Christine Zucchelli und Irmeli Wopfner: Anno 1613 - Von Tirol nach Rom - Die abenteuerliche Pilgerfahrt des Doktor Hippolyt Guarinoni
Tyrolia, Innsbruck und Wien 2016
304 Seiten, 29,90 Euro
Fünf Männer auf dem Weg nach Rom
1613 pilgern fünf Herren aus Tirol nach Rom. Dort wollen sie die Gebeine zweier heiliger Frauen erwerben. Ihr Anführer, der Gelehrte Hippolyt Guarinoni, hält das Ganze in einem Reisetagebuch fest. Eine etwas seltsame, aber vergnügliche Lektüre.
Ein Abenteuer? Ja, natürlich! Aber damit es nicht in Chaos ausartet, empfiehlt es sich zunächst, klare Verhältnisse zu schaffen. Etwa bei der Rollenverteilung:
"Ich und mein Gespann haben uns vorgenommen, nach Rom zu reisen! Wer mit uns will, der gehe hinter uns, denn ich will Anführer sein, damit nicht einer da, der andere dort bleibt."
Notiert selbstbewusst der Doktor Hippolyt Guarinoni, Stadtmedikus aus Hall im Inntal am 11. Februar 1613, dem Tag des Aufbruchs. Und nur einige Tage später macht er seinen Reisegefährten klar, dass er auch das Tempo vorzugeben gedenkt. Denn von Hast und Übereifer hält er gar nichts:
"Einige andere fingen an zu eilen, als wenn sie gleich selbigen Abends zu Rom einreiten wollten."
Doch bis dahin ist es noch ein weiter Weg! Und von "reiten" kann auch keine Rede sein, wie wir noch hören werden.
Mischung aus Spaßreise und frommer Transportunternehmung
Es ist ein ungewöhnliches Unterfangen, auf das sich das kleine Touristengrüppchen hier eingelassen hat: eine Mischung aus Spaßreise, Pilgerfahrt und frommer Transportunternehmung. Vordergründiges Reiseziel ist es, die Gebeine der Heiligen Lea und Vincentia, die wegen ihres christlichen Glaubens den Märtyrertod erlitten, von Rom nach Tirol zu bringen. Was die beiden in römischer Zeit Entschlafenen nun ausgerechnet für eine Ruhestätte in Tirol qualifiziert, bleibt das Geheimnis der frommen Reisenden. Jedenfalls will man die heiligen Knochen den beiden Erzherzoginnen Maria Christierna und Leonora, Stiftsdamen im Haller Damenstift, zum Geschenk machen. Dennoch - auch der "Spaßfaktor" dieses gottgefälligen Trips sollte keinesfalls unterschätzt werden:
"Denn sie alle haben sich mit Lust und Freud wegfertig gemacht."
"Sie alle" - das sind der königliche Stiftskaplan Michael Steinperger, der Prämonstratenserpater Melchior Gruber, der Haller Stadtpfarrer Christoph Wenig, Joachim Thaler, Guarinonis Schwager und der Doktor Guarinoni höchstselbst, Initiator der Reise und Verfasser des Tagebuches.
Dieses handgeschriebene Buch galt viele Jahre lang als verschollen - bis die beiden Tiroler Historikerinnen Christine Zucchelli und Irmeli Wopfner es nach ausgiebigen Recherchen im Tresor der Pfarrkirche von Telfs bei Innsbruck wiederentdeckten und bearbeiteten. Und was lag näher als nun ebenfalls auf Reisen zu gehen? Und zwar haargenau auf den Spuren der frommen Touristengruppe von vor 400 Jahren.
Eigenwilliger Reiseführer und militanter Katholik
Als "Reiseleiter" muss Guarinoni durchaus qualifiziert gewesen sein. Er ist eigenwillig, unterhaltsam und - ein militanter Katholik. Letzteres allerdings hat Auswirkungen auf den Bequemlichkeitsfaktor der Reise. Zucchelli und Wopfner schreiben:
"Wichtig war die Verpflichtung der Pilger zum Armutsideal. Aus diesem Grund reisten sie bescheiden, überwiegend zu Fuß, nur in Ausnahmefällen zu Schiff. Als Unterkünfte wählten sie Klöster, Pilgerherbergen oder Wirtshäuser."
In einem dieser Wirtshäuser in Mantua erleben sie eine Überraschung. Obwohl Fastenzeit ist, werden sie fürstlich bedient; wohl auch, weil der Wirt Guarinoni und seine Gefährten für vornehme Herrschaften hält. Den Appetit verdirbt ihnen lediglich die Furcht vor einer extrem hohen Rechnung. Doch dann erklärt der Wirt: "Jeder Herr wird zwei Pfund zahlen, nämlich 24 Kronen." Zu der Erleichterung über diese bescheidene Summe gesellt sich dennoch etwas
Groll: """Dann reute es uns, dass wir nicht mehr, wacker und ohne Sorgen gegessen hatten."//
Ihre Wanderschaft führt die fünf Pilger über den Brenner nach Verona, nach Ferrara, Ravenna, das Adriatische Meer entlang bis Ancona und Loreto, dann nach Assisi und Perugia. Und natürlich wählen sie nicht die kürzeste Route, sondern die, die sie an den meisten Kirchen, Klöstern und Heiligtümern vorbeiführt. Es ist eine Reise zwischen Unternehmungslust und Gottesfurcht.
Facettenreicher Einblick in die Welt vor dem 30-jährigen Krieg
Der muntere Reisebericht des gelehrten Doktors ist ein buntes Zeitgemälde. Es spiegelt Aspekte von Glauben und Religiosität zur Zeit der Gegenreformation. Gleichzeitig macht es, fast wie nebenbei, feine Risse und Brüche in einer religiös gespaltenen Gesellschaft deutlich und gibt einen facettenreichen Einblick in eine Welt, die nur noch wenige Jahre von der Katastrophe des 30-Jährigen Krieges entfernt ist.
Höhepunkt der Reise ist natürlich die Ankunft in Rom und die Beschaffung der "Heiligen Leiber", denn Lea und Vincentia befinden sich in der Obhut der Jesuiten. Die aber wollen sich nur ungern von den beiden trennen:
"Guarinoni war unglaublich hartnäckig, er hat sich jeden Tag vor dem Kollegium der Jesuiten aufgestellt, um daran zu erinnern, dass er die Reliquien haben möchte. Er hat sogar angeboten, selber in die Katakomben zu steigen und nach den Reliquien zu graben. Das hat man ihm aber nicht gestattet."
Schreiben Zucchelli und Wopfner. Guarinonis Beharrlichkeit wird belohnt. Er bekommt die Gebeine und die Gruppe tritt frohgemut die Heimreise an. Beinahe allerdings wären die fünf mit ihrer kostbaren Fracht bei Piacenza buchstäblich "baden gegangen", doch können sie die Reliquien noch in letzter Minute aus den Fluten des Po retten. Und sie heil in Tirol abliefern! Dort ruhen sie heute in einem prachtvollen Schrein in der Pfarrkirche von Telfs bei Innsbruck.
Zucchellis und Wopfners Reise dürfte sich um einiges komfortabler gestaltet haben als die ihrer "Vorgänger". Doch ist es den beiden gelungen, ihre Leser auf ein kleines Abenteuer mitzunehmen - zwar auf unwegsamen Straßen, aber inmitten einer fröhlich-frommen und trinkfesten Männergruppe!