Deutsch-französisches Verhältnis gestörter denn je
In der Energie- und Umweltpolitik: nur Gegensätze und Konflikte. Aber auch in der Außenpolitik sucht man vergeblich nach Gemeinsamkeiten. Deutschland und Frankreich sind weit auseinander gerückt, meint der Historiker Klaus Manfrass.
Die Wiederholung von Versöhnungsbildern kann nicht darüber hinweg täuschen, daß die bilateralen Beziehungen seit der deutschen Wiedervereinigung nie in einem derart kritischen Zustand waren:
Kein gemeinsames Handeln auf europäischer Ebene. Der einst beschworene Motor blockiert. Die nicht abgesprochenen Alleingänge der Kanzlerin in der Flüchtlingsthematik haben den französischen Staatspräsidenten in die Bredouille gebracht, wenn er nach jeder Begegnung mit Angela Merkel einer Europäisierung der Flüchlingspolitik zustimmte und dann sein Premierminister Manuel Valls laut und entschieden dementierte. Solche Pannen erschütterten die Glaubwürdigkeit des Staatschefs, und haben auch anti-deutsche Ressentiments - selbst in der Mitte der französischen Gesellschaft - wieder aufleben lassen.
Nur Gegensätze und Konflikte
Nicht nur Marine Le Pen lancierte das Wort der ‘Kaiserin‘ von Europa – gemeint war Angela Merkel. In dieser Flut von Ressentiments kam auch alles, was beide Länder mehr voneinander trennt, als die Erinnerung an die Hölle von Verdun, wieder zum Vorschein.
In der Energie- und Umweltpolitik: nur Gegensätze und Konflikte.
Aber auch in der Außenpolitik sucht man vergeblich nach Gemeinsamkeiten. Frankreich und Großbritannien bombardieren gemeinsam mit der US-Airforce die IS-Stellungen in Syrien. Die deutsche Luftwaffe macht dazu Bilder. Wenn es allerdings meint, dass das der deutsche Beitrag sei, hat die deutsche Regierung nicht die Courage, es ihren Bürgern auch zu sagen.
In Mali trägt Frankreich quasi allein die Bürde des Kampfes gegen die Islamisten. Die dort inzwischen auch präsente Bundeswehr beteiligt sich nicht daran und beschränkt sich auf Ausbildung und Information. Die viel berufene Solidarität sieht anders aus.
Asymmetrisches Verhältnis
Mit dem Wort "Asymmetrie" haben Experten der bilateralen Beziehungen das Verhältnis charakterisiert. Jede Reduzierung von bereits erreichten Gemeinsamkeiten gewinnt als trennendes Element ein übermäßiges Gewicht, und hat vielleicht stärkeren Symbolcharakter als Verdun.
So zum Beispiel die Abschaffung des Deutschen als Fremdsprache an bestimmten französischen Gymnasien. Hat man sich wirklich nichts mehr zu sagen?
Gewiss: Divergenzen zwischen Staaten sind normal, Interessen sind auch nicht identisch. Eine Rückkehr zur Normalität bringt etwas frische Luft nach den Jahren der gemeinsamen Verherrlichung der heiligen Väter der deutsch-französischen Versöhnung. Unbestritten bleibt jedes Land der wichtigste Partner des anderen. Woran es aber fehlt, sind gemeinsame Projekte.
Das Fehlen gemeinsamer Projekte
Mit Recht kritisiert man die hegemonialen Ansprüche der USA, ihre imperative Forderung, dass ihr nicht enden wollender unterschwelliger Konflikt mit Russland von den Europäern mitgetragen werden muss. Wo aber bleiben da die Autonomiebestrebungen der Europäer? Wie steht es mit einer auf Frankreich und Deutschland basierenden gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik? Von gemeinsamen Krisenstrategien keine Spur, europäische Armee: Adé.
Was wäre heute die Botschaft von Verdun? Ein neuer deutsch-französischer Krieg: Abwegig, absurd! Nicht einmal in einem Albtraum vorstellbar! Friede herrscht aber noch lange nicht in Europa.
Ein Konflikt - möglicherweise sogar militärisch - zeichnet sich am östlichen Horizont ab. Der überwunden geglaubte Kalte Krieg kommt wie aus der Mottenkiste zurück und mit ihm vergessen geglaubte Begriffe wie "Gleichgewicht des Schreckens" oder "nuklearer Abtausch". Auch der Rüstungswettlauf hat wieder begonnen.
Der nächste Krieg, wenn es einen gibt, würde atomar enden. Und danach wird Europa so aussehen wie die Gegend um Verdun, wo lange kein Baum mehr wuchs, wo nur Granaten und Menschenknochen in der kargen Erde liegen. Das ist die Botschaft, die heute von Verdun ausgehen müsste.
Klaus Manfrass hat seit Anfang der 1960er-Jahre in Paris gelebt und mehr als 30 Jahre am Deutschen Historischen Institut Paris im Bereich Zeitgeschichte gearbeitet. Besonders geprägt hat ihn seine Zeit im heutigen Maison Heinrich-Heine der damaligen Cité Universitaire. Das deutsche Haus wurde noch vor dem Elysée-Vertrag eingeweiht und ist ein wichtiges Element deutsch-französischer Universitätskontakte. Später arbeitete Klaus Manfrass für die DGAP (Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik). Ende 2006 verließ er Paris und lebt jetzt im Ruhestand in Oberbayern.