Vom schweren Stand eines Widerstandskämpfers
Das Attentat auf Adolf Hitler vom 20. Juli 1944 wurde maßgeblich vorangetrieben von Claus Schenk Graf von Stauffenberg. Dieser hatte sich in seiner Jugend für antiliberales, rechtskonservatives Gedankengut begeistert. Später zog er eine radikale Konsequenz.
Da ist dieses Foto aus dem Jahr 1924. Links im Bild der Dichter Stefan George, der versonnen vor sich hinblickt, rechts die beiden Brüder Claus und Berthold Stauffenberg, der Jüngere von beiden, Claus, schaut strahlend zum Dichter auf, er himmelt ihn regelrecht an. Viel ist über den elitären Kreis, einen reinen Männerbund, gerätselt worden.
"Das ist ja wirklich etwas, was sie als Jüngertum bezeichnen können, das ist etwas anderes, als wenn wir sagen können, da gibt es eine bloße sexuelle Konnotierung oder ähnliches, das würde ich nicht für gegeben sehen, sondern Jünger sehen zu ihrem Meister auf."
Ein neues, ein geistiges Deutschland
Sagt Johannes Tuchel, Leiter der Berliner Gedenkstätte Deutscher Widerstand, in deren Ausstellungsräumen das Foto hängt. Claus Schenk Graf von Stauffenberg ist damals 16, Stefan George 56, der Dichter will eine neue Jugend erziehen und seinen Anhängern Kraft geben - Zitat: "den Wirrsalen der Gegenwart ein geheimes Deutschland entgegenzusetzen". Ein neues, ein geistiges Deutschland, das den Abwehrkampf gegen den Ansturm der als verweichlicht und gleichmacherisch empfundenen westlichen Zivilisation gewinnen wird.
Die antiliberalen Züge seiner Ideologie machen den Dichter schnell zum Vordenker der Konservativen Revolution. Er will eine Gesellschaft errichten, in der nicht mehr der so genannte 'Pöbel' regiert, sondern eine Elite, wie der Kreis um Stefan George sie verkörpert.
"Das zeigt bei Stauffenberg ein Suchen, das zeigt ein Herantasten. Er kommt aus einer bestimmten Herkunft, die immer schon etwas mit Elite zu tun hat, er sucht nach dem, wie er sich einbringen kann, und für ihn ist dieses Einbringen und diese Suche ganz stark damit verbunden, einer übergeordneten Idee zu dienen. Das ist eine Phase, die später durch ein realistischeres Bild auf die Welt ergänzt wird."
Er verurteilt Freiheit und Gleichheit, setzt auf Befehl und Gehorsam
Doch noch ist Claus Schenk Graf von Stauffenberg kein Freiheitskämpfer. Noch dichtet er im Sinne Georges. Er macht sich antisemitische und völkische Deutungen zu Eigen, verurteilt Prinzipien wie Freiheit und Gleichheit, setzt auf Befehl und Gehorsam und die Opferbereitschaft im Dienste der Gemeinschaft. Er schlägt die Offizierslaufbahn ein, die Ernennung Adolf Hitlers zum Reichskanzler begrüßt er ausdrücklich.
"Sie finden einen starken Einfluss Georges auch etwa noch um das Jahr 1933 herum, als er sich in mehreren Briefen äußert, bis in die Schrift hinein, die Kleinschreibung der Handschrift, passt er sich dem Georgeschen Denken an, 'keine Parteien sind klug, sondern Herren, die sich für ihre sichere Herrschaft einen Sockel bauen', und ähnliche Dinge jetzt frei zitiert, da ist der Einfluss stark."
Mit dem Tod des Meisters George 1933 schwindet dieser Einfluss. Was bleibt, ist die Idee des Dichters vom neuen, vom 'geheimen Deutschland'. Ihr fühlt sich Claus Schenk Graf von Stauffenberg weiterhin verpflichtet. 1943 wird er zum Motor des Widerstands gegen Hitler. Politisch vereinnahmen lässt er sich von der 'Konservativen Revolution' jedoch nicht. Kontakte zu anderen Gruppen in ihrem Umfeld hat er, soweit bekannt, keine.
"Ich denke, dass der Staatsstreich und der Umsturzversuch vom 20. Juli 1944 eben nicht aus dem Georgeschen Denken irgendwie einfach in der Umformung durch Stauffenberg erklärt werden kann, er ist ganz pragmatisch: mit Stauffenbergs Wissen werden im Juni 1944 Kontakte zur illegalen KPD-Führung in Berlin aufgenommen. So. Und dann haben Sie Stauffenberg, den Tatmenschen, der selbst bereit ist, das Attentat durchzuführen und dann hier in Berlin auch die 'Operation Walküre' auszulösen. Stauffenberg ist unbequem, und Stauffenbergs Ziel war mit Sicherheit nicht ein Gesellschaftsmodell wie es den Angehörigen der konservativen Revolution vorgeschwebt hat."
Widerstand wurde lange nicht als wichtig für die politische Kultur angesehen
Widerstandskämpfer – zumal umstrittene wie Stauffenberg - haben lange einen schweren Stand in der Bundesrepublik.
"Vor satten zwölf Jahren, 2004, war es das erste Mal, dass in einer repräsentativen Umfrage – des Spiegels damals – die Bevölkerung der Bundesrepublik Deutschland den Widerstand als etwas Wichtiges für unsere politische Kultur betrachtet hat. Das ist das erste Mal, alle anderen Umfragen in den Jahrzehnten davor, die Allensbach etwa gemacht hat, haben gezeigt, dass immer noch eine Mehrheit der Bundesbürger dem Widerstand kritisch, ablehnend, neutral gegenüberstand, die Einbeziehung des Widerstandes in die politische Kultur, in gewisser Weise auch seine Historisierung, ist ein Phänomen der letzten 15 Jahre."
Mit dem Erstarken der Neuen Rechten im Europa von heute gewinnt die politische Kultur des Widerstands eine unerwartete Aktualität. Claus Schenk Graf von Stauffenberg wuchs auf mit Ansichten, die der rechtskonservativen Ideologie um Stefan George sehr nahe waren. Aber er erkannte ihre Tragweite, und entschied sich dafür, gegen diese Ideologie zu kämpfen. Noch einmal Johannes Tuchel, Leiter der Gedenkstätte Deutscher Widerstand in Berlin.
"Dafür musst du kein Übermensch sein, dafür musst du nicht von Stefan George geprägt sein, sondern das hängt einfach nur davon ab, wie du selbst dich persönlich entscheidest. Ich denke, darin liegt die Aktualität Stauffenbergs auch im 72-sten Jahr und wird es auch im 75-sten oder 80-sten noch liegen."