Historische Entzerrung

Von Carsten Probst |
Der sächsische Künstler Richard Müller wurde zu DDR-Zeiten als Nazi-Künstler geächtet und ist heute weitgehend vergessen. Die Ausstellung "Die Schöne und das Biest" will seine Bedeutung für die Moderne aufarbeiten - mit Hilfe des US-amerikanischen Pop-Art-Künstlers Mel Ramos.
Es gäbe zweifellos geschmackvollere, vielleicht auch seriösere Wege, die Bedeutung eines vergessenen sächsischen Künstlers wie Richard Müller für die Moderne aufzuarbeiten, als ihn ausgerechnet zusammen mit Mel Ramos auszustellen, dem kalifornischen Pop-Art-Künstler. Der kunsthistorische Vergleich zwischen beiden hinkt, um es nüchtern zu sagen, und der 78-jährige Mel Ramos bekennt in Leipzig, dass er – durchaus nachvollziehbar – zunächst gezögert hat, ob er sich darauf einlassen sollte.

"Ich wusste nicht, wer er war, bis ich in diese Ausstellung kam. Ich bin mir nicht ganz klar darüber, warum ich ihn vorher nicht kannte - eigentlich kenne ich die meisten Künstler der Kunstgeschichte. Müller hat wegen seines Nazi-Hintergrundes wohl nicht allzu viele Freunde in den USA. Als ich davon hörte, hatte ich ein paar Bedenken, eine gemeinsame Ausstellung zu machen, habe mich ein wenig über ihn informiert und bat das Museum, seine Bilder in einen Raum zu hängen und meine in einen anderen. Ich will uns ungern miteinander vermengt sehen und denke, die Leute hier haben ihre Sache sehr gut gemacht. Ich bin sehr zufrieden damit."

Die Logik hinter der Kombination folgt aus Sicht des Museums wohl vor allem der Aufmerksamkeitsökonomie des Medienbetriebs. Dasselbe Kalkül dürfte auch dem Modeschöpfer Wolfgang Joop als prominentem Sammler von Richard Müllers Werk zu einem Gastauftritt mit seinen Affen-Gemälden verholfen haben. Dass nun Mel Ramos und Richard Müller sich ausgiebig in der Darstellung proper gemalter weiblicher Akte ergehen, kann hier nicht ernsthaft als kunsthistorische Verwandtschaft zwischen beiden erwogen worden sein, dazu ist ihr Ansatz viel zu unterschiedlich.

Eher scheint es so zu sein, dass das Werk von Mel Ramos hier den Blick auf dasjenige Müllers historisch entzerren soll, da Letzterer zu DDR-Zeiten lapidar als Nazi-Künstler geächtet war, obwohl ein Großteil seines Werkes in den drei Jahrzehnten vor der Naziherrschaft entstanden ist und in dieser Phase auch nicht wirklich auf typische Nazi-Ästhetik hinausläuft. Das sieht übrigens auch Mel Ramos so, wenn man mit ihm durch den Müller-Teil der Ausstellung geht und etwa vor dem kleinen Gemälde "Japanische Tanzmäuse" von 1910 stehenbleibt:

"Jenseits seiner politischen Gesinnung ist er ein wirklich brillanter Maler. Als ich dieses Bild hier zum Beispiel sah, konnte ich nicht aufhören zu schmunzeln. Diese Mäuse - so realistisch! Und anscheinend so zwanghaft beschäftigt mit etwas - man sieht nicht, was es ist. Aber das ist die Art, wie er immer seine kleinen Überraschungen präsentiert. Wie das Licht sich da in der Glasschale bricht, wie es dort verschwindet - all diese Elemente, die einen guten Maler auszeichnen. Der Grund, weshalb ich es so mag, ist, dass es mich wirklich zum Lachen bringt, dass es so witzig ist. Und ich liebe witzige Bilder."

Diese herzerfrischende Sicht auf Müllers handwerkliche Fähigkeiten mag hierzulande gewiss nicht jedem gelingen, der Müllers Rolle etwa bei der Organisation der Dresdner Ausstellung mit "Entarteter Kunst" von 1933 bedenkt, die der berüchtigten Münchner Schau von 1937 vorausging, was in dieser Ausstellung auch gar nicht verschwiegen wird. Zugleich aber ist Müller eben doch auch als Adept des sächsischen Symbolisten Max Klinger bereits in der Zeit um die Jahrhundertwende als Maler surreal anmutender Kompositionen von Tier- und Menschenbildern in mythologisierenden Sujets tätig.

Schon vor ziemlich genau zwei Jahren wurde in Dresden bei der vielbeachteten Ausstellung zur "Neuen Sachlichkeit in Dresden" Müller in seiner Rolle an der dortigen Kunstakademie vorgestellt, insbesondere als Lehrer unter anderem von George Grosz, Hans Scheibes oder Max Ackermann. Müllers fürwahr ungewöhnliche Kompositionen und Farben und sein gebrochener Lebenslauf erregten vor zwei Jahren Neugier – aber keinen Skandal. Er ist zweifellos ein Künstler, dessen Werk man kennen sollte – und seine Geschichte auch. Mel Ramos hat gelernt, für sich das beste draus zu machen.

"Ich sehe mich selbst als großen Anverwandlungs-Künstler - also als jemanden, der gezielt Ideen von anderen Künstlern verwendet, wann immer es mir möglich ist. Ich tue es noch immer, und wenn ich morgen nach Kalifornien zurückfliege, werde ich sicher darüber nachdenken, was ich von dem, was ich hier gesehen habe, für meine Arbeit verwenden kann. Etwa von Herrn Müller. Der Unterschied zwischen uns ist: Seine Kunst handelt von der dunklen Seite. Das ist die dunkle Seite. Und meine ist das nicht. In meiner Kunst geht es um Humor."

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