Negativer Mythos für den Wahlkampf
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Die Treuhand ist derzeit ein großes Thema vor den Landtagswahlen in drei ostdeutschen Bundesländern. Warum sie besonders von der AfD politisch instrumentalisiert wird, erklärt der Historiker Marcus Böick.
Liane von Billerbeck: "Bei mir wuchs schnell der Respekt vor den Ostdeutschen, die durch ihren ungeheuren Mut die Mauer zu Fall gebracht haben, wir Westdeutschen haben dazu nichts beigetragen. Diese großartige Leistung wurde nicht ausreichend gewürdigt, genauso wenig wie die Leistungen der Menschen im Transformationsprozess. In Westdeutschland wäre es nicht möglich gewesen, den Leuten eine Veränderung dieses Ausmaßes zuzumuten. Sie hätten das nicht durchgehalten, davon bin ich überzeugt."
Soweit Birgit Breuel, die Chefin der Treuhand von 1991 bis '95 in einem Interview in der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung". Das Handeln der Treuhand, das spielt jetzt, Jahrzehnte später, ja wieder eine Rolle, ganz aktuell im Wahlkampf von Brandenburg und Sachsen und Thüringen, wo ja die Landtage neu gewählt werden. Und gerade die AfD versucht damit Stimmung zu machen. Opfermythos Ost, Heldengeschichte West – wie das Thema Treuhand im Wahlkampf instrumentalisiert wird, darüber rede ich jetzt mit dem Zeithistoriker Marcus Böick von der Ruhr-Universität Bochum.
Björn Höcke aus dem Westen und thüringischer AfD-Vorsitzender, der hat am 1. Mai gesagt, die Verelendung und Heimatzerstörung hier bei uns hat einen Namen, und dieser Name lautet Treuhand. Ist das die klassische rechtspopulistische Sündenbockpolitik?
Böick: Ich denke, die Treuhand beziehungsweise der Mythos, der negative Mythos, der sich mit der Treuhand verknüpft, eignet sich natürlich für solche politischen Instrumentalisierungen relativ gut, weil man auch im Blick auf die Treuhandanstalt so ein Narrativ oder so eine Erzählung bedienen kann, fremde, anonyme Mächte haben quasi von oben herab über euer Schicksal entschieden. Ihr durftet nicht mitbestimmen, es wurde nicht gefragt, also von daher gibt es da durchaus Anschlusspunkte, die sich für solche Motive eignen. Von daher überrascht es mich natürlich auch weniger, dass das in dieser Weise durch die AfD natürlich auch besetzt wurde beziehungsweise die AfD versucht, dieses Thema zu besetzen.
Grundlagen der Wirtschaftskrise in den 80er-Jahren
von Billerbeck: Es wird ja gerade von dieser Partei, aber auch von anderen immer der Eindruck erweckt, die DDR-Wirtschaft wurde gezielt in der Wende kaputt gemacht, Schuld habe die Treuhand. Wie haben Sie dafür Hinweise gefunden in Ihrer Forschung?
Böick: Ich denke, man wird das ganz stark differenzieren müssen, und es gibt keine einfachen Antworten auf diese Frage. Es ist eher eine komplizierte Verknüpfung von verschiedenen Faktoren. Sicher ist, dass die DDR-Planwirtschaft, ein Großteil ihrer Betriebe, nicht alle, in einer sehr schwierigen Situation waren, das steht auf jeden Fall fest. Sie waren oftmals überbesetzt, die Produkte waren oft nicht mehr marktfähig, nicht mehr wettbewerbsfähig. Die Betriebe waren in einem schlechten Zustand, die ökologischen Probleme waren sehr groß – das steht auf der einen Seite.
Aber auf der anderen Seite gehört auch zur Geschichte dazu, dass die Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion, die ja auch den Wunsch vieler Ostdeutscher oder der meisten Ostdeutschen dann zum 1. Juli kommt, diesen ohnehin angeschlagenen Betrieben dann ein Stück weit den Todesstoß versetzt hat. Sie müssen auf einmal alles in D-Mark bezahlen und auch ihre Produkte in D-Mark verkaufen, ihre Arbeiter in D-Mark bezahlen, und beides wirkt zusammen wie so ein perfekter Storm, würde ich sagen.
Beides kombiniert sich und ist in seiner Zusammensetzung fatal. Und zu diesem Zeitpunkt gibt es die Treuhand beispielsweise ja in dieser Form noch gar nicht, und das sind die Voraussetzungen, die sie finden. Also die Grundlagen der Wirtschaftskrise, die werden im Prinzip in den 80er-Jahren, aber auch im Frühjahr 1990 gelegt.
Die junge Generation interessiert sich für die Nachwendezeit
von Billerbeck: Nun ist der Mauerfall und auch die Demonstrationen zum Ende der DDR 1989 30 Jahre her. Haben Sie eine Erklärung dafür, dass gerade jetzt im Wahlkampf das Thema Treuhand so massiv kommt?
Böick: Ich denke, der Wahlkampf ist natürlich die eine Erklärung dafür, warum das Thema jetzt so massiv in den Vordergrund rückt, aber es gibt auch langfristige Faktoren. Ich denke, das hat auch damit zu tun, wie wir es immer in der Zeitgeschichte beobachten können, dass es immer eine gewisse Zeit braucht, bis bestimmte Themen, die unter der Oberfläche schwelen, offen thematisiert werden in Politik, Wissenschaft und Öffentlichkeit.
Das hat auch ein bisschen was damit zu tun, dass es jüngere Autoren und Autorinnen gibt, die das Thema vielleicht neu thematisieren. Ich erlebe jetzt auch gerade, dass Studierende oder Schüler sich für diese Nachwendezeit sehr interessieren, weil sie sagen, das spielt in der Schule eigentlich oftmals keine Rolle, aber unsere Eltern beschäftigt das sehr, also gerade in Ostdeutschland.
Also generationelle Faktoren sind ein wichtiger Faktor, aber auch natürlich klassische Konduktoren, also 30-jähriges Jubiläum, das lädt natürlich zu reichlicher Rückschau ein, zu Veranstaltungen, die Museen machen Programme, es gibt Podiumsdiskussionen. Also das wirkt alles ein Stück weit zusammen und bekommt natürlich durch diese politischen Verschiebungen eine ganz besondere Dramatik, und das wirkt ein Stück weit auch wie so ein geschichtspolitischer Katalysator.
Helden- oder Schurkengeschichten
von Billerbeck: Das Wirken der Treuhand, das fordern die Linken, aber auch die AfD, soll noch mal in einem Untersuchungsausschuss untersucht werden. Könnte der dann noch irgendwas Neues rausfinden, also insbesondere zu den Möglichkeiten der Sanierung von DDR-Betrieben statt Privatisierung und Abwicklung?
Böick: Ich wäre da eher skeptisch. Also ein Untersuchungsausschuss ist natürlich ganz klar ein durchaus legitimes politisches Instrument, wo über politische Fragen verhandelt wird. Und das ist eine durchaus interessante Frage, also wie sieht die politische Rahmung der Treuhand-Aktivitäten aus, wo liegen die Verantwortlichkeiten, Sie hatten es ja gesagt, die Treuhand war oft im Fokus, weil sie die Entscheidungen verkündet hat, die Entlassungen verkündet hat, die Schließungen verkündet hat.
Aber natürlich war sie umgeben von einem politischen Rahmen und Geflecht aus Bundesregierung, die Landesregierung, Gewerkschaften, die waren durchaus dort auch auf die ein oder andere Weise involviert. Das wäre durchaus interessant. Aber ich denke, dass gerade so ein aufgeheiztes Klima, ein geschichtspolitisches Klima, wo diese Fragen gestellt werden, auch auf eine sehr eindringliche, emotionale Art und Weise gestellt werden, denke ich, muss dazu beitragen, das Thema ein Stück weit zu differenzieren und zu entemotionalisieren und verschiedene Perspektiven darauf einzunehmen.
Und ich glaube, das bräuchte man gerade bei so einem hoch umstrittenen Thema wie der Treuhandanstalt, dass wir stärker Differenzierung bräuchten und den Blick auf konkrete Fälle bräuchten und eben Perspektiven bräuchten, die sich ein Stück weit absetzen von Heldengeschichten oder Schurkengeschichten. Die haben wir eigentlich die letzten 30 Jahre genug gehört. Und da habe ich eher meine Zweifel.
Auch Westdeutschland hat sich massiv verändert
von Billerbeck: Können wir denn daraus was lernen, aus diesem Systemwechsel von der Plan- zur Marktwirtschaft, für den es ja damals keine Vorlage gab?
Böick: Das ist auch eine hoch spannende Frage. Natürlich wird man nicht simpel einfach irgendwas kopieren oder nachbauen können, aber man sieht, denke ich, wenn man eines sieht an der Geschichte der Treuhand, dann ist es die Überforderung der Akteure und wie sie mit dieser Überforderung umgehen. Es waren nicht nur die Ostdeutschen mit der Situation überfordert, das ist ja relativ offensichtlich, aber auch die handelnden westdeutschen Akteure, die Manager, die Beamten, die Experten, die hierherkamen und durchaus nicht immer nur, also durchaus auch mit guten Absichten hierhergekommen sind in die neuen Bundesländer, die zeigten sich natürlich von diesem Szenario auch überfordert.
Und das ist ein Stück weit auch das, was Birgit Breuel zu artikulieren versucht hat jetzt in ihrem jüngsten Beitrag, also dass man versucht herauszuheben, es hat nicht nur den Osten verändert, Ostdeutschland verändert, sondern es hat eigentlich auch Westdeutschland sehr massiv verändert. Und deshalb ist es eine gemeinsame, eine geteilte Geschichte und in dieser Form natürlich auch eine geteilte Überforderung. Und ich denke, das ist eine Perspektive auf diese Nachwendezeit, die ein Stück weit helfen könnte, diese Zuschreibungen besser "Besserwessi", "Jammerossi" auch zu durchbrechen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.