Historiker: Ostdeutsche Universitäten galten als "systemnah"
Neben den vielen Feierlichkeiten gehört auch die Auseinandersetzung mit der Rolle in der DDR-Zeit zu dem 200-jährigen Jubiläum der Berliner Humboldt-Universität. Gerade diese Stasi-Vergangenheit habe sehr belastend gewirkt, sagte der Historiker Rüdiger vom Bruch.
Joachim Scholl: In diesem Jahr wird sie 200 Jahre alt, die Berliner Universität Unter den Linden, die seit 1949 die Humboldt-Universität zu Berlin heißt. Zu den vielen Feierlichkeiten gehört auch die Aufarbeitung ihrer DDR-Vergangenheit. Heute wird dazu eine Veranstaltungsreihe eröffnet, die sich intensiv dieser Phase der Universität widmet.
Und just deshalb steht der designierte Präsident der Humboldt-Universität, der frühere Kultusminister von Sachsen-Anhalt Jan-Hendrik Olbertz in der Kritik – er soll in seinen wissenschaftlichen Schriften den SED-Staat gefeiert haben. Diese Vorwürfe, die sind am Wochenende laut geworden, nachdem wir mit dem Historiker Rüdiger vom Bruch über die DDR-Vergangenheit der Humboldt-Universität gesprochen haben.
Ich habe ihn zuerst nach dem Namensgeber gefragt, der Name Humboldts sollte für die Ideale des Humanismus wie für die freie Entfaltung der Wissenschaft stehen. War das ein frommer Wunsch einer Institution, die sich ja doch der politischen, sozialistischen Doktrin des Staates zu fügen hat?
Rüdiger vom Bruch: Ja, der Name Humboldt-Universität, der ja offiziell erst Anfang 1949 verliehen wurde, ging bereits zurück auf die frühe Nachkriegszeit, und darin zeigt sich bereits die Unklarheit auch der politischen Situation insofern als der alte Name noch des königlichen Stifters Friedrich Wilhelm nicht mehr infrage kam, die beiden Statuen vor dem Hauptgebäude, von Alexander und Wilhelm von Humboldt natürlich unübersehbar auf jene prägenden Gründungsfiguren hinwies.
Und bereits 1945, also noch vor der Wiedereröffnung der Universität Ende Januar 1946, kam bereits mehrfach der Vorschlag, sie Humboldt-Universität zu nennen. Am Tag der Wiedereröffnung am 29. Januar sprach sogar der "Tagesspiegel" im späteren Westberlin von einer Humboldt-Universität, die eröffnet wurde. Und es waren nicht zuletzt die sowjetischen Militärmachthaber, die diesen Namen favorisierten in großem Respekt vor den deutschen Bildungs- und Wissenschaftstraditionen, die mit dem Erbe des Humanismus verbunden waren.
Scholl: Wie ist man heutigen Erkenntnissen zufolge mit dem Konflikt von Ideologie und Wissenschaft grundsätzlich umgegangen in dieser Zeit, in der sich ja dann auch sozusagen die SED-Diktatur formierte und stabilisierte?
vom Bruch: Das war insofern eine schwierige Zeit, weil wir unterscheiden müssen zwischen dem, was die Zeitgenossen erwarteten und glaubten, hoffen zu dürfen, und dem, was wir im Rückblick heute sehen. Was die Zeitgenossen erwarteten, war eine offene Situation nach der nationalsozialistischen Diktatur, man hoffte weitgehend und in der Tat auf eine Wiederbefreiung der Wissenschaft. Das galt in den verschiedenen Besatzungszonen, gerade in der sowjetischen, die sich unmittelbar nach dem Krieg die hohe kulturpolitische Offenheit, Toleranz ... Wenn Sie mal das Buch von Schivelbusch, "Hinter dem Vorhang" lesen, sieht man also, wie offen die Situation gewesen war.
Im Nachhinein wissen wir, wie frühzeitig bereits im Oktober 1945 systematisch von der Gruppe Ulbricht und den engsten Vertrauten wie später vor allem Paul Wandel, dem Chef der Volksbildung, systematisch auf eine Sowjetifizierung – wobei der Begriff Sowjetifizierung eigentlich erst später einsetzt –, aber doch auf eine sozialistische Umgestaltung hingezielt wurde. Nur stieß die zunächst an sehr enge Grenzen.
Scholl: Die Humboldt-Universität hat vor allem in den naturwissenschaftlichen Disziplinen schnell Spitzenforschung etabliert, genoss hohes internationales Renommee. Wie war das in den Geisteswissenschaften, der Geschichtswissenschaft, der Philosophie, den Philologien, wo ja der Geist ja nur so lang frei wehen durfte, solange er konform ging mit den ideologischen Parametern der Partei und mit den Zielen des Marxismus, Leninismus?
vom Bruch: Ja, das ist natürlich vor allen Dingen jetzt bezogen auf die in der DDR sogenannten Gesellschaftswissenschaften, aber auch die Juristen und die Wirtschaftswissenschaftler, die in hohem Maße ideologisch instrumentalisiert wurden. Das war in den Anfangsjahren auch bei den Geisteswissenschaftlern noch nicht so zu erkennen, wenn ich denke an Historiker – weil Sie die Geschichte ansprachen – wie Fritz Hartung oder Friedrich Meinecke, die zunächst glaubten, dort als (in Anführungszeichen) "bürgerliche Wissenschaftler" ihre Arbeit fortsetzen zu können einer unvoreingenommenen, wertfreien Wissenschaft, die dann aber doch spätestens 48 merken mussten, dass das kaum möglich war – Hartung blieb, Friedrich Meinecke wurde dann Gründungsrektor der Freien Universität.
Anfang der 50er-Jahre lässt sich von einer systematischen sozialistischen Infiltrierung sprechen, was natürlich auch mit einem Kader- und Generationswechsel zusammenhing, weil die sogenannten bürgerlichen, die älteren Wissenschaftler jetzt weitgehend entfernt worden waren und durch jüngere Kräfte ersetzt wurden. Das war in anderen Fachgebieten teilweise anders, etwa in den Naturwissenschaften, wo man – oder auch Medizin, wo man stärker doch auf Kontinuitäten zum früheren Personal setzte.
Scholl: Die Berliner Humboldt-Universität arbeitet ihre DDR-Vergangenheit auf. Im Deutschlandradio Kultur sind wir im Gespräch mit dem Historiker Rüdiger vom Bruch. Wenn man mal so die Jahrzehnte durchmisst, die 60er-, die 70er-, die 80er-Jahre, Herr vom Bruch, wie haben sich eigentlich die verschiedenen Universitätsleitungen verhalten? War das immer eine ja völlig systemkonforme Politik oder gab es da auch Ausreißer, Konflikte?
vom Bruch: Konflikte hat es mehrfach gegeben, aber wirkliche Ausreißer in dem Sinne würde ich so nicht sehen. Das beginnt schon in den unmittelbaren Nachkriegsjahren in den doch sehr systemkonformen Konflikten der Universitätsleitung, die bei allem Verständnis sich an diese Direktiven hielt, vor allem in Konflikten mit aufbegehrenden Studierenden.
Dann Anfang der 50er-Jahre in jenen mehrfachen Wellen von Abweichlern, von Objektivisten und so weiter, mit denen sich die Universitätsleitung auseinanderzusetzen hatte – wobei pikanterweise man sagen muss, dass gerade in den 50er- und 60er-Jahren die Humboldt-Universität von ehemaligen NSDAP-Mitgliedern als Rektoren geleitet wurde, ehemalige NSDAP-Mitglieder, die sich an kommunistischer Linientreue durch kaum jemanden übertreffen ließen.
Scholl: 1989, jetzt machen wir mal einen Sprung, 1990 der große Umbruch natürlich auch für die Humboldt-Universität, die DDR-Akademien wurden sämtlich evaluiert. An der Humboldt-Universität wurden fast 3000 Wissenschaftler entlassen, ganze Bereiche abgewickelt, aufgelöst.
Damals sprach man ja von der Überwältigung durch den Westen, viele DDR-Wissenschaftler fühlten sich wie Kollegen zweiter Klasse, da brachen natürlich Biografien und Lebensentwürfe zusammen. Wie wird dieser Prozess heute bewertet?
vom Bruch: Der wird heute sehr viel differenzierter als damals bewertet, wenn Sie denken an Stellungnahmen, die einige der Akteure, die damals an dem Transformationsprozess maßgeblich beteiligt waren, ich denke etwa an den Historiker Jürgen Kocker, wie die die Situation mittlerweile einschätzen.
Ein Grundproblem war, dass die Universitäten generell und ohne allzu starke Differenzierung als systemnah eingeschätzt wurden aufgrund einer Kaderpolitik, die enge Systembindung voraussetzte, während man den Instituten der Wissenschaftsakademie relative Toleranz und Nischenfreiheit bescheinigte.
Was in dieser Weise so nicht ganz stimmt, aber es ist richtig, dass für die ehemaligen Akademiemitglieder Auffangbecken geschaffen wurden, um Karrierechancen zu ermöglichen, die begrenzt genutzt wurden, während solche Chancen für die ehemaligen Hochschullehrer in geringerem Maß bestanden.
Allerdings müssen wir unterscheiden (ich habe das selber noch erlebt, ich bin 93 von Tübingen an die Humboldt-Universität gekommen), wir müssen unterscheiden zwischen Fachgruppen: Die Auseinandersetzungen verliefen vor allem in Medizin, Naturwissenschaften, sehr viel schwächer aufgrund eines überwölbenden fachwissenschaftlichen Konsens als in sehr vielen Geisteswissenschaften.
Scholl: Eine junge Kollegin von uns, die an dieser neuen Humboldt-Universität dann studierte um die Jahrtausendwende, die erzählte davon, wie sie sich vor ihrem Großvater rechtfertigen musste, der sie ganz empört fragte, was willst du denn bei der Stasi? Ist das nur ein Vorurteil, das sich auch so in den Köpfen immer noch hält? Wie stark war diese Belastung?
vom Bruch: Na ja, wenn die junge Dame um 2000 studiert hat, dann war das die Phase, in der die Auseinandersetzung mit der eigenen Vergangenheit im Wesentlichen abgeschlossen war. Ich kann das aus eigener Erinnerung bestätigen durch meine Tätigkeit in zentralen Gremien der Universität (Entwicklungsplanungskommission und anderen), diese Auseinandersetzung war eigentlich vorbei mit der neuen Verfassung der Universität, mit dem Aufbruch in neue Bereiche wie Exzellenzinitiative und Ähnliches spielte das kaum eine Rolle.
Aber insgesamt ist natürlich richtig, dass die Stasivergangenheit gerade dieser Hauptstadtuniversität, wie sie bewusst genannt wurde, dass diese Stasivergangenheit sehr belastend wirkte, und wir haben gerade in den letzten Jahren im Vorfeld unserer Forschung zur Geschichte dieser Universität im Rahmen unseres Jubiläums diesen Bereich doch systematischer aufgedeckt. Ich würde sagen, dass insbesondere die Universitäten Leipzig und Berlin systematischer als andere von der Staatssicherheit infiltriert wurden.
Scholl: 200 Jahre Humboldt-Universität zu Berlin, heute beginnt eine Veranstaltungsreihe über die Geschichte der Universität in der DDR. Diese Reihe von Vorträgen und Vorlesungen geht bis zum Jahresende, und wir bedanken uns bei dem Historiker Rüdiger vom Bruch, er wird heute den Eröffnungsvortrag halten.
Dieses Gespräch mit Rüdiger vom Bruch haben wir aufgezeichnet, bevor die aktuellen Vorwürfe gegen den designierten Präsidenten der Humboldt-Universität Jan-Hendrik Olbertz bekannt waren. Wir werden das natürlich in unserem Programm weiter verfolgen.
Und just deshalb steht der designierte Präsident der Humboldt-Universität, der frühere Kultusminister von Sachsen-Anhalt Jan-Hendrik Olbertz in der Kritik – er soll in seinen wissenschaftlichen Schriften den SED-Staat gefeiert haben. Diese Vorwürfe, die sind am Wochenende laut geworden, nachdem wir mit dem Historiker Rüdiger vom Bruch über die DDR-Vergangenheit der Humboldt-Universität gesprochen haben.
Ich habe ihn zuerst nach dem Namensgeber gefragt, der Name Humboldts sollte für die Ideale des Humanismus wie für die freie Entfaltung der Wissenschaft stehen. War das ein frommer Wunsch einer Institution, die sich ja doch der politischen, sozialistischen Doktrin des Staates zu fügen hat?
Rüdiger vom Bruch: Ja, der Name Humboldt-Universität, der ja offiziell erst Anfang 1949 verliehen wurde, ging bereits zurück auf die frühe Nachkriegszeit, und darin zeigt sich bereits die Unklarheit auch der politischen Situation insofern als der alte Name noch des königlichen Stifters Friedrich Wilhelm nicht mehr infrage kam, die beiden Statuen vor dem Hauptgebäude, von Alexander und Wilhelm von Humboldt natürlich unübersehbar auf jene prägenden Gründungsfiguren hinwies.
Und bereits 1945, also noch vor der Wiedereröffnung der Universität Ende Januar 1946, kam bereits mehrfach der Vorschlag, sie Humboldt-Universität zu nennen. Am Tag der Wiedereröffnung am 29. Januar sprach sogar der "Tagesspiegel" im späteren Westberlin von einer Humboldt-Universität, die eröffnet wurde. Und es waren nicht zuletzt die sowjetischen Militärmachthaber, die diesen Namen favorisierten in großem Respekt vor den deutschen Bildungs- und Wissenschaftstraditionen, die mit dem Erbe des Humanismus verbunden waren.
Scholl: Wie ist man heutigen Erkenntnissen zufolge mit dem Konflikt von Ideologie und Wissenschaft grundsätzlich umgegangen in dieser Zeit, in der sich ja dann auch sozusagen die SED-Diktatur formierte und stabilisierte?
vom Bruch: Das war insofern eine schwierige Zeit, weil wir unterscheiden müssen zwischen dem, was die Zeitgenossen erwarteten und glaubten, hoffen zu dürfen, und dem, was wir im Rückblick heute sehen. Was die Zeitgenossen erwarteten, war eine offene Situation nach der nationalsozialistischen Diktatur, man hoffte weitgehend und in der Tat auf eine Wiederbefreiung der Wissenschaft. Das galt in den verschiedenen Besatzungszonen, gerade in der sowjetischen, die sich unmittelbar nach dem Krieg die hohe kulturpolitische Offenheit, Toleranz ... Wenn Sie mal das Buch von Schivelbusch, "Hinter dem Vorhang" lesen, sieht man also, wie offen die Situation gewesen war.
Im Nachhinein wissen wir, wie frühzeitig bereits im Oktober 1945 systematisch von der Gruppe Ulbricht und den engsten Vertrauten wie später vor allem Paul Wandel, dem Chef der Volksbildung, systematisch auf eine Sowjetifizierung – wobei der Begriff Sowjetifizierung eigentlich erst später einsetzt –, aber doch auf eine sozialistische Umgestaltung hingezielt wurde. Nur stieß die zunächst an sehr enge Grenzen.
Scholl: Die Humboldt-Universität hat vor allem in den naturwissenschaftlichen Disziplinen schnell Spitzenforschung etabliert, genoss hohes internationales Renommee. Wie war das in den Geisteswissenschaften, der Geschichtswissenschaft, der Philosophie, den Philologien, wo ja der Geist ja nur so lang frei wehen durfte, solange er konform ging mit den ideologischen Parametern der Partei und mit den Zielen des Marxismus, Leninismus?
vom Bruch: Ja, das ist natürlich vor allen Dingen jetzt bezogen auf die in der DDR sogenannten Gesellschaftswissenschaften, aber auch die Juristen und die Wirtschaftswissenschaftler, die in hohem Maße ideologisch instrumentalisiert wurden. Das war in den Anfangsjahren auch bei den Geisteswissenschaftlern noch nicht so zu erkennen, wenn ich denke an Historiker – weil Sie die Geschichte ansprachen – wie Fritz Hartung oder Friedrich Meinecke, die zunächst glaubten, dort als (in Anführungszeichen) "bürgerliche Wissenschaftler" ihre Arbeit fortsetzen zu können einer unvoreingenommenen, wertfreien Wissenschaft, die dann aber doch spätestens 48 merken mussten, dass das kaum möglich war – Hartung blieb, Friedrich Meinecke wurde dann Gründungsrektor der Freien Universität.
Anfang der 50er-Jahre lässt sich von einer systematischen sozialistischen Infiltrierung sprechen, was natürlich auch mit einem Kader- und Generationswechsel zusammenhing, weil die sogenannten bürgerlichen, die älteren Wissenschaftler jetzt weitgehend entfernt worden waren und durch jüngere Kräfte ersetzt wurden. Das war in anderen Fachgebieten teilweise anders, etwa in den Naturwissenschaften, wo man – oder auch Medizin, wo man stärker doch auf Kontinuitäten zum früheren Personal setzte.
Scholl: Die Berliner Humboldt-Universität arbeitet ihre DDR-Vergangenheit auf. Im Deutschlandradio Kultur sind wir im Gespräch mit dem Historiker Rüdiger vom Bruch. Wenn man mal so die Jahrzehnte durchmisst, die 60er-, die 70er-, die 80er-Jahre, Herr vom Bruch, wie haben sich eigentlich die verschiedenen Universitätsleitungen verhalten? War das immer eine ja völlig systemkonforme Politik oder gab es da auch Ausreißer, Konflikte?
vom Bruch: Konflikte hat es mehrfach gegeben, aber wirkliche Ausreißer in dem Sinne würde ich so nicht sehen. Das beginnt schon in den unmittelbaren Nachkriegsjahren in den doch sehr systemkonformen Konflikten der Universitätsleitung, die bei allem Verständnis sich an diese Direktiven hielt, vor allem in Konflikten mit aufbegehrenden Studierenden.
Dann Anfang der 50er-Jahre in jenen mehrfachen Wellen von Abweichlern, von Objektivisten und so weiter, mit denen sich die Universitätsleitung auseinanderzusetzen hatte – wobei pikanterweise man sagen muss, dass gerade in den 50er- und 60er-Jahren die Humboldt-Universität von ehemaligen NSDAP-Mitgliedern als Rektoren geleitet wurde, ehemalige NSDAP-Mitglieder, die sich an kommunistischer Linientreue durch kaum jemanden übertreffen ließen.
Scholl: 1989, jetzt machen wir mal einen Sprung, 1990 der große Umbruch natürlich auch für die Humboldt-Universität, die DDR-Akademien wurden sämtlich evaluiert. An der Humboldt-Universität wurden fast 3000 Wissenschaftler entlassen, ganze Bereiche abgewickelt, aufgelöst.
Damals sprach man ja von der Überwältigung durch den Westen, viele DDR-Wissenschaftler fühlten sich wie Kollegen zweiter Klasse, da brachen natürlich Biografien und Lebensentwürfe zusammen. Wie wird dieser Prozess heute bewertet?
vom Bruch: Der wird heute sehr viel differenzierter als damals bewertet, wenn Sie denken an Stellungnahmen, die einige der Akteure, die damals an dem Transformationsprozess maßgeblich beteiligt waren, ich denke etwa an den Historiker Jürgen Kocker, wie die die Situation mittlerweile einschätzen.
Ein Grundproblem war, dass die Universitäten generell und ohne allzu starke Differenzierung als systemnah eingeschätzt wurden aufgrund einer Kaderpolitik, die enge Systembindung voraussetzte, während man den Instituten der Wissenschaftsakademie relative Toleranz und Nischenfreiheit bescheinigte.
Was in dieser Weise so nicht ganz stimmt, aber es ist richtig, dass für die ehemaligen Akademiemitglieder Auffangbecken geschaffen wurden, um Karrierechancen zu ermöglichen, die begrenzt genutzt wurden, während solche Chancen für die ehemaligen Hochschullehrer in geringerem Maß bestanden.
Allerdings müssen wir unterscheiden (ich habe das selber noch erlebt, ich bin 93 von Tübingen an die Humboldt-Universität gekommen), wir müssen unterscheiden zwischen Fachgruppen: Die Auseinandersetzungen verliefen vor allem in Medizin, Naturwissenschaften, sehr viel schwächer aufgrund eines überwölbenden fachwissenschaftlichen Konsens als in sehr vielen Geisteswissenschaften.
Scholl: Eine junge Kollegin von uns, die an dieser neuen Humboldt-Universität dann studierte um die Jahrtausendwende, die erzählte davon, wie sie sich vor ihrem Großvater rechtfertigen musste, der sie ganz empört fragte, was willst du denn bei der Stasi? Ist das nur ein Vorurteil, das sich auch so in den Köpfen immer noch hält? Wie stark war diese Belastung?
vom Bruch: Na ja, wenn die junge Dame um 2000 studiert hat, dann war das die Phase, in der die Auseinandersetzung mit der eigenen Vergangenheit im Wesentlichen abgeschlossen war. Ich kann das aus eigener Erinnerung bestätigen durch meine Tätigkeit in zentralen Gremien der Universität (Entwicklungsplanungskommission und anderen), diese Auseinandersetzung war eigentlich vorbei mit der neuen Verfassung der Universität, mit dem Aufbruch in neue Bereiche wie Exzellenzinitiative und Ähnliches spielte das kaum eine Rolle.
Aber insgesamt ist natürlich richtig, dass die Stasivergangenheit gerade dieser Hauptstadtuniversität, wie sie bewusst genannt wurde, dass diese Stasivergangenheit sehr belastend wirkte, und wir haben gerade in den letzten Jahren im Vorfeld unserer Forschung zur Geschichte dieser Universität im Rahmen unseres Jubiläums diesen Bereich doch systematischer aufgedeckt. Ich würde sagen, dass insbesondere die Universitäten Leipzig und Berlin systematischer als andere von der Staatssicherheit infiltriert wurden.
Scholl: 200 Jahre Humboldt-Universität zu Berlin, heute beginnt eine Veranstaltungsreihe über die Geschichte der Universität in der DDR. Diese Reihe von Vorträgen und Vorlesungen geht bis zum Jahresende, und wir bedanken uns bei dem Historiker Rüdiger vom Bruch, er wird heute den Eröffnungsvortrag halten.
Dieses Gespräch mit Rüdiger vom Bruch haben wir aufgezeichnet, bevor die aktuellen Vorwürfe gegen den designierten Präsidenten der Humboldt-Universität Jan-Hendrik Olbertz bekannt waren. Wir werden das natürlich in unserem Programm weiter verfolgen.