Historische Pendelschläge in den USA

Der nächste Trump wird kommen

04:40 Minuten
Protestierende beim "Million MAGA March", die mit Trump-Flaggen vor dem Kapitol in Washington gegen die Abwahl von Donald Trump demonstrieren, aufgenommen am 14. November 2020.
Trump personifiziert für viele Wähler ein traditionelles amerikanisches Welt- und Wertebild des weißen Mannes, das sie bedroht sehen, sagt Jörg Himmelreich. © imago images/UPI Photo/Ken Cedeno
Ein Kommentar von Jörg Himmelreich · 14.12.2020
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Am heutigen Montag tritt das Electoral College zusammen, das Organ, das den US-Präsidenten wählt. Der Wahlgang dürfte ein weiterer Ausdruck der tiefen Spaltung des Landes werden. Diese bestehe schon seit der Gründung, meint der Historiker Jörg Himmelreich.
Ja, Joe Biden wird am 20. Januar 2021 zum 46. Präsidenten der USA vereidigt werden. Ja, Donald Trump hat diese Wahl verloren. Gleichzeitig hat Trump aber mehr Wählerstimmen bekommen als bei der letzten Wahl 2016, und zudem mehr als je ein Republikaner in der US-Geschichte überhaupt. 44.000 zusätzliche Stimmen in besonders knapp entschiedenen Staaten hätten ihm für eine Wiederwahl gereicht.
Man fragt sich: wie kann diese erratische, rassistische, xenophobe und Frauen verachtende Politik eines Donald Trump diese überwältigende Zustimmung in den USA erfahren? Verstand sich deren politische Kultur seit ihrem revolutionären Unabhängigkeitsakt und seit ihrer Verfassung nicht immer als Inbegriff einer demokratischen, liberalen Staatsordnung? Gegen die Monarchien und Diktaturen in Europa?

Ein sich radikalisierender politischer Konservativismus

Am Ende ist das Phänomen Trump indessen wohl nur der derzeitige Gipfel eines sich schon lange radikalisierenden politischen Konservativismus. Auch in den USA wurde er lange von den liberalen Eliten nicht hinreichend wahrgenommen. Seine moderne politische Ausformung beginnt zwar in den 50er-Jahren. Letztlich gründet er aber auf einem Geburtsfehler der USA. Denn entgegen dem Geist und dann auch entgegen dem Wortlaut ihrer damals so modernen Verfassung galt das Gleichheitsversprechen von Anfang an nicht für Schwarze und nicht für Frauen.
Schon vor der US-Gründung standen die Interessen der Baumwollplantagenbesitzer in den südlichen Staaten, die den Sklaven jedes Menschenrecht absprachen, dem tiefen Glauben der Quäker in den nördlichen Staaten an die Gleichheit aller Erdenbürger fundamental gegenüber. Dieser Gegensatz war so tief, dass ihn auch die politische Einigung der ersten 13 Staaten zur Gründung der USA 1776 nicht zu überbrücken vermochte.

Ringen um Bestehen und Überwindung des Rassismus

Das hehre amerikanische Staatsmotto "E pluribus unum" – Aus Mehrerem das Eine – war und blieb Wunschdenken. So zieht sich der Kampf gegen die Sklaverei und gegen den aus ihr entspringenden Rassismus durch die gesamte amerikanische Geschichte – bis heute. Und so kann man die Gesellschaftsgeschichte der USA auch als ein permanentes Ringen um Fortdauer und Überwindung des Rassismus begreifen. Unbefriedbar spaltet es die amerikanische Gesellschaft durch die Jahrhunderte hindurch.
Dabei folgt der Kampf gegen Sklaverei und Rassismus einem ständig wechselnden Pendelschlag: Erlangen in einem Moment die Rassismusgegner die Oberhand, so kurz darauf schon wieder dessen Befürworter. Im Bürgerkrieg 1861 um die Abschaffung der Sklaverei drohten die Südstaaten sich von den USA ganz zu trennen, was nur durch ihre Kriegsniederlage gegen die Nordstaaten 1865 verhindert wurde. Präsident Lincoln wurde als Sieger des Krieges und Gegner der Sklaverei kurz nach seiner Wiederwahl ermordet.

Trump ist die Antwort auf Obama

Das große Wohlfahrtsprogramm des New Deal des Präsidenten Franklin Roosevelt in den 30er-Jahren sprach einen sozial aufgeklärten, politischen Liberalismus und Anti-Rassismus an. Die innenpolitische Antwort auf den New Deal war als historischer Pendelschlag in die Gegenrichtung der republikanische Senator McCarthy, der mit seiner Bewegung unter der Flagge des Antikommunismus Homosexuelle und Schwarze gleich mit verfolgte und damit den politischen Konservativismus in den USA neu schärfte.
Die neuerliche Antwort darauf war Präsident Johnsons Idee einer "Great Society" in den 60er-Jahren, mit dem Civil Rights Act von 1964, mit dem jede Diskriminierung aufgrund von Rasse, Religion, Hautfarbe und Geschlecht endgültig verboten wurde – zumindest gesetzlich. In dieser Logik ist auch Trump nur die Antwort auf Obama. Obamas Wahlerfolg spiegelte entgegen aller Hoffnung eben nicht ein Ende des Rassismus in den USA wider.
Im Gegenteil: Trump personifiziert für viele Wähler, aber auch Wählerinnen, ein traditionelles amerikanisches Welt- und Wertebild des weißen Mannes, das sie bedroht sehen. Auch daher rührt die anhaltend hohe Zustimmung für ihn.
Geschichte wiederholt sich nicht, aber der Rassismus und die tiefe Spaltung der amerikanischen Gesellschaft werden weiter fortleben. So spricht manches dafür, dass Joe Biden wieder ein Donald Trump folgen wird. Es scheint nur die Frage zu sein, ob es dieser sein wird oder ein weiterer.

Jörg Himmelreich ist Jurist und Historiker. Als Professeur Affilié lehrt er an der der École Supérieure de Commerce à Paris (ESCP), Campus Berlin und publiziert regelmäßig zu kulturgeschichtlichen und außenpolitischen Themen. Zuvor war er Mitglied des Planungsstabes des Auswärtigen Amtes, Berlin, und Fellow des German Marshall Funds der USA in Washington und Berlin.

© Peter Ptassek
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