Heinrich August Winkler ist einer der renommiertesten deutschen Historiker. Bis zu seiner Emeritierung war er Professor an verschiedenen deutschen Universitäten, zuletzt an der Humboldt-Universität Berlin. Winkler ist Autor zahlreicher Bücher, darunter einer fünfbändigen "Geschichte des Westens". Zuletzt erschien von ihm "Wie wir wurden, was wir sind. Eine kurze Geschichte der Deutschen". C. H. Beck-Verlag, 255 Seiten, 22 Euro.
"Die Wahl hat auch gezeigt: Die amerikanische Demokratie lebt"
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Heinrich August Winkler sieht die USA in einer tiefen gesellschaftlichen Krise, ausgelöst durch Abstiegsängste eines Teils der Bevölkerung. Die demokratischen Institutionen hält er dagegen für stark genug, um auch eine Wiederwahl Trumps zu verkraften.
Too close to call: Was viele Beobachter nicht erwartet hatten, ist eingetroffen. US-Präsident Donald Trump hat bei der Präsidentenwahl deutlich besser abgeschnitten, als die Umfragen prognostiziert hatten, und darf sich sogar noch Hoffnungen auf die Wiederwahl machen.
"Die Krise der amerikanischen Demokratie hat ein geradezu existenzielles Stadium erreicht", kommentiert der Historiker Heinrich August Winkler die Situation. Gleichzeitig ist er zuversichtlich, dass die US-Demokratie auch eine Wiederwahl Trumps verkraften könnte. Denn was immer sich Trump vorgenommen hat, um die Institutionen der Demokratie zu schleifen: "Ich bezweifle, dass er mit solchen Vorhaben durchdringt", betont der Historiker.
So sehr Trump beispielsweise darauf aus sein dürfte, sich den Obersten Gerichtshof hörig zu machen, sei es keineswegs ausgemacht, dass er das schaffe. "Selbst wenn es eine republikanische Mehrheit unter den Richtern jetzt gibt, setze ich darauf, dass der amerikanische Verfassungspatriotismus stark genug ist, um dieses Kalkül nicht aufgehen zu lassen."
Auch die Gegengewichte innerhalb des Kongresses seien so stark, "dass diese populistische Deformation der amerikanischen Demokratie auf Grenzen stoßen wird".
Kein Vergleich mit den 1930er-Jahren
Winkler warnt auch vor "vorschnellen Vergleichen" etwa mit dem Deutschland Anfang der 1930er-Jahre, als es unter dem Eindruck der Weltwirtschaftskrise 1932 im Reichstag eine Mehrheit gegen die Demokratie gegeben habe.
"Das ist in Amerika auch nicht im entferntesten der Fall", betont der Historiker. "Ich glaube, dass das sich auch aus dieser Wahl ablesen lässt: Die amerikanische Demokratie lebt."
Gleichwohl sieht Winkler die knappe Wahl als Ausdruck einer gesellschaftlichen Krise, die zum einen dadurch gespeist wird, dass die USA eine Supermacht im Niedergang sind. Dieser "berühmte unipolare Moment" nach 1989, als der Ostblock weggebrochen war und die USA als einzige Supermacht übrigblieb, sei sehr bald vorübergegangen:
"Auch durch eine unverantwortliche Politik amerikanischer Präsidenten. Ich denke hier in erster Linie an George W. Bush", betont der Historiker. "In der Folge ist die Welt wieder multipolar geworden, und Amerika ist fern von der Machtfülle, in der es sich zeitweilig in den 90er-Jahren des letzten Jahrhunderts sah."
Der wichtigere Grund sei allerdings eine gesellschaftliche Verunsicherung durch die Globalisierung, meint Winkler:
"In einem Teil der Gesellschaft herrscht eine fulminante Bedrohungs- und Abstiegsangst. Das ist im Grunde das klassische Milieu populistischer Parteien." Und inzwischen auch weithin das Milieu der Republikanischen Partei in den USA: Dieses Milieu sehe sich durch die demografische Entwicklung in den USA bedroht, die dazu führt, dass der Anteil der Nicht-WASPs in der Gesellschaft immer mehr zunehme.
Für Winkler ist klar: "Diese Abstiegsangst ist die mächtigste Verbündete von Trump vor vier Jahren gewesen und ist es noch heute."
(uko)