Historische Gemeinschaft
Das Geschichtsbuch, das sich sowohl an Schüler als auch an Erwachsene richtet, erschien erstmals im Jahr 1992. Die nun vorliegende Neuausgabe wurde gründlich aktualisiert, ein neues, zwölftes Kapitel beendet den Tour-de-Force-Ritt durch rund 2.500 Jahre.
In zwölf Kapiteln beschäftigen sich Autoren aus 13 Ländern mit den Kernthemen europäischer Geschichte: den ersten Besiedlungen, der griechischen und römischen Antike, mit Byzanz und der Entstehung des Abendlands, dem christlichen Mittelalter, der Renaissance, der Reformation, der Aufklärung, der Moderne. Die heiklen Kapitel des aufbrechenden Imperialismus werden etwas glättend als "Begegnung mit der Welt" überschrieben, die beiden Weltkriege als Phase der Selbstzerstörung beschrieben und kausal miteinander verbunden. Das abschließende, neue Kapitel über "Rückkehr und Verwandlung Europas" handelt nicht, wie man vielleicht erhoffen konnte, um die Öffnung Europas "zur Welt", sondern um die Herausforderungen innerhalb Europas, zum Beispiel während der Finanzkrise, um "Europa in der Welt von heute".
Das Buch ist für interessierte Schüler wie für lernbegierige Erwachsene dennoch eine wahre Fundgrube. Mit großartigen, buchstäblich historischen Fotos und insgesamt einer sehr überzeugenden, grafischen Gestaltung bietet es einen ausgezeichneten Überblick über Geschichte - und weit mehr als das. Die erste Auflage war tatsächlich der erste Versuch, Geschichte europäisch zu denken, das heißt, jede Entwicklung innerhalb des Kontinents darauf hin zu überprüfen, was diese für den (zunächst ja nur gedachten) Gesamtzusammenhang bedeutete. Das fällt naturgemäß umso leichter, je klarer sich nach der Entstehung der Nationalstaaten einzelne, nationale Interessen unterscheiden lassen.
Wie revolutionär die europäische Sicht auf Geschichte sein könnte, lässt sich zum Beispiel an der Darstellung der napoleonischen Feldzüge klarmachen. Für die einen ist Napoleon der Befreier, für die anderen der Verderber Europas. Das Buch schildert dessen anfänglichen Erfolg geschickt als Folge der Französischen Revolution: Deren Errungenschaften trugen und tragen Früchte - europaweit, auf diese Formel könnte man sich gewiss von Helsinki bis Palermo einigen. Die Absicht des Buches ist also keineswegs, eine Art Mosaik europäischer Geschichte zu liefern, also Europa in seiner Multiethnizität oder Multikulturalität darzustellen, kurz: in seinen Widersprüchen.
Herausgeber Delouche liegt vielmehr daran, eine "europäische Identität", eine Linie herauszuarbeiten. Die Behauptung, es gebe überhaupt eine europäische Geschichte, setzt voraus, Geschichte ganz traditionell zu denken: Wurde früher ein Blick in die Historie geworfen, um sich nationaler Eigenheiten (und politischer Rechte) zu versichern, so wird Geschichte in diesem Buch genutzt, eine politisch gewollte, gemeinsame supranationale Identität zu begründen. Also wird Geschichte linear gedacht. Als Abfolge logisch erklärbarer Kausalitäten. Diese Betrachtungsweise gilt unter Historikern mittlerweile zumindest als old-fashioned, und sie führt zu mancherlei Auslassungen: Neben den modernen globalen Bewegungen und den Widersprüchen der Einigungsbewegung - wie dem erstarkenden Regionalismus und dem Separatismus - kommt auch der Islam zu kurz. Gehört er nun zu Europa oder nicht?
Das flüssig und bisweilen sogar spannend geschriebene Buch ist dennoch wichtig, beantwortet es doch endlich und ziemlich plausibel die Frage, warum es sich lohnt, europäisch zu denken, worin die Perspektiven Europas bestehen und aus welchen Traditionen sie sich entwickelt haben. Schüler und Erwachsene, die das Buch lesen, werden Europa nicht mehr als reinen Markt oder als Bürokratenvereinigung betrachten, sondern erkennen, dass eine Staatengemeinschaft tatsächlich historisch gewachsen ist, von deren Stärken in den kommenden Jahrzehnten alle seine Bürger erheblich profitieren werden - und für die es sich lohnt, sich zu engagieren.
Besprochen von Gabriela Jaskulla
Frédéric Delouche (Hg.): Das europäische Geschichtsbuch. Von den Anfängen bis ins 21. Jahrhundert
Klett-Cotta, Stuttgart, 2011
464 Seiten, 29,95 Euro
Das Buch ist für interessierte Schüler wie für lernbegierige Erwachsene dennoch eine wahre Fundgrube. Mit großartigen, buchstäblich historischen Fotos und insgesamt einer sehr überzeugenden, grafischen Gestaltung bietet es einen ausgezeichneten Überblick über Geschichte - und weit mehr als das. Die erste Auflage war tatsächlich der erste Versuch, Geschichte europäisch zu denken, das heißt, jede Entwicklung innerhalb des Kontinents darauf hin zu überprüfen, was diese für den (zunächst ja nur gedachten) Gesamtzusammenhang bedeutete. Das fällt naturgemäß umso leichter, je klarer sich nach der Entstehung der Nationalstaaten einzelne, nationale Interessen unterscheiden lassen.
Wie revolutionär die europäische Sicht auf Geschichte sein könnte, lässt sich zum Beispiel an der Darstellung der napoleonischen Feldzüge klarmachen. Für die einen ist Napoleon der Befreier, für die anderen der Verderber Europas. Das Buch schildert dessen anfänglichen Erfolg geschickt als Folge der Französischen Revolution: Deren Errungenschaften trugen und tragen Früchte - europaweit, auf diese Formel könnte man sich gewiss von Helsinki bis Palermo einigen. Die Absicht des Buches ist also keineswegs, eine Art Mosaik europäischer Geschichte zu liefern, also Europa in seiner Multiethnizität oder Multikulturalität darzustellen, kurz: in seinen Widersprüchen.
Herausgeber Delouche liegt vielmehr daran, eine "europäische Identität", eine Linie herauszuarbeiten. Die Behauptung, es gebe überhaupt eine europäische Geschichte, setzt voraus, Geschichte ganz traditionell zu denken: Wurde früher ein Blick in die Historie geworfen, um sich nationaler Eigenheiten (und politischer Rechte) zu versichern, so wird Geschichte in diesem Buch genutzt, eine politisch gewollte, gemeinsame supranationale Identität zu begründen. Also wird Geschichte linear gedacht. Als Abfolge logisch erklärbarer Kausalitäten. Diese Betrachtungsweise gilt unter Historikern mittlerweile zumindest als old-fashioned, und sie führt zu mancherlei Auslassungen: Neben den modernen globalen Bewegungen und den Widersprüchen der Einigungsbewegung - wie dem erstarkenden Regionalismus und dem Separatismus - kommt auch der Islam zu kurz. Gehört er nun zu Europa oder nicht?
Das flüssig und bisweilen sogar spannend geschriebene Buch ist dennoch wichtig, beantwortet es doch endlich und ziemlich plausibel die Frage, warum es sich lohnt, europäisch zu denken, worin die Perspektiven Europas bestehen und aus welchen Traditionen sie sich entwickelt haben. Schüler und Erwachsene, die das Buch lesen, werden Europa nicht mehr als reinen Markt oder als Bürokratenvereinigung betrachten, sondern erkennen, dass eine Staatengemeinschaft tatsächlich historisch gewachsen ist, von deren Stärken in den kommenden Jahrzehnten alle seine Bürger erheblich profitieren werden - und für die es sich lohnt, sich zu engagieren.
Besprochen von Gabriela Jaskulla
Frédéric Delouche (Hg.): Das europäische Geschichtsbuch. Von den Anfängen bis ins 21. Jahrhundert
Klett-Cotta, Stuttgart, 2011
464 Seiten, 29,95 Euro