Unterschiedliche Wege zu Gott sind „lebensnotwendig“
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Die Familie von Andreas Nachama kam, außer seinen Eltern, im Holocaust um. Als Historiker und Direktor der Stiftung „Topographie des Terrors“ hat sich Nachama jahrzehntelang mit den Tätern befasst. Und bis heute betreibt er als Rabbiner Seelsorge.
Als Andreas Nachama im Westberlin der 50er- und 60er-Jahre aufwuchs, beobachtete der Sohn jüdischer Holocaust-Überlebender, "dass keiner in meiner Kindheit und Jugend Täter sein wollte, die gab es nicht". Und so beschäftigte sich der Historiker Andreas Nachama später vor allem mit den Tätern des Menschheitsverbrechens, an einem wichtigen Tatort: dem ehemaligen Gestapo-Hauptquartier in Berlin, heute Sitz der Dokumentationsstätte "Topographie des Terrors", die Nachama 25 Jahre lang geleitet hat.
Für Andreas Nachama ist dieser Ort keine Gedenkstätte, sondern ein Platz zum Lernen, der offenen und aufrechten Auseinandersetzung mit dem Unrecht, das hier begangen wurde: "Der gesenkte Kopf, reingehen in so einer Trauerstimmung, das hilft nicht, um zu verstehen, was da passiert ist."
Die Jahrhundertstimme des Vaters
Nachamas Mutter Lilli hatte die Verfolgung in Berlin überstanden, zunächst als Zwangsarbeiterin bei Siemens, weswegen ihr später niemals ein Haushaltsgerät dieses Herstellers in die Wohnung kam. Später wurde sie von mutigen Berliner Mitbürgern versteckt. Sein Vater Estrongo Nachama hatte Auschwitz überlebt, wurde Oberkantor der Jüdischen Gemeinde zu Berlin und weltbekannter Interpret jüdischer sakraler Gesänge. "Eine Jahrhundertstimme", erinnert sich sein Sohn an ihn.
Doch als Andreas Nachama seinem Vater eröffnete, außer Historiker auch Rabbiner werden zu wollen, reagierte der skeptisch: "Das ist kein Job für einen jüdischen Jungen". Andreas Nachama wurde trotzdem als Rabbiner ordiniert, er vertritt eine liberale Form des Judentums. Das führt ihn bisweilen auch in Auseinandersetzungen mit jüdischer Orthodoxie, doch der Diskurs zwischen unterschiedlichen Wegen zu Gott sei "lebensnotwendig", findet Andreas Nachama.
Interreligiöses Gebäude - mit Kirche, Moschee und Synagoge
Das gelte erst recht für ein Projekt, mit dem Andreas Nachama sich besonders befasst, seit er im vorigen Jahr als geschäftsführender Direktor der "Topographie des Terrors" in den Ruhestand gegangen ist: das "House of One" in Berlin. Dort soll in den nächsten Jahren ein interreligiöses Gebäude entstehen, mit Kirche, Moschee und Synagoge unter einem Dach.
Für Andreas Nachama, der im Stiftungsrat dieser Einrichtung sitzt, ein "Aufbruch in eine neue Zeit". Denn in den monotheistischen Religionen gebe es viele "deckungsgleiche Aussagen". Wobei die Unterschiede der Traditionen selbstverständlich zu respektieren seien: "Ich möchte nicht, dass jemand in meiner Tradition herumpopelt, ich popel aber auch nicht in der anderen Tradition herum."
(pag)