Historikerin über Fahrverbote

"Wenn eine Branche so sehr versagt, muss die Politik eingreifen"

06:50 Minuten
Autos fahren über die Friedensbrücke in Frankfurt am Main.
Rush Hour in Frankfurt am Main. Die Nachfrage nach schweren Autos mit viel PS beschert der Automobilbranche nach wie vor die höchsten Umsätze. © Silas Stein/dpa
Hedwig Richter im Gespräch mit Korbinian Frenzel |
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Die Nachfrage nach Autos mit enormem Benzinverbrauch ist nach wie vor hoch. Sehr zum Verdruss von umweltbewussten Bürgern. Um SUVs unattraktiv zu machen, müssten Innenstädte anders konzipiert werden, sagt Historikerin Hedwig Richter.
Stehen in Frankfurt am Main bei der Internationalen Automobilausstellung (IAA) die Zeichen auf "Autodämmerung"? Am 14. September wollen Demonstrierende den Zugang zur Messe blockieren und auch sonst wird die Akzeptanz der Hersteller von SUVs und anderen "Benzinschleudern" immer geringer – auch wenn die Autokonzerne damit derzeit noch die größten Umsätze machen.
Unser Studiogast Hedwig Richter glaubt nicht an eine "Autodämmerung": "Autos sind nach wie vor sehr beliebt. Und es ist ein wichtiges Argument, dass dort Arbeitsplätze sind, dass es wichtig für die deutsche Industrie ist." Dennoch finde sie – auch aus ihrer eigenen Sicht als erzürnte Bürgerin – unfassbar, welche Verstrickungen zwischen Autoindustrie und Politik sich beim Dieselskandal offenbart hätten. Vor allem sei es unangemessen, dass die Automobilhersteller sich jetzt zum Opfer stilisierten.

Beschränkung ist wichtig

Ein steuerndes Eingreifen der Politik für das Klima hält Richter für richtig und wichtig – "warum nicht, wenn wir die Luft nicht auf andere Weise sauber bekommen?" Einige Grünen-Politiker fordern, schwere Autos ab einer bestimmten Größe und Gewicht nicht mehr in die Innenstädte zu lassen. Dazu meint Richter: "Ich bin mit Verboten eigentlich eher zurückhaltend, aber wenn eine Branche so sehr versagt, wie die Autobranche, muss die Politik eingreifen."
Die Historikerin Hedwig Richter steht hinter einem Rednerpult.
Die Historikerin Hedwig Richter hält ein Umdenken für wichtig.© HIS/ Fabian Hammerl
Denn: "Unsere Gesellschaften leben davon, dass wir uns beschränken. Ich finde es vollkommen unsinnig, von ‚Verbotsparteien‘ zu sprechen – als ob das das Schlimmste wäre, dass uns freien Gesellschaften passieren könnte. Wir brauchen Einschränkung für unsere Freiheit." Das habe sich schon oft bewährt, etwa beim FCKW-Verbot oder der Katalysatorenpflicht.

Dicke Autos dürfen sich in der Stadt nicht mehr lohnen

Allerdings, räumte Richter ein, sei es schwierig, regulierend gegen eine große Kaufnachfrage einzugreifen. Hier sei es viel sinnvoller, in den Städten Strukturen zu schaffen, die Autofahren unattraktiv mache. "Das sehen wir etwa in Kopenhagen – dass es große Straßen für Fahrräder gibt und dass nicht die Fahrradfahrer und die Fußgänger der schwächste Part im ganzen Geschehen sind." Mancher PKW-Fahrer oder -fahrerin werde sich gut überlegen, ob sich der Kauf eines "großen, dicken Autos" überhaupt noch lohne, wenn es zunehmend schwieriger werde, sich damit durch die Innenstädte zu bewegen."
(mkn)

Die Historikerin Hedwig Richter forscht seit 2016 am Hamburger Institut für Sozialforschung und ist Privatdozentin an der Universität Greifswald. Richter studierte Geschichte, deutsche Literatur und Philosophie an der Universität Heidelberg, der Queen’s University Belfast sowie der FU Berlin. Sie beschäftigt sich unter anderem mit europäischer Geschichte, Geschlecht sowie Demokratie- und Diktaturforschung.

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