Valentin Groebner: "Ferienmüde. Als das Reisen nicht mehr geholfen hat"
Konstanz University Press, 2020
152 Seiten, 18 Euro
Ferienreisen als "eine Art von sozialer Pflicht"
10:41 Minuten
Für die meisten von uns sind Ferienreisen das Schönste. Der Historiker Valentin Groebner hat einen anderen Blick auf Urlaub. In "Ferienmüde" unternimmt er einen Streifzug durch die Geschichte des Reisens: Es sei zum sozialen Zwang geworden.
Das Timing hätte nicht besser sein können: Valentin Groebner, Historiker an der Universität Luzern, hatte sein Buch "Ferienmüde" bereits vollendet – da kam Corona. Er habe nur noch das Vor- und das Schlusswort seines Essays umschreiben müssen, der Rest habe unverändert bleiben können, berichtet der gebürtige Österreicher, der von sich selbst sagt, er sei reisemüde.
Beruflich reise er viel. Und zu den allgemein als "schönste Wochen des Jahres" bezeichneten Urlaubsreisen ans Meer oder in ferne Länder sagt er: "Ferien haben sich in eine Art von sozialer Pflicht verwandelt. In eine Paarpflicht, in eine Familienpflicht." Die Zahl der Reisenden habe sich in den zurückliegenden 60 Jahren ungefähr versiebzigfacht, das sei nicht ohne Folgen geblieben. "Überall, wo wir hinfahren, sind schon ganz viele andere." Die angeblich unberührte Insel sei spätestens dann nicht mehr unberührt, wenn sie in einer Tageszeitung mit Hunderttausender-Auflage angepriesen worden sei.
Touristenorte werden zu Abziehbildern
Groebner wirft in seinem Buch einen Blick auf die Geschichte des Reisens. "Vielleicht hat der heutige Tourismus die Nachfolge der Pilgerreisen des Mittelalters angetreten." Fest steht: Das "weiter, länger, teurer, exotischer" ist eine Entwicklung des 20. Jahrhunderts, denn vor den Dampfschiffen und Eisenbahnen "ist Reisen unglaublich teuer gewesen". So etwas wie eine Tourismusindustrie entstand erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts und auch das nur für Leute mit Geld.
Interessant findet Groebner die Erfahrung, sich Städte, die normalerweise Touristenmagneten sind, corona-leer anzuschauen. Ein gutes Beispiel sei seine derzeitige Heimatstadt Luzern, in die normalerweise wegen der schönen Lage am See und wegen der hübschen Altstadt 5,5 Millionen Touristen pro Jahr kommen.
"Plötzlich sah die vermeintlich pittoreske Altstadt wie eine Kulisse ihrer selber aus. Ohne Touristen funktionieren Touristenorte nicht." Und: "Das eigenartig Abziehbildhafte der Touristenorte wurde plötzlich sehr sichtbar, so schien es mir."
(mkn)