"Ich bin ein Putin-Versteher - im guten Sinn"
36:59 Minuten
Alexander Rahr war schon bei Wladimir Putin zum Abendessen eingeladen und hat beste Kontakte in den Kreml. Mittlerweile arbeitet der Historiker und Russlandexperte auch als Lobbyist für Gazprom: eine Doppelrolle, die ihm oft Kritik einbringt.
Alexander Rahr gilt als "Putin-Versteher" – nicht zuletzt, weil der Historiker, Politikberater und Lobbyist schon zwei Biografien über den russischen Präsidenten geschrieben hat. Im vergangenen Herbst veröffentlichte er außerdem seinen ersten Roman, der bereits im Titel wiederum auf den starken Mann im Kreml verwies: "2054. Putin decodiert".
"Putin-Versteher" - meist ist diese Zuschreibung nicht unbedingt positiv gemeint. Rahr hat damit aber überhaupt kein Problem: "Ich selbst sehe mich auch als Russlandkenner und Putin-Versteher", sagte er im Deutschlandfunk Kultur: "Aber im guten Sinn."
Von der DGAP zu Wintershall und Gazprom
Der 59-Jährige hat lange als Wissenschaftler bei der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) gearbeitet mit dem Schwerpunkt Osteuropa, bevor er 2012 als Politikberater in die Wirtschaft wechselte – erst zum deutschen Erdöl- und Erdgasproduzenten Wintershall, später dann zum russischen Gaskonzern Gazprom: "Genau so, wie ich damals den Vorständen von Wintershall erzählt habe, was in Russland los ist, versuche ich jetzt den Vorständen von Gazprom zu erzählen, was in Deutschland los ist."
Es gehe für Gazprom darum zu verstehen, "wie die deutsche Gesellschaft tickt", sagte Rahr – von politischen Entwicklungen bis hin zur Einschätzung einer Politikerin wie Annegret Kramp-Karrenbauer. "Natürlich interessiert das solche Schlüsselkonzerne sehr, nicht nur russische, auch andere ausländische. Man will wissen, wohin der Partner Deutschland morgen gehen wird."
Als Sohn russischer Migranten, deren Vorfahren vor den Kommunisten nach Deutschland und Belgien flohen, hatte Alexander Rahr von frühester Kindheit an eine enge Verbindung zu Russland. Schon sein Vater, der während der Nazi-Zeit mehrere Konzentrationslager überlebte, war als Redakteur von "Radio Liberty" kein Unbekannter in der Sowjetunion.
In der Schule war er der "Spion Alex"
"Ich hatte einen Spitznamen in der Schule: Spion Alex. Weil viele meiner Freunde eben nicht verstanden, warum wir zuhause Russisch sprachen, und ich mit russischen Freunden über etwas tuschelte, was sie nicht verstanden."
Aber auch auf russischer Seite habe man sein Wissen teilweise mit Argwohn betrachtet, berichtet er: "Die Russen, die ich später kennengelernt habe nach dem Fall der Mauer, wussten mit mir am Anfang auch nicht gleich alles anzufangen, weil ich so gut Russisch sprach und sie mich verdächtigten, zu nah an irgendwelchen deutschen Stellen zu sein."
Heute reicht Alexander Rahrs Netzwerk bis in höchste russische Kreise. Er war schon auf persönliche Einladung zum Abendessen bei Wladimir Putin im Kreml. Vor einigen Jahren halfen ihm diese Verbindungen, die Freilassung des Dissidenten Michail Chodorkowski nach zehn Jahren Haft zu unterstützen.
Überhaupt sieht sich Alexander Rahr als Brückenbauer zwischen Ost und West – und er bewertet die deutsch-russischen Beziehungen heute als denkbar schlecht. Für Russland sei Deutschland derzeit "eine große Enttäuschung". Gleichzeitig gebe es aber die Hoffnung, "dass sich alles wieder zum Guten wendet". Wenn der Konflikt um die Ukraine irgendwann gelöst sei, werde Deutschland wieder als wichtigster Partner in Europa gelten, ist Rahr sicher: "Man weiß in Russland in den Eliten, aber auch in der Gesellschaft, dass Deutschland eigentlich ein Freund Russlands ist."
"Ich bin kein Lobbyist, sondern Berater"
Gerade gebe es jedoch eine "Propaganda-Schlacht auf beiden Seiten". "Heute leben wir in einer Welt, in der alle Argumentation, die aus Russland kommt, alles, was Russland sagt, a priori als Propaganda abgetan wird, als Fake News", kritisierte Rahr. Insbesondere seine teils harschen Äußerungen zur Krimkrise haben ihm hierzulande viel Kritik eingebracht. Wegen seiner Arbeit für Gazprom wird auch seine Unabhängigkeit als Wissenschaftler in Frage gestellt.
Er selbst sieht keinen Interessenkonflikt: "Ich bin kein Lobbyist. Ein Lobbyist ist einer, der zu Ministerien läuft und versucht, hinter den Kulissen – was manchmal ja auch eine sehr anständige Arbeit ist – Interessen eines Konzerns durchzusetzen. Ich tue das nicht. Ich bin politischer Berater."