Wenn Architektur das Fürchten lehrt
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Ob gotische Kathedralen oder Betonbauten aus den 1970er-Jahren: Bauwerke können Angst und Ehrfurcht einflößen, sagt Architekturhistoriker Felix Torkar. Bei der Modernisierung von Stadträumen geht es daher auch darum, "Angsträume" abzuschaffen.
Hütten und Häuser werden eigentlich zum Schutz der Menschen gebaut. Wohnen möchten wir in freundlichen Räumen und die Angst soll draußen bleiben. Und doch gibt es eine Architektur, die Angst machen kann: Tunnel und hohe Türme, abweisende Gebäude wie Betonklötze und Bunker.
Der Architekturhistoriker Felix Torkar muss da sofort an mächtige, gotische Kathedralen denken. "Ich bin in Ulm aufgewachsen, da denke ich zuerst an das Ulmer Münster, wie ich da als kleines Kind davorstehe." Auch der Kölner Dom sei ehrfurchteinflößend, und das sei so gewollt. "Das ist quasi gebaute Gottesfurcht."
Es sei interessant, sich in die Perspektive eines Menschen im Mittelalter hineinzudenken, so Torkar. Wenn man in diese Bauten eintrete, gebe es Bilderwelten und Materialien, die sonst nirgendwo zu sehen seien. "Da fühlt man sich gleich als Betrachter gleich ganz klein mit Hut." Auch ägyptische Tempel hätten vor 3000 Jahren bereits diese Furcht durch Überwältigung ausgelöst.
Gebaute staatliche Macht
Im 19. Jahrhundert denke er an Bauten wie den Justizpalast in Brüssel. "Das ist ein Wahnsinnsbrummer." Das sei damals das größte Gerichtsgebäude der Welt gewesen. Es stehe erhöht und blicke auf den Rest der Stadt herunter. "Das sollte Ehrfurcht vor der Staatsgewalt auslösen", sagt Torkar zu der Funktion des Bauwerks.
Untergebene hätten Paläste früher nur aus der Ferne gesehen und durften sich ihnen nicht nähern. "Heute sieht man das vielleicht wieder ein bisschen abgewandelt zurückkehren." Aus Angst vor Terror würden Parlamente wieder mehr abgeriegelt. Das habe den Nebeneffekt, dass die Distanz und die Ehrfurcht wieder wachse. Es gebe aber nicht nur die Angst vor den Herrschenden, sondern auch deren Angst vor ihren Landsleuten.
Umgang mit "Angsträumen"
Bei der Betonarchitektur der 1970er-Jahre habe niemand bewusst "Angsträume" schaffen wollen, sagt Torkar. Das Wort habe noch gar nicht richtig existiert. Es sei der Versuch gewesen, riesige Gebäudemassen mit verwinkelten kleineren Einheiten zu unterteilen, um wieder menschliche Maßstäbe zu erreichen. Aber das habe nicht recht funktioniert.
In Modernisierungsprojekten seien solche "Angsträume" heute ein großes Thema. "Heute hat man den Vorteil, dass man auf die Erfahrung der letzten 50 Jahre mit solchen Räumen zurückblicken kann." Es gebe inzwischen gut erprobte architektonische Lösungen. So sei beispielsweise der Münchner U-Bahnhof Marienplatz neu gestaltet worden. "Die haben dort gemacht, was man heute immer macht – und zwar öffnen, mehr Licht, vereinfachen, ordnen." Aber die Architektur könne diese Probleme nicht alleine lösen.
(gem)