"Weniger schenken, besser schenken, anders schenken"
Die Historikerin und Literaturwissenschaftlerin Luise Tremel empfiehlt beim Schenken andere Muster. Kinder sollten nicht an ein Konsumniveau gewöhnt werden, dass in Zukunft nicht mehr zu halten sei.
"Also weniger schenken, besser schenken, anders schenken", sagte die Wissenschaftliche Mitarbeiterin der Berliner Stiftung Zukunftsfähigkeit Futurzwei im Deutschlandradio Kultur. Tremel warnte vor allem vor Elektronikartikeln, die häufig billig produziert seien und sehr schnell auf dem Müll landeten. Stattdessen sollte man nach Geschenken Ausschau halten, die fair und nachhaltig produziert seien. "Ein Buch ist im Zweifel besser als eine Spielkonsole", sagte sie.
Schenken macht Spaß
Natürlich wolle man zu Weihnachten das verschenken, was die Leute sich wünschten. "Ich glaube, die Lösung muss jeder für sich selber finden", sagte Tremel. Sie wolle auch nicht unter dem Weihnachtsbaum sitzen, wo man Kindern erkläre, warum das Holzspielzeug besser sei. Es werde schizophren, wenn Kinder sich nicht mehr einfach über Geschenke freuen könnten. "Schenken macht Spaß, beschenkt werden, ist schön und Geschenke geben, ist auch schön", sagte Tremel.
Andererseits würden gerade Kinder in Zukunft in einer Welt leben, in der anders konsumiert werden müsse. Deshalb sei es fatal, sie an ein Konsumniveau zu gewöhnen, dass sie in Zukunft nicht halten könnten. Die Gesellschaft stehe vor der großen Herausforderung, den eigenen Konsum und die Geschenke stärker zu entmaterialisieren. "Eine Suche nach anderen Möglichkeiten, sein Leben und seine Zeit zu füllen", sagte sie. Das könne auch bedeuten, dass man jemanden beispielsweise schenke, den Garten zu säubern.
Das Interview im Wortlaut:
„Wenn der Konsum läuft, läuft die Wirtschaft, wenn er nicht läuft, läuft die Wirtschaft nicht."
Dieter Kassel: Das sagt Martin Höfner, Chefvolkswirt der Firma Assenagon, einer privaten Vermögensberatung, und er sagt das nicht zufällig gerade jetzt in der Vorweihnachtszeit. Denn wenn der Konsum jetzt nicht läuft, dann ist das ganze Jahr eigentlich nicht mehr in der Lage, das auszugleichen. Das ist immer so, und seit ich auf der Welt bin, muss ich zugeben, habe ich den Eindruck, die Weihnachtsgeschenke werden jedes Jahr größer, und jedes Jahr finden doch die meisten von uns, dass das eigentlich nicht in Ordnung ist. Aber es wird nicht besser.
Voraussichtlich geben die Deutschen zwar in diesem Jahr nicht mehr Geld aus als im letzten, aber auch keinen Cent weniger. 285 Euro sind es im Durchschnitt pro Person, und da in diesem Durchschnitt natürlich auch Leute vorkommen, die kaum Geld haben, gibt es auch einige, die wesentlich mehr ausgeben. Aber muss das sein, und sollte man den Wert, die Bedeutung eines Geschenkes wirklich an seinem materiellen Wert festmachen, und wenn nicht, woran denn eigentlich das dann? Darüber wollen wir reden mit Luise Tremel. Sie ist Geschichts- und Literaturwissenschaftlerin, promoviert gerade zum Thema "Historische Transformationen", und sie ist wissenschaftliche Mitarbeiterin von Futurzwei, einer Stiftung für Zukunftsfähigkeit mit Sitz hier in Berlin. Schön, dass Sie zu uns gekommen sind! Guten Morgen!
Luise Tremel: Guten Morgen!
Kassel: Was ist denn die Lösung dieses ja nicht ganz brandneuen Problems? Tatsächlich einfach gar nichts mehr schenken?
Tremel: Ich glaube, die Lösung muss jeder für sich selber finden. Schenken macht Spaß, beschenkt werden ist schön, Geschenke geben ist auch schön. Gleichzeitig ist klar, dass wir in der Zeit, in der wir leben, nicht so weiter werden konsumieren können, wie wir das tun. Das heißt, ich glaube, wir müssen uns jeweils einzeln und zusammen auf die Suche machen nach anderen Konsummustern, und das heißt auch anderen Schenkmustern. Also weniger schenken, besser schenken, anders schenken.
Kassel: Weniger schenken ist theoretisch ja noch ganz einfach, besser schenken nicht so. Was könnte denn das bedeuten, besser schenken?
Ein Buch ist im Zweifel besser als eine Spielkonsole
Tremel: Wenn wir uns jetzt die Elektronik zum Beispiel angucken, die Supergeschenke sind vor allem für Kinder und Jugendliche, dann wird die fürchterlich produziert und führt zu fürchterlichem Müll, den in Deutschland keiner auseinandernehmen kann. Das heißt, Geschenke suchen, die besser produziert sind, also fair, ökologisch, mit ordentlicher Bezahlung, und die, wenn der Beschenkte sie nicht mehr benutzt, nicht zu einer Katastrophe werden, die auf irgendwelche Kippen in Afrika exportiert werden, ist besser. Also ein Buch ist im Zweifel besser als eine Spielkonsole, nicht weil es zu einer anderen Bildung animiert, sondern weil es kein Schrott wird und weil es nicht unter entsetzlichen Bedingungen hergestellt wurde.
Kassel: Das heißt, wir müssten auch ein bisschen weg von einer Einstellung, die ja manche haben, das ganze Jahr über achte ich auf alles Mögliche, aber Weihnachten ist es dann egal?
Tremel: Das würde ich auf jeden Fall sagen, wobei ich glaube, es ist wirklich schwierig. Das mit der Suchbewegung meine ich sehr ernst, weil ich auch an mir selber merke oder an meinen Kolleginnen oder Leuten, die sehr, sehr, sehr umwelt- und sozialbewusst sind, dass man natürlich an Weihnachten für die Leute, die man liebt, das besorgen möchte, was die sich wünschen. Und wenn die sich ein neues Playstation-Spiel wünschen, dann möchte man es denen schenken. Und wenn die sich irgendwas wünschen, was eine Klamotte ist, die fürchterlich produziert wurde, dann möchte man denen das auch schenken. Das heißt, ich glaube, da ist es noch viel schwieriger, da raus zu kommen, weil es eben auch um andere geht und um die Erwartungen, die andere an einen haben und den sozialen Druck dieses Konsumierens, was für einen selber noch mal etwas anderes ist das Jahr über.
Kassel: Ist es bei Jugendlichen und Kindern vielleicht noch schwieriger als bei Erwachsenen?
Mit Kindern könnte man üben
Tremel: Ich glaube, es ist einerseits einfacher, weil man als Erwachsene, die Kinder beschenkt, besser aussuchen kann. Oder man kann ja entscheiden, was man denen schenkt. Andererseits ist es schwieriger, weil für Kinder das Zeug, was es so gibt, halt schlechter ist. Elektronik habe ich schon erwähnt, Plastikspielzeug, kleiner billiger Schmuck – das ist alles eigentlich Scheiße, muss man sagen, in der Art und Weise, wie es hergestellt ist. Man könnte aber, glaube ich, auf Kinder viel einfacher Einfluss nehmen, eben weil sie Kinder sind. Man könnte mit Kindern üben, was es bedeutet, weniger zu haben, oder sich über andere Sachen zu freuen.
Kassel: Nun ist es dann aber wahrscheinlich nicht geschickt, Heiligabend unterm Weihnachtsbaum zu erklären, ich schenke dir das nicht, weil es in China mit giftigen Chemikalien hergestellt wird. Das heißt, das ist ein Prozess, den muss man eigentlich mehr oder weniger das ganze Jahr durchführen.
Tremel: Ja, das glaube ich schon. Unter dem Weihnachtsbaum möchte ich auch nicht sitzen, unter dem man dann erklärt, warum das Holzspielzeug viel besser ist und warum man jetzt nur noch Agavendicksaft benutzen darf für den Stollen, den man hier hat. Das wird ja schizophren, wenn Kinder auch nicht mehr sich über irgendwas freuen dürfen. Aber ich glaube, vor allem, weil die Kinder, die heute Kinder sind, in einer Welt leben werden, wo wir definitiv anders konsumieren müssen, ist es fatal, sie jetzt an ein Konsumniveau zu gewöhnen, was sie nicht werden halten können.
Kassel: Nun gehen wir oft noch davon aus, egal, ob bei Kindern oder bei Erwachsenen, egal, was wir konkret schenken, wir reden über Dinge. Schlimmstenfalls eben auch noch Dinge, die eben aus dem großen Elektronikmarkt kommen oder sonst woher, aber selbst, wenn nicht – oft steht man ja auch davor Weihnachten und zum Geburtstag, bei vielen Leuten, Erwachsenen und sagt sich, hm, was soll ich dem schenken, der hat ja alles. Da habe ich manchmal das Gefühl, wenn man nur über Dinge nachdenkt, mag das zutreffen. Aber gerade die Leute, die viele Dinge haben, haben ja andere Sachen nicht. Also, kann man sozusagen Dinge verschenken, die nicht anfassbar sind, aber vielleicht viel nützlicher?
Tremel: Ich glaube, das muss man eben genau versuchen. Das zu lernen, ist die große Herausforderung für unsere Gesellschaft, glaube ich, den eigenen Konsum und Geschenke zu entmaterialisieren. Und das ist auch das, was wir in unserer Stiftung, bei Futurzwei versuchen und auch in dem neuen Buch versuchen, das wir gerade veröffentlicht haben, dem "Zukunftsalmanach", also eine Suche nach anderen Möglichkeiten, sein Leben und seine Zeit zu füllen. Also dass man jemandem schenkt, den Garten sauber zu machen.
Oder meine Stiefmutter hatte jetzt darum gebeten, dass wir ihr helfen, ihre Sachen auf Ebay zu stellen, also für sie fotografieren und für sie beschreiben, damit sie ihre Dinge los werden kann. Also eigentlich eine Entdingung im Geschenk. Dass man eben überlegt, was mag der Mensch, und was könnte ihm gefallen. Man kann auch einen Gutschein schenken für eine Leihbibliothek für Klamotten oder so, anstatt selber ein Kleidungsstück zu schenken, das die Person dann besitzen muss.
Kassel: Indirekt haben Sie das schon angedeutet. Aber machen wir es noch direkter: Viele Leute, wo man immer glaubt, an materiellen Dingen haben die schon alles, haben ja oft eines nicht, nämlich Zeit. Kann man Zeit verschenken?
Anderer Umgang mit Zeitkonsum
Tremel: Wenn die Person keine hat, ist es sehr, sehr schwierig. Man kann Menschen, die sich wenig Zeit nehmen, zwingen, sich Zeit zu nehmen, indem man ihnen gemeinsame Zeit schenkt. Aber ich glaube, es ist häufig so, dass Leute, die viel Zeit haben, auch Zeit verschenken, und Leute, die wenig Zeit haben, keine Zeit geschenkt bekommen wollen. Und das zu durchbrechen, glaube ich, könnte auch eine Herausforderung sein für einen anderen Umgang mit Zeitkonsum, sagen wir mal. Das ist ja auch eine Form von Konsum.
Kassel: Ich hab dann immer das Problem, wenn ich so was schenke, Zeit oder was Sie gesagt haben, die konkreten Beispiele, Garten aufräumen, oder wenn einer kein Auto hat, du kannst einen Nachmittag mit mir, was weiß ich, zur Müllentsorgung fahren: Das sieht dann immer so nach nichts aus. Weil es ist ja letzten Endes im weitesten Sinne – da sind wir wieder beim materiellen Denken –, Gutschein, den man verschenkt. Ist das nicht ein Problem – sieht doch immer so klein aus.
Tremel: Ja, ich glaube, das ist – mein Chef nennt das die „mentalen Infrastrukturen". Ich glaube, wir müssen auch unsere mentalen Infrastrukturen umbauen, also dass man etwas, was wenig kostet, also wenig Geld kostet, aber viel Zeit kostet, als ähnlich wertvoll betrachten wie etwas, was viel Geld kostet, aber vielleicht die Person eigentlich nur einen Gang ins Kaufhof oder was gekostet hat und deshalb liebloser war als ein Tag mit etwas, was mir was bringt.
Kassel: Ich möchte zum Schluss noch einen Eindruck vermeiden, der hoffentlich sowieso nicht entstanden ist, aber gehen wir mal lieber sicher. Wir haben gestern in unserer Sendung "Kompressor" und auch bei Facebook, auf unserer Facebook-Seite, unsere Hörer gefragt, wie sie mit Konsumterror umgehen und wie sie dieses Phänomen überhaupt betrachten. Da haben relativ viele, das finde ich eine positive Entwicklung, schon gesagt, sie sind gar nicht mehr Teil dieses Terrors. Insofern halten sie ihn aus der Beobachterposition ganz gut aus. Aber eine Hörerin hat Folgendes geschrieben bei Facebook: "Geschenke machen Freunde, Freunde machen Geschenke". Sie wollen niemandem den Spaß verderben am Schenken, oder?
Die Zukunft muss hoffnungsvoll aussehen
Tremel: Nein. Das wäre, glaube ich, das Schlimmste. Ich glaube, das große Problem der Öko-Bewegung und auch aller sozialer Protestbewegungen ist, dass es so wirkt, als ob das, was kommt, fürchterlich wird. Und wir bei Futurzwei, aber auch irgendwie ein größer werdender Teil der Öko-Bewegung sagen, die Zukunft muss hoffnungsvoll und hell und lustvoll aussehen, sonst will man sowieso nur an dem festhalten, was man jetzt hat. Also man kämpft ja nicht für was, was schrecklich wird. Deswegen geht es wirklich um dieses Suchen nach "Anders gut leben", also um eine neue, auch politische Definition davon, was ein gutes oder besseres Leben sein kann. Und das fängt beim Schenken an und hört vielleicht dabei auf, wie man zusammenleben möchte, wie man verreisen möchte, welche Lebensmittelproduktion man sich wünscht und an der man sich beteiligt. Aber das kann alles Spaß machen und andere Arten von Lebensqualität bringen als materieller Konsum.
Kassel: Also das können wir verraten. Wenn die Zukunft so ist, wie wir sie uns jetzt langsam ausmalen, wird sie Spaß machen, vielleicht sogar noch mehr als die Gegenwart. Luise Tremel war bei uns im Studio. Sie arbeitet für die Berliner Stiftung für Zukunftsfähigkeit, Futurzwei. Der "Zukunftsalmanach" ist ein Buch, das erschienen ist, auch ein mögliches Weihnachtsgeschenk – Sie versprechen mir sicherlich, wird nicht in China gedruckt?
Tremel: Nein, das wird er nicht.
Kassel: Ich danke Ihnen fürs Kommen, ich fange jetzt mal an, ich werde es nicht ständig machen, aber bei Ihnen ist es angemessen – ich wünsche Ihnen schöne Weihnachten, danke fürs Kommen.
Tremel: Danke schön!
Kassel: Ich sage jetzt die Uhrzeit, es ist nämlich noch ein bisschen Zeit bis Heiligabend, sieben Uhr sechsundvierzig.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.