Frank Bajohr: "Unser Hotel ist judenfrei. Bäder-Antisemitismus im 19. und 20. Jahrhundert"
S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2003
233 Seiten, 12,90 EUR
Antijüdische Kultur am Strand
Schon bevor die Nazis die Macht ergriffen, gab es in Deutschland starke antisemitische Tendenzen: Etwa im Tourismus, erklärt Historiker Frank Bajohr. Bereits 1931 warben zahlreiche Hotels und Seebäder damit, "judenfrei" zu sein.
Frank Bajohr leitet in München am Institut für Zeitgeschichte das Zentrum für Holocauststudien. Bereits vor einigen Jahren hat er sich in einer Studie mit einem besonderen Aspekt des Judenhasses befasst: Dem Antisemitismus an den Seebädern zur Urlaubszeit. Schon bevor die Nazis 1933 an die Macht kamen, hatten einige touristische Einrichtungen und zum Teil ganze Urlaubsorte damit für sich geworben, "judenfrei" zu sein.
Antisemitismus an den Stränden
Deutsche Juden mussten daher vor ihrer Urlaubswahl oft vorab recherchieren, erklärte Bajohr im Deutschlandfunk Kultur. "Es gab in der deutsch-jüdischen Presse sogenannte Warnlisten, auf der zum Beispiel 1931 über 360 Hotels und ungefähr zwei Dutzend Erholungsorte verzeichnet waren." Diese Einrichtungen gaben in ihren Annoncen an, keine jüdischen Gäste zu wünschen.
"Es gab an manchen dieser Orte aber auch eine regelrechte antijüdische Kultur, die öffentlich zelebriert wurde. Auf der Nordsee-Insel Borkum war dies beispielsweise der Fall. Oder in Zinnowitz an der Ostsee. Da gab es antijüdische Spottlieder, die zum Teil auch auf Postkarten gedruckt wurden, die man dann den Verwandten nach Hause senden konnte. Kurkapellen spielten diese Lieder und die Gäste sangen die dann auch noch."
"Ein Ventil für Statusunsicherheiten"
Dieser "Judenhass war zum einen natürlich Ausdruck des allgemeinen, in Deutschland verbreiteten gesellschaftlichen Antisemitismus", erklärte Bajohr außerdem und führte aus, dass vor dem Ersten Weltkrieg Úrlaubsreisen noch als gesellschaftliche Statussymbol aufgeladen waren: Nur wenige Familien konnten sich eine jährliche Urlaubsreise leisten.
Da die Juden damals eine gesellschaftlich erfolgreiche Minderheit waren – sie "waren früh verbürgerlicht, ein hoher Anteil von Akademikern" –, habe dies unter jenen, die sich weniger leisten konnten, im besonderen Maß Neid und Missgunst hervorgerufen, so Bajohr. Hier sei "ein Ventil für ihre Statusunsicherheiten und Ängste" gesucht worden.
"Der Extremismus der gesellschaftlichen Mitte"
Wobei dieser Bäder-Antisemitismus sich laut Bajohr keineswegs auf die Unterschicht beschränkte. Er sei vielmehr "auch ein Lehrstück für den Extremismus, der aus der gesellschaftlichen Mitte kommt." Auch wohlsituierte Bürger hätten sich im Zuge der gesellschaftlichen Modernisierungen seit den 1890er Jahren daran beteiligt. Zwar sei es dieser Bevölkerungsschicht gut gegangen, doch habe der fortschreitende Wandel auch hier "Verunsicherungen und Ängste ausgelöst", sagte Bajohr, der in unserer Gegenwart mitunter ähnliche Entwicklungen beobachtet: Auch heute richte man wieder eigene Unsicherheiten gegen Randgruppen.
"Unmittelbare Parallelen" dürfe man allerdings auch nicht zu leichtfertig ziehen, fügte Bajohr hinzu: Schließlich finden solche Aggressionen im Staat heute keinen Komplizen mehr. "Der Staat würde heute gegen solche aktiven Formen der Diskriminierung vorgehen." Bei Bajohr regt sich aber auch Skepsis: "Ich bin mir nicht ganz sicher, was eigentlich passieren würde, wenn man in einem mondänen Seebad ein großes Flüchtlingsheim errichten würde, wie weit es dann noch her wäre mit unserer gesellschaftlichen Toleranz."
(thg)