Historische Quelle der Inspiration
In Kürze eröffnet in Kassel die 13. documenta. Wie schon zur Gründung der Kunstwochen in den 50er-Jahren ist auch diesmal der Nazi-Terror ein Thema: Die Künstler sollen die Gedenkstätte Breitenau besuchen, deren Geschichte vom frommen Kloster bis zum Konzentrationslager reicht.
Am Rand der Gemeinde Guxhagen, 20 Kilometer südöstlich von Kassel, liegt Breitenau, ein Kloster aus dem frühen zwölften Jahrhundert. Im Zuge der Reformation wurden die Benediktiner vertrieben, das Kloster diente den hessischen Landgrafen als Sommerresidenz, die Kirche späteren Besitzern als Stall und Scheune. Aber das war nicht die letzte Bestimmung des Klosters. Gunnar Richter ist Leiter der Gedenkstätte Breitenau:
"Am Ende des 19. Jahrhunderts hat man dann auf dem Gelände ein Arbeitshaus eingerichtet, man könnte auch sagen: ein Zuchthaus, eine Einrichtung, in die dann auch immer mehr Menschen aus unterschiedlichen Randgruppen der Gesellschaft eingesperrt worden sind, auch sogenannte schwer erziehbare Jugendliche, Menschen, die den Unterhaltverpflichtungen nicht nachkamen und so weiter. Und dieses Arbeitshaus hat existiert bis 1949, nach dem Zweiten Weltkrieg, und ist dann erst endgültig aufgelöst worden."
Während der Nazizeit wurde Breitenau zum Konzentrationslager und zu einem sogenannten Erziehungslager für ausländische Zwangsarbeiter, die sich der Arbeit verweigerten. Carolyn Christov-Bakargiev, die Leiterin der diesjährigen documenta, war von dem eigenartigen Ort sofort fasziniert, der heute so still und friedlich an der Fulda vor den Toren Kassels liegt:
"In den 1950er-Jahren, als die documenta begann, war es eine Erziehungsanstalt für böse Mädchen. Zu jener Zeit hieß es Fuldatal, und teilweise wird es noch immer als psychiatrische Einrichtung genutzt, noch heute. Und es ist auch ein Denkmal für die Zeit des Zweiten Weltkriegs und so weiter. Es war in der Vergangenheit ein Arbeitshaus, ein Armenhaus, und zu Beginn des 20. Jahrhunderts auch ein Gefängnis für Anarchisten und Sozialisten und auch für Bettler und Landstreicher."
Normalerweise kommen Schulklassen und Besucher aus der Region nach Breitenau, doch im Vorfeld der documenta sind nun auch viele Künstler hier anzutreffen.
"Ich bringe alle Künstler nach Breitenau, sie fahren alle dorthin. Ich nutze es aber nicht als Veranstaltungsort, weil das extrem taktlos gegenüber den Patienten wäre, gegenüber den Menschen, die hier leben. Und ich möchte auch nicht, dass ganze Busladungen von documenta-Besuchern nach Breitenau kommen."
Mehr als 100 Künstler waren schon da, sagt Gunnar Richter. Er hat selbst viele von ihnen durch das Kloster geführt:
"Ein besonders beeindruckendes Erlebnis war, als ich das erste Mal mit der Carolyn Christov-Bakargiev hier durch die ehemalige Klosterkirche gegangen bin, und wie sie im Grunde auch entsetzt war über die Art und Weise, wie so eine romanische Klosterkirche durch diese verschiedenen Nutzungen so komplett anders verbaut und umgebaut worden ist."
Die Klosterkirche ist zweigeteilt, ein Teil diente dem Gottesdienst, aber im selben Gebäude gibt es auch vergitterte Zellen der Zuchtanstalt. Die Geschichte des ehemaligen Klosters ist eng mit Verfolgung und Ausgrenzung verbunden. Es ist eine Geschichte der Repression, die Breitenau hinter sich lassen konnte. Doch was früher dort geschah, geschieht jeden Tag weltweit aufs Neue vor unseren Augen.
"Es ist auch etwas, das in unserer Seele steckt, wie ein unterbewusstes Element, eine Art gewalttätiger, dramatischer Kern von etwas, das in der Geschichte der Menschheit unerklärlich ist. Das ist die Geschichte, wie Menschen Schmerz zugefügt wurde. Breitenau erinnert uns daran, dass wir nicht in einem White Cube – in einem neutralen Raum – leben. Es gibt keinen White Cube, sondern jeder White Cube verbirgt etwas, kehrt etwas unter den Teppich. Und so ist es auch ein Gespenst der documenta oder ein Alptraum der documenta 13."
Ein KZ und Zuchthaus als Inspirationsort für die Kunst? Für Gunnar Richter geht das in Ordnung, schließlich hat er in Breitenau nie etwas anderes gemacht, als Schüler und Besucher mit einer Wirklichkeit zu konfrontieren, die zum Nachdenken zwingt. Carolyn Christov-Bakargiev will auch den Blick auf die Wirklichkeit verändern. Für sie soll die Kunst kritisch sein und den gesellschaftlichen Diskurs auf Augenhöhe mitbestimmen. Die documenta 13 sucht den Dialog mit den Sozial- und Naturwissenschaften, mit Neurologen und Soziologen, mit Literaten und Querdenkern, die in insgesamt 100 Begleitheften ihren Beitrag leisten. Die Wissenschaftler werden als Teil der kommenden documenta verstanden.
Für Carolyn Christov-Bakargiev ist die Kunst kein Fall fürs Museum. Für oberflächliche Events ist sie ihr zu schade. Sie will engagierte Künstler, die nicht wegsehen, sondern sich einmischen und ins Gespräch kommen mit den Besuchern der documenta. Das ist Aufklärung pur und das ist wohl auch der Sinn von Breitenau.
Links:
documenta 13
Gedenkstätte Breitenau
"Am Ende des 19. Jahrhunderts hat man dann auf dem Gelände ein Arbeitshaus eingerichtet, man könnte auch sagen: ein Zuchthaus, eine Einrichtung, in die dann auch immer mehr Menschen aus unterschiedlichen Randgruppen der Gesellschaft eingesperrt worden sind, auch sogenannte schwer erziehbare Jugendliche, Menschen, die den Unterhaltverpflichtungen nicht nachkamen und so weiter. Und dieses Arbeitshaus hat existiert bis 1949, nach dem Zweiten Weltkrieg, und ist dann erst endgültig aufgelöst worden."
Während der Nazizeit wurde Breitenau zum Konzentrationslager und zu einem sogenannten Erziehungslager für ausländische Zwangsarbeiter, die sich der Arbeit verweigerten. Carolyn Christov-Bakargiev, die Leiterin der diesjährigen documenta, war von dem eigenartigen Ort sofort fasziniert, der heute so still und friedlich an der Fulda vor den Toren Kassels liegt:
"In den 1950er-Jahren, als die documenta begann, war es eine Erziehungsanstalt für böse Mädchen. Zu jener Zeit hieß es Fuldatal, und teilweise wird es noch immer als psychiatrische Einrichtung genutzt, noch heute. Und es ist auch ein Denkmal für die Zeit des Zweiten Weltkriegs und so weiter. Es war in der Vergangenheit ein Arbeitshaus, ein Armenhaus, und zu Beginn des 20. Jahrhunderts auch ein Gefängnis für Anarchisten und Sozialisten und auch für Bettler und Landstreicher."
Normalerweise kommen Schulklassen und Besucher aus der Region nach Breitenau, doch im Vorfeld der documenta sind nun auch viele Künstler hier anzutreffen.
"Ich bringe alle Künstler nach Breitenau, sie fahren alle dorthin. Ich nutze es aber nicht als Veranstaltungsort, weil das extrem taktlos gegenüber den Patienten wäre, gegenüber den Menschen, die hier leben. Und ich möchte auch nicht, dass ganze Busladungen von documenta-Besuchern nach Breitenau kommen."
Mehr als 100 Künstler waren schon da, sagt Gunnar Richter. Er hat selbst viele von ihnen durch das Kloster geführt:
"Ein besonders beeindruckendes Erlebnis war, als ich das erste Mal mit der Carolyn Christov-Bakargiev hier durch die ehemalige Klosterkirche gegangen bin, und wie sie im Grunde auch entsetzt war über die Art und Weise, wie so eine romanische Klosterkirche durch diese verschiedenen Nutzungen so komplett anders verbaut und umgebaut worden ist."
Die Klosterkirche ist zweigeteilt, ein Teil diente dem Gottesdienst, aber im selben Gebäude gibt es auch vergitterte Zellen der Zuchtanstalt. Die Geschichte des ehemaligen Klosters ist eng mit Verfolgung und Ausgrenzung verbunden. Es ist eine Geschichte der Repression, die Breitenau hinter sich lassen konnte. Doch was früher dort geschah, geschieht jeden Tag weltweit aufs Neue vor unseren Augen.
"Es ist auch etwas, das in unserer Seele steckt, wie ein unterbewusstes Element, eine Art gewalttätiger, dramatischer Kern von etwas, das in der Geschichte der Menschheit unerklärlich ist. Das ist die Geschichte, wie Menschen Schmerz zugefügt wurde. Breitenau erinnert uns daran, dass wir nicht in einem White Cube – in einem neutralen Raum – leben. Es gibt keinen White Cube, sondern jeder White Cube verbirgt etwas, kehrt etwas unter den Teppich. Und so ist es auch ein Gespenst der documenta oder ein Alptraum der documenta 13."
Ein KZ und Zuchthaus als Inspirationsort für die Kunst? Für Gunnar Richter geht das in Ordnung, schließlich hat er in Breitenau nie etwas anderes gemacht, als Schüler und Besucher mit einer Wirklichkeit zu konfrontieren, die zum Nachdenken zwingt. Carolyn Christov-Bakargiev will auch den Blick auf die Wirklichkeit verändern. Für sie soll die Kunst kritisch sein und den gesellschaftlichen Diskurs auf Augenhöhe mitbestimmen. Die documenta 13 sucht den Dialog mit den Sozial- und Naturwissenschaften, mit Neurologen und Soziologen, mit Literaten und Querdenkern, die in insgesamt 100 Begleitheften ihren Beitrag leisten. Die Wissenschaftler werden als Teil der kommenden documenta verstanden.
Für Carolyn Christov-Bakargiev ist die Kunst kein Fall fürs Museum. Für oberflächliche Events ist sie ihr zu schade. Sie will engagierte Künstler, die nicht wegsehen, sondern sich einmischen und ins Gespräch kommen mit den Besuchern der documenta. Das ist Aufklärung pur und das ist wohl auch der Sinn von Breitenau.
Links:
documenta 13
Gedenkstätte Breitenau