die Mauer, nicht weniger gefährlich geworden ist. In der Zeit war das wirklich eine Probe zwischen Kennedy und Chruschtschow, aber diese Bombe, wovon Sie sprechen, war auch eine Art Innenpolitik, das war bei seinem Parteikongress, und Chruschtschow hat versucht zu zeigen: Ich habe die Mauer bauen lassen, ich bin der starke Mann, und dann, ein Jahr danach haben wir die Kubakrise gehabt, und ich glaube, es ist nur durch die Stärke Kennedys bei der Kubakrise, wo die Situation ein bisschen sicherer geworden ist. Und dann, bei seiner Rede in Berlin, hat er Sympathie von Berlin gewonnen erst, als er durch die Straßen Berlins gefahren ist, meiner Meinung nach.
König: Vielen Dank, Herr Kempe, vielen Dank für das Gespräch und alles Gute für Ihr schönes Buch!
Kempe: Ich bedanke mich!
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