Historiker: Stauffenberg als Superman
"Es ist ein überraschend ruhiger Film", räumt der Historiker Peter Steinbach dem Film zum Hitler-Attentat am 20. Juli 1944 ein. Allerdings falle die Deutung des Widerstands weit hinter den Stand der Forschung zurück. Der von Tom Cruise gespielte deutsche Offizier verkörpere in "Operation Walküre" als Einziger das Gute, dabei sei er von einer Gruppe Gleichgesinnter getragen worden.
Susanne Führer: In zwei Tagen kommt der Film "Operation Walküre" in die deutschen Kinos, der Film über die Attentäter vom 20. Juli 1944 auf Adolf Hitler. Der Historiker Peter Steinbach hat diesen Film bereits gesehen, er ist der wissenschaftliche Leiter der Gedenkstätte Deutscher Widerstand in Berlin und jetzt hier zu Gast im "Radiofeuilleton". Herzlichen Willkommen, Herr Steinbach!
Peter Steinbach: Ich freue mich.
Führer: Heute haben Sie ja die einmalige Gelegenheit, mal als Filmkritiker aufzutreten. Ist "Operation Walküre" ein guter Film?
Steinbach: Ich finde, dass dieser Film viele der Befürchtungen, die man formuliert hat, nicht trifft. Es ist ein überraschend ruhiger Film, es ist sicherlich ein Hollywood-Film, aber ich finde, auch Hollywood-Film ist nicht unbedingt ein negatives Kriterium. Der Film hat wunderschöne, ruhige Bilder, wunderschöne Landschaftsaufnahmen aus der Gegend um Zossen und wo auch immer. Und ich muss sagen, den sollte man sich schon anschauen. Man muss allerdings wissen, wofür der Film steht, denn er beansprucht ja von den Machern her, ein Unterhaltungsfilm zu sein, aber von denjenigen – und Sie haben es schon gesagt –, die diesen Film mitfinanziert haben, wird beansprucht, dass es gewissermaßen ein originärer, ein wichtiger Zugang zur Geschichte des deutschen Widerstands als einem wichtigen Thema deutscher Geschichte ist.
Führer: Das ist ja doch immerhin erstaunlich, dass Sie sagen, man sollte sich diesen Film anschauen, denn vor anderthalb Jahren gehörten Sie ja zu den schärfsten Kritikern des ganzen Projektes, und eine Ihrer großen Befürchtungen war, dass der Schauspieler Tom Cruise es nicht schaffen würde, die komplexe Persönlichkeit Stauffenbergs darzustellen, der ja nun die absolute Hauptrolle in diesem Film spielt. Ist diese Befürchtung eingetreten, oder sind Sie widerlegt worden?
Steinbach: Diese Komplexität stellt er nicht dar, sondern er konzentriert sich auf wenige Monate und schließlich auf wenige Tage, und das wird dann ganz dicht, in wenigen Stunden. Das, was ganz sicherlich korrekt, weitgehend korrekt dargestellt ist, ist das Attentat selbst. Aber die Vorgeschichte, das Attentat auf Hitler ist der Endpunkt einer langen Entwicklung, die wird natürlich nicht nur nicht dargestellt, sondern die wird meiner Ansicht nach eben auch so problematisch angedeutet, dass sich darauf meine Bedenken richten. Ich will das vielleicht ausführen. Der Widerstand gegen den Nationalsozialismus in militärischer Hinsicht wollte handeln, um Politikern, also Zivilisten, Spielräume zu eröffnen. Die zivilen, die bürgerlichen Politiker erscheinen aber in diesem Film wie alte, verbrauchte, sich immer streitende und zu keiner konsequenten Handlung fähige Leute. Für mich ist Stauffenberg nicht denkbar ohne seine Freunde, ohne Julius Leber, der sozialdemokratischer Innenminister geworden wäre, oder Reichwein oder Trott. Also Stauffenberg trat eigentlich hinter die Zivilisten zurück. Und in diesem Film ist es ganz anders, hier ringt Gut und Böse, und das Gute verkörpert Stauffenberg und das Böse sind all die anderen. Damit fällt die Deutung dieses Widerstands weit zurück hinter den erreichten Stand, den wir in der Wissenschaft, den wir aber auch publizistisch oder pädagogisch erreicht haben.
Führer: Das heißt, der Film zeichnet ein Bild vom deutschen Widerstand, was sich rein auf das Militärische konzentriert?
Steinbach: Stauffenberg ist der Handelnde. Um handeln zu können, wird in diesem Film Goerdeler buchstäblich des Raumes verwiesen, er wird weggeschickt. Die Zivilisten braucht man nicht. Und da sind wir dann natürlich bei der Dramaturgie eines Filmes, der einen Superman schildert. Und dagegen richtet sich mein Bedenken. Aber ästhetisch gesehen, das ist gut gemacht, das ist sauber gemacht, das ist häufig spannend, das hat Verzögerungsmomente. Nur eine historische Hinführung zum Widerstand, wie oft gesagt wird, sogar in internationaler Perspektive, ist dieser Film nicht.
Führer: Der Film "Operation Walküre" mit Tom Cruise in der Rolle von Claus Schenk Graf von Stauffenberg läuft in dieser Woche in den deutschen Kinos an. Ich spreche im "Radiofeuilleton" mit einem der schärfsten Kritiker des Projektes und doch jetzt einigermaßen beruhigten Mann, nämlich dem Historiker Peter Steinbach. Herr Steinbach, die Kritik ist ja doch nicht ohne, weil Sie ja sagen, im Grunde genommen wird der Widerstand, deutsche Widerstand falsch gezeichnet. Nun gibt es ja Peter Hoffmann, den Stauffenberg-Biografen, der auch den Film wissenschaftlich beraten hat, und er sagt, gut, es gebe einzelne äußerliche Einzelheiten, die nicht stimmen würden, also die Besprechung vom 15. Juli zum Beispiel oder Goerdeler haben Sie gerade erwähnt, das räumen die Drehbuchautoren selbst ein, dass sie diese Figur aufgrund der dramatischen Erfordernisse des Drehbuchs ändern mussten. Aber ansonsten sagt eben Peter Hoffmann, die grundlegende Wahrheit der Geschichte sei getroffen.
Steinbach: Ja, ich kann ihm diese Aussage überhaupt nicht abnehmen, und ich kann sie auch nicht nachvollziehen. Ich empfehle, diesen Film einfach zu sehen als den Versuch eines Offiziers, eine Regierung zu beseitigen. Stauffenberg könnte auch anders heißen. Dann wäre der Film spannend. Die Problematik kommt rein, weil im Grunde das Dritte Reich nicht nur als Hintergrundfolie benutzt wird – die Hakenkreuzfahnen, das Reichsluftfahrtministerium, das heutige Finanzministerium, die Soldaten, die korrekt sitzenden Uniformen –, sondern weil im Grunde eine Botschaft eines militärisch verengten Widerstands geführt wird. Peter Hoffmann sagt zum Beispiel, dass für Stauffenberg die Verfolgung der Juden ursächlich gewesen wäre für die Motivation des Widerstandes. Ich kenne keine Quelle, die dieses in dieser Eindeutigkeit zeitursprünglich und belastbar belegt. Ich habe bis heute keine Reaktionen von Stauffenberg auf die Nürnberger Rassengesetze oder auf das Novemberpogrom, den Synagogensturm gefunden. Das ist nicht schlimm, Stauffenberg ist ein Kind seiner Zeit, aber die Überwindung von Positionen, bei denen man sich möglicherweise sogar in Übereinstimmung mit dem Nationalsozialismus befunden hat, oder das Aufwachsen der realistischen Einsicht in die Wirklichkeit des Dritten Reiches, die Empörung und die daraus abzuleitende Konsequenz des Handelns, die findet man in diesem Film, in dieser Länge, in dieser Spannung nicht. Und ich denke, das wird Peter Hoffmann, der diesen Film ja beraten hat und sich deshalb eigentlich nur bescheinigt, sich selbst bescheinigt, dass er gute Arbeit geleistet hat, und dem dann auch diese Selbstbescheinigung von den Feuilletons abgenommen wird, der wird also mit dieser Aussage leben müssen.
Führer: Nun ist dieser Film ja nicht für ein deutsches Publikum gedreht worden, sondern für ein amerikanisches Publikum. Kann man nicht immerhin sagen, dass es doch gut ist, dass die Amerikaner wenigstens überhaupt erst mal vom deutschen Widerstand erfahren, von dem sie ja – soweit ich informiert bin – meistens nicht besonders viel wissen?
Steinbach: In der Tat, Frau Führer, wissen die Amerikaner vom deutschen Widerstand mehr, als wir uns vorstellen können. In dem Holocaust Memorial wird natürlich der Widerstand gewürdigt, es werden zum Beispiel die Flugblätter der Weißen Rose ausgestellt. Wenn wir solch eine Argumentation hören, wenn ich sie höre, weiß ich, dass wir eigentlich die Absatzstrategie des Filmverleihs reproduzieren. Es gibt einen "Schindler"-Film, der gewissermaßen eine neue Epoche der Auseinandersetzung mit dem zivil orientierten Widerstand eingeleitet hat, es gibt den "Elser"-Film, es gibt die Filme über die Weiße Rose, die auch in den USA großen Erfolg hatten. Führende Widerstandshistoriker schreiben in englischer Sprache: Klemens von Klemperer, Peter Hoffmann. Das heißt, ich glaube, wir reden uns etwas ein und vergessen über diese Einrede zu fragen, was eigentlich in internationaler Hinsicht am deutschen Widerstand vermittelt werden soll. Zum Beispiel, dass dieser Widerstand darauf abhebt, die politische, die militärische Führung zu beseitigen, den Krieg abzukürzen, weil man das Land liebt. Man steht nicht bedingungslos zu dieser Regierung. Das ist etwas Besonderes. Ich glaube, das ist schwer für einen Amerikaner zu verstehen, der zunächst einmal sagt: right or wrong, my country. Und insofern gehen meine Ansprüche da wirklich weiter als so dieser plakative Versuch, Stauffenberg zu propagieren. Wer durch diesen Film erstmals von Stauffenberg hört, wird ihn auch sehr schnell wieder vergessen.
Führer: Das ist ja normal, dass Ihre Ansprüche weiter gehen, denn Sie sind Wissenschaftler, Herr Steinbach. Sie haben gerade den "Schindler"-Film – ich nehme an, Sie meinen "Schindlers Liste" – erwähnt, und das ist ja ein gutes Beispiel dafür. Es gibt ja noch andere amerikanische Filme, die ja teilweise erst in Deutschland auch dazu geführt haben, dass sich die Menschen stark mit dieser Zeit auseinandergesetzt haben. Ich erinnere an die Fernsehserie "Holocaust", es musste erst eine amerikanische Fernsehserie kommen, damit das deutsche Publikum ganz erschüttert war über das Schicksal der Juden. Das mag ja dem Historiker nicht gefallen, aber ist es nicht so, dass Sie auch einfach einräumen müssen, dass Wissenschaftler niemals so eine Breitenwirkung erzielen?
Steinbach: Mir gefällt das, dass diese Filme diese Wirkung haben, und ich werfe eigentlich meinem Fach, meinen Kollegen vor, dass sie viel zu wenig auf diese medial vermittelten Chancen einer Auseinandersetzung mit der Geschichte eingehen. Und genau da, glaube ich, liegt dann die Kompromisslinie. Wenn das Interesse an Stauffenberg durch diesen Film geweckt wird, dann ist es gut. Das bedeutet aber, dass dieser Film nicht Antworten zementieren will und kann, sondern dass er im Grunde Neugier wecken muss. Man muss mit diesem Film mehr wissen, man muss etwas entdecken. Das war das Geheimnis von Spielbergs "Schindler"-Film. Schindler auszustellen in einer Widerstandsausstellung, bedeutet, kaum Bilder zu finden, in denen er ohne Verdienstkreuz der Bundesrepublik zu sehen ist. Er war nicht so unbekannt, wie es Spielberg macht, aber er nimmt uns mit in diese Entdeckungsgeschichte. Und das würde ich mir bei einem Film über den 20. Juli auch wünschen, weniger Ausrufungszeichen, mehr Fragezeichen.
Führer: Der Historiker Peter Steinbach ist Professor an der Universität Mannheim und wissenschaftlicher Leiter der Gedenkstätte Deutscher Widerstand in Berlin. Das musste ich nur noch mal nachtragen. Heute Nachmittag hat der Film "Operation Valkyrie", übrigens vor geladenem Publikum, hier in Berlin Europa-Premiere. Mehr darüber erfahren Sie auch in unserer Sendung "Fazit am Abend" ab 19.00 Uhr, und ich bedanke mich ganz herzlich für Ihren Besuch bei uns Studio, Herr Steinbach.
Steinbach: Ich bedanke mich auch.
Peter Steinbach: Ich freue mich.
Führer: Heute haben Sie ja die einmalige Gelegenheit, mal als Filmkritiker aufzutreten. Ist "Operation Walküre" ein guter Film?
Steinbach: Ich finde, dass dieser Film viele der Befürchtungen, die man formuliert hat, nicht trifft. Es ist ein überraschend ruhiger Film, es ist sicherlich ein Hollywood-Film, aber ich finde, auch Hollywood-Film ist nicht unbedingt ein negatives Kriterium. Der Film hat wunderschöne, ruhige Bilder, wunderschöne Landschaftsaufnahmen aus der Gegend um Zossen und wo auch immer. Und ich muss sagen, den sollte man sich schon anschauen. Man muss allerdings wissen, wofür der Film steht, denn er beansprucht ja von den Machern her, ein Unterhaltungsfilm zu sein, aber von denjenigen – und Sie haben es schon gesagt –, die diesen Film mitfinanziert haben, wird beansprucht, dass es gewissermaßen ein originärer, ein wichtiger Zugang zur Geschichte des deutschen Widerstands als einem wichtigen Thema deutscher Geschichte ist.
Führer: Das ist ja doch immerhin erstaunlich, dass Sie sagen, man sollte sich diesen Film anschauen, denn vor anderthalb Jahren gehörten Sie ja zu den schärfsten Kritikern des ganzen Projektes, und eine Ihrer großen Befürchtungen war, dass der Schauspieler Tom Cruise es nicht schaffen würde, die komplexe Persönlichkeit Stauffenbergs darzustellen, der ja nun die absolute Hauptrolle in diesem Film spielt. Ist diese Befürchtung eingetreten, oder sind Sie widerlegt worden?
Steinbach: Diese Komplexität stellt er nicht dar, sondern er konzentriert sich auf wenige Monate und schließlich auf wenige Tage, und das wird dann ganz dicht, in wenigen Stunden. Das, was ganz sicherlich korrekt, weitgehend korrekt dargestellt ist, ist das Attentat selbst. Aber die Vorgeschichte, das Attentat auf Hitler ist der Endpunkt einer langen Entwicklung, die wird natürlich nicht nur nicht dargestellt, sondern die wird meiner Ansicht nach eben auch so problematisch angedeutet, dass sich darauf meine Bedenken richten. Ich will das vielleicht ausführen. Der Widerstand gegen den Nationalsozialismus in militärischer Hinsicht wollte handeln, um Politikern, also Zivilisten, Spielräume zu eröffnen. Die zivilen, die bürgerlichen Politiker erscheinen aber in diesem Film wie alte, verbrauchte, sich immer streitende und zu keiner konsequenten Handlung fähige Leute. Für mich ist Stauffenberg nicht denkbar ohne seine Freunde, ohne Julius Leber, der sozialdemokratischer Innenminister geworden wäre, oder Reichwein oder Trott. Also Stauffenberg trat eigentlich hinter die Zivilisten zurück. Und in diesem Film ist es ganz anders, hier ringt Gut und Böse, und das Gute verkörpert Stauffenberg und das Böse sind all die anderen. Damit fällt die Deutung dieses Widerstands weit zurück hinter den erreichten Stand, den wir in der Wissenschaft, den wir aber auch publizistisch oder pädagogisch erreicht haben.
Führer: Das heißt, der Film zeichnet ein Bild vom deutschen Widerstand, was sich rein auf das Militärische konzentriert?
Steinbach: Stauffenberg ist der Handelnde. Um handeln zu können, wird in diesem Film Goerdeler buchstäblich des Raumes verwiesen, er wird weggeschickt. Die Zivilisten braucht man nicht. Und da sind wir dann natürlich bei der Dramaturgie eines Filmes, der einen Superman schildert. Und dagegen richtet sich mein Bedenken. Aber ästhetisch gesehen, das ist gut gemacht, das ist sauber gemacht, das ist häufig spannend, das hat Verzögerungsmomente. Nur eine historische Hinführung zum Widerstand, wie oft gesagt wird, sogar in internationaler Perspektive, ist dieser Film nicht.
Führer: Der Film "Operation Walküre" mit Tom Cruise in der Rolle von Claus Schenk Graf von Stauffenberg läuft in dieser Woche in den deutschen Kinos an. Ich spreche im "Radiofeuilleton" mit einem der schärfsten Kritiker des Projektes und doch jetzt einigermaßen beruhigten Mann, nämlich dem Historiker Peter Steinbach. Herr Steinbach, die Kritik ist ja doch nicht ohne, weil Sie ja sagen, im Grunde genommen wird der Widerstand, deutsche Widerstand falsch gezeichnet. Nun gibt es ja Peter Hoffmann, den Stauffenberg-Biografen, der auch den Film wissenschaftlich beraten hat, und er sagt, gut, es gebe einzelne äußerliche Einzelheiten, die nicht stimmen würden, also die Besprechung vom 15. Juli zum Beispiel oder Goerdeler haben Sie gerade erwähnt, das räumen die Drehbuchautoren selbst ein, dass sie diese Figur aufgrund der dramatischen Erfordernisse des Drehbuchs ändern mussten. Aber ansonsten sagt eben Peter Hoffmann, die grundlegende Wahrheit der Geschichte sei getroffen.
Steinbach: Ja, ich kann ihm diese Aussage überhaupt nicht abnehmen, und ich kann sie auch nicht nachvollziehen. Ich empfehle, diesen Film einfach zu sehen als den Versuch eines Offiziers, eine Regierung zu beseitigen. Stauffenberg könnte auch anders heißen. Dann wäre der Film spannend. Die Problematik kommt rein, weil im Grunde das Dritte Reich nicht nur als Hintergrundfolie benutzt wird – die Hakenkreuzfahnen, das Reichsluftfahrtministerium, das heutige Finanzministerium, die Soldaten, die korrekt sitzenden Uniformen –, sondern weil im Grunde eine Botschaft eines militärisch verengten Widerstands geführt wird. Peter Hoffmann sagt zum Beispiel, dass für Stauffenberg die Verfolgung der Juden ursächlich gewesen wäre für die Motivation des Widerstandes. Ich kenne keine Quelle, die dieses in dieser Eindeutigkeit zeitursprünglich und belastbar belegt. Ich habe bis heute keine Reaktionen von Stauffenberg auf die Nürnberger Rassengesetze oder auf das Novemberpogrom, den Synagogensturm gefunden. Das ist nicht schlimm, Stauffenberg ist ein Kind seiner Zeit, aber die Überwindung von Positionen, bei denen man sich möglicherweise sogar in Übereinstimmung mit dem Nationalsozialismus befunden hat, oder das Aufwachsen der realistischen Einsicht in die Wirklichkeit des Dritten Reiches, die Empörung und die daraus abzuleitende Konsequenz des Handelns, die findet man in diesem Film, in dieser Länge, in dieser Spannung nicht. Und ich denke, das wird Peter Hoffmann, der diesen Film ja beraten hat und sich deshalb eigentlich nur bescheinigt, sich selbst bescheinigt, dass er gute Arbeit geleistet hat, und dem dann auch diese Selbstbescheinigung von den Feuilletons abgenommen wird, der wird also mit dieser Aussage leben müssen.
Führer: Nun ist dieser Film ja nicht für ein deutsches Publikum gedreht worden, sondern für ein amerikanisches Publikum. Kann man nicht immerhin sagen, dass es doch gut ist, dass die Amerikaner wenigstens überhaupt erst mal vom deutschen Widerstand erfahren, von dem sie ja – soweit ich informiert bin – meistens nicht besonders viel wissen?
Steinbach: In der Tat, Frau Führer, wissen die Amerikaner vom deutschen Widerstand mehr, als wir uns vorstellen können. In dem Holocaust Memorial wird natürlich der Widerstand gewürdigt, es werden zum Beispiel die Flugblätter der Weißen Rose ausgestellt. Wenn wir solch eine Argumentation hören, wenn ich sie höre, weiß ich, dass wir eigentlich die Absatzstrategie des Filmverleihs reproduzieren. Es gibt einen "Schindler"-Film, der gewissermaßen eine neue Epoche der Auseinandersetzung mit dem zivil orientierten Widerstand eingeleitet hat, es gibt den "Elser"-Film, es gibt die Filme über die Weiße Rose, die auch in den USA großen Erfolg hatten. Führende Widerstandshistoriker schreiben in englischer Sprache: Klemens von Klemperer, Peter Hoffmann. Das heißt, ich glaube, wir reden uns etwas ein und vergessen über diese Einrede zu fragen, was eigentlich in internationaler Hinsicht am deutschen Widerstand vermittelt werden soll. Zum Beispiel, dass dieser Widerstand darauf abhebt, die politische, die militärische Führung zu beseitigen, den Krieg abzukürzen, weil man das Land liebt. Man steht nicht bedingungslos zu dieser Regierung. Das ist etwas Besonderes. Ich glaube, das ist schwer für einen Amerikaner zu verstehen, der zunächst einmal sagt: right or wrong, my country. Und insofern gehen meine Ansprüche da wirklich weiter als so dieser plakative Versuch, Stauffenberg zu propagieren. Wer durch diesen Film erstmals von Stauffenberg hört, wird ihn auch sehr schnell wieder vergessen.
Führer: Das ist ja normal, dass Ihre Ansprüche weiter gehen, denn Sie sind Wissenschaftler, Herr Steinbach. Sie haben gerade den "Schindler"-Film – ich nehme an, Sie meinen "Schindlers Liste" – erwähnt, und das ist ja ein gutes Beispiel dafür. Es gibt ja noch andere amerikanische Filme, die ja teilweise erst in Deutschland auch dazu geführt haben, dass sich die Menschen stark mit dieser Zeit auseinandergesetzt haben. Ich erinnere an die Fernsehserie "Holocaust", es musste erst eine amerikanische Fernsehserie kommen, damit das deutsche Publikum ganz erschüttert war über das Schicksal der Juden. Das mag ja dem Historiker nicht gefallen, aber ist es nicht so, dass Sie auch einfach einräumen müssen, dass Wissenschaftler niemals so eine Breitenwirkung erzielen?
Steinbach: Mir gefällt das, dass diese Filme diese Wirkung haben, und ich werfe eigentlich meinem Fach, meinen Kollegen vor, dass sie viel zu wenig auf diese medial vermittelten Chancen einer Auseinandersetzung mit der Geschichte eingehen. Und genau da, glaube ich, liegt dann die Kompromisslinie. Wenn das Interesse an Stauffenberg durch diesen Film geweckt wird, dann ist es gut. Das bedeutet aber, dass dieser Film nicht Antworten zementieren will und kann, sondern dass er im Grunde Neugier wecken muss. Man muss mit diesem Film mehr wissen, man muss etwas entdecken. Das war das Geheimnis von Spielbergs "Schindler"-Film. Schindler auszustellen in einer Widerstandsausstellung, bedeutet, kaum Bilder zu finden, in denen er ohne Verdienstkreuz der Bundesrepublik zu sehen ist. Er war nicht so unbekannt, wie es Spielberg macht, aber er nimmt uns mit in diese Entdeckungsgeschichte. Und das würde ich mir bei einem Film über den 20. Juli auch wünschen, weniger Ausrufungszeichen, mehr Fragezeichen.
Führer: Der Historiker Peter Steinbach ist Professor an der Universität Mannheim und wissenschaftlicher Leiter der Gedenkstätte Deutscher Widerstand in Berlin. Das musste ich nur noch mal nachtragen. Heute Nachmittag hat der Film "Operation Valkyrie", übrigens vor geladenem Publikum, hier in Berlin Europa-Premiere. Mehr darüber erfahren Sie auch in unserer Sendung "Fazit am Abend" ab 19.00 Uhr, und ich bedanke mich ganz herzlich für Ihren Besuch bei uns Studio, Herr Steinbach.
Steinbach: Ich bedanke mich auch.