Hitlers Hetzschrift

"Mein Kampf" kommt auf die Bühne

Der Buchrücken einer Ausgabe von Hitlers "Mein Kampf" vor einem unscharfen Porträtbild Hitlers.
"Mein Kampf" darf bald wieder gedruckt werden © picture alliance / dpa / Sepp Spiegl
Helgard Haug im Gespräch mit Dieter Kassel |
Einst war das Buch in fast jedem deutschen Haushalt vorhanden, und auch 70 Jahre nach dem Tod Adolf Hitlers ist sein schriftliches Vermächtnis noch immer in Antiquariaten und im Internet zu finden. Das Kunstfest Weimar begibt sich heute Abend mit der Uraufführung des Theaterprojekts "Adolf Hitler: Mein Kampf, Band 1 & 2" auf brisante Spurensuche.
Hitlers Hetzschrift "Mein Kampf": Auf welche Art und Weise kann man dieses Buch lesen? Es habe Überwindung gekostet, sich dem Buch als Objekt zu nähern, sagte Helgard Haug vom Berliner Theaterkollektiv Rimini Protokoll im Deutschlandradio Kultur.
Das Rimini Protokoll bringt den Text heute Abend im Deutschen Nationaltheater Weimar auf die Bühne und hat das Auftragswerk nicht mit Schauspielern, sondern mit "Experten des Alltags" besetzt. Zwei Frau und vier Männer tragen dabei ihre ganz persönliche Sicht auf das Buch vor, das bis 1945 millionenfach gedruckt wurde und bis heute auf Dachböden, Antiquariaten und im Internet zu finden ist. Zugleich sollen auch Textpassagen aus "Mein Kampf" vorgelesen werden.
70 Jahre nach dem Tod Hitlers laufen die Urheberschutzrechte für das Buch aus, dessen Besitz in Deutschland zwar erlaubt, dessen Verbreitung aber verboten ist. Das Bundesland Bayern als Inhaber der Rechte hat mit dieser Begründung den Nachdruck bisher verhindert. Ab 2016 darf das Buch jedoch wieder gedruckt werden. Geplant ist unter anderem eine von Wissenschaftlern kommentierte Ausgabe, die den Text einordnen soll.
Der Impuls zu dem Auftragswerk, das von der Kulturstiftung des Bundes unterstützt wird, entstand im Deutschen Nationaltheater Weimar in der Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte. Hitler hatte zu Weimar eine ganz besondere Beziehung. 1926 fand in dem Theater, in dem 1919 die Weimarer Republik gegründet wurde, der erste NSDAP-Parteitag nach Aufhebung des Parteiverbots statt. 1937 errichteten die Nazis auf dem Ettersberg das KZ Buchenwald.

Das Gespräch im Wortlaut:
Dieter Kassel: Vor 90 Jahren erschien "Mein Kampf" von Adolf Hitler zum ersten Mal, und in der Nazizeit erreichte dieses Buch dann eine Millionenauflage. In der Bundesrepublik Deutschland ist es verboten – nicht der Besitz, aber die Verbreitung. Das könnte sich nächstes Jahr ändern, denn die Urheberrechte, die beim Bundesland Bayern liegen, die laufen aus. Schon heute Abend aber kann man sich, wenn man möchte, diesem Buch annähern – am Deutschen Nationaltheater Weimar wird im Rahmen des Kunstfests Weimar das Stück "Mein Kampf, Band 1 und 2" aufgeführt, ein Stück des Theaterkollektivs Rimini Protokoll, und verantwortlich für Konzept, Regie und Text zeichnen Daniel Wetzel und Helgard Haug, und Frau Haug ist jetzt am Telefon. Morgen, Frau Haug!
Helgard Haug: Schönen guten Morgen!
Kassel: Haben Sie dieses Buch, also "Mein Kampf" von Adolf Hitler komplett gelesen?
Haug: Nicht komplett, nein, das wäre zu viel gesagt. Wir haben vor zwei Jahren begonnen mit den Recherchen für das Stück und haben natürlich immer wieder reingelesen und haben vor allem das mit Leuten gelesen, die sich eben mit dem Text auskennen.
Also ich denke, es macht keinen Sinn, sich damit zurückzuziehen und das alleine am Schreibtisch zu lesen oder gemütlich im Sessel, sondern man muss es eigentlich wirklich als ein Buch, ein Stück völkischer Literatur aus den 20er-Jahren begreifen, und da brauchte ich natürlich einen Kommentar und ein Wissen, um das zu verstehen.
Helgard Haug und Daniel Wetzel
Helgard Haug und Daniel Wetzel vom Rimini Protokoll© Hanna Lippmann
Kassel: Das klingt für mich, jetzt zugespitzt, so, als hätten Sie regelrecht Angst davor gehabt, das Buch ganz alleine und komplett zu lesen.
Haug: Natürlich gibt es Berührungsängste. Das erzählen wir auch in dem Stück, also das war auch tatsächlich als Objekt, das Buch, sich zu nähern war eine ziemliche Überwindung. Dann liegt es plötzlich vor einem auf dem Tisch, und wie schlägt man das auf. Es gibt dieses Bild der Infektion, dass tatsächlich einen plötzlich die bösen Viren überfallen, und es gab natürlich total viele Vorbehalte und vor allem keine Erfahrung mit dem Buch.
Für uns war es auch so, dass wir es einfach vorher nicht gelesen hatten, das war nicht da, obwohl es natürlich nie weg war. Es steht eben in der zweiten Reihe oder ist im Antiquariat so ein bisschen verschämt unter dem Ladentisch dann hervorzuholen, wenn man intensiv genug fragt. Es waren zwölfeinhalb Millionen Exemplare, und jetzt wissen wir wie weit verbreitet das Buch war und ist, aber natürlich, wenn das eigentlich vorher immer unter dem Ruf steht des Bösen und in die Dunkelheit gerät, ist es schwierig, dem sich anzunähern.
Kassel: Aber ist man nicht am Ende sogar bei dieser Erwartungshaltung manchmal ein bisschen enttäuscht, wenn man einzelne Passagen liest, dass das alles vielleicht tatsächlich viel – ich muss zugeben, ich habe es auch noch nicht gelesen – dass es am Ende viel banaler ist als man es sich vorgestellt hat?
"Mein Kampf" steht nicht so allein da, wie man denkt
Haug: Auf jeden Fall steht es nicht so alleine da, wie man denkt. Das ist ein Buch unter sehr vielen, das eben eine bestimmte Denkart und eine bestimmte Zeit widerspiegelt. Nein, enttäuscht kann ich nicht sagen, es ist ein Buch voller Hass, es ist volksverhetzend, es ist vielleicht auch sogar in manchen Passagen noch gefährlich, also wenn es ... vor allem in den Passagen, wo Demokratie ganz stark kritisiert wird, demokratische Abläufe infrage gestellt werden und sich darüber hinweggesetzt wird. Ich glaube nur, es ist sinnlos, so ein Buch – nicht anzugucken, macht es gefährlich, es unter Verschluss zu halten und sozusagen attraktiv zu machen oder als Fetisch so wirken zu lassen.
Kassel: Ist vielleicht jetzt gerade zu dieser Zeit, zu Zeiten wie Pegida, Tügida – gibt es auch in Thüringen, wo Ihr Stück heute aufgeführt wird – in Zeiten, wo wir den Rechtsradikalismus so offen sehen, gerade auch vor Flüchtlingsheimen, ist das Buch vielleicht jetzt sogar gefährlicher als es möglicherweise vor 20, 30 Jahren gewesen wäre?
Haug: Das ist schwer zu sagen. Ich glaube nicht, dass die Lektüre des Buches sozusagen einen zu einer politischen Überzeugung bringt. Ich glaube nicht, dass die Bewegung, die wir jetzt sehen, dass die sozusagen erst vorher "Mein Kampf" gelesen hat oder dass der Umstand, dass es jetzt gemeinfrei wird ab Januar 2016, dass das weiter Öl ins Feuer gießt, das würde ich nicht sagen.
Aber es ist wichtig, sich das noch mal anzugucken. Gerade eben jetzt aktuell ist es wichtig zu gucken, wie sind Organisationsstrukturen, wie funktioniert eben dieses Absetzen von einer Volksgruppe gegen andere, wie entstehen Gedanken, wo ein Stärkerer siegen muss. Das ist sehr, sehr aktuell.
Kassel: Sie haben es schon am Anfang unseres Gespräches erwähnt, dass auch Sie selber quasi zusammen überwiegend mit Leuten, die sich damit auskennen, die sich damit schon beschäftigt haben, dieses Buch gelesen haben in Teilen, heute Abend werden sechs davon ja zu sehen sein auf der Bühne, sind nennen das selber die Experten des Alltags. Was sind das denn für Menschen?
Juristen helfen, das Halbwissen in den Griff zu bekommen
Haug: Wir haben Juristen auf der Bühne, da war es für uns vor allem spannend, weil eben die ganze juristische Findung von einer Lösung, wie gehe ich mit dem Buch um, darf man das verbieten, kann man überhaupt ein Buch verbieten, uns geholfen hat, auch ein bisschen so dieses ganze Halbwissen sozusagen in den Griff zu kriegen, weil das geistert ja vor allem rum.
Einer dieser Juristen ist ein Israeli, der aus Tel Aviv kommt und diesen Blickwinkel mitbekommt, gleichzeitig aber, als er das Buch gelesen hat zu seinen frühen Studentenjahren, sehr fasziniert davon war, also auch von diesem Hass und der Krassheit der Sprache. Der hat dann eigentlich anlässlich dieses Buches angefangen, deutsch zu lernen und sich wirklich in diese Welt reingedacht und war fasziniert davon. Das ist natürlich für uns ein Glücksfall gewesen, so jemanden zu treffen, wo man sagt, er hat sich auch erstmal in das Buch begeben und bricht nicht nur ein Tabu, sondern gleich zwei.
Dann gibt es die zwei anderen weiteren Juristen, das sind zwei Frauen, die eine davon hat jetzt ganz aktuell geprüft, wie ist die Rechtslage, welche Passagen sind volksverhetzend, wie kann ein Gericht darüber urteilen, und was wären Bemühungen eines Gerichts, damit umzugehen.
Es gibt aber auch einen Buchrestaurator, der sich eben mit dem Objekt Buch befasst, also wie zersetzen sich Bücher, wie kann man Bücher bewahren, wie kann man die sozusagen heilen oder wo vergilbt ein Buch oder was passiert, wenn man sie in der Erde versteckt, also auch ausgehend von dem Umstand, dass eben diese Exemplare erstmal sozusagen verschwunden sind, die waren erst überall und plötzlich nach 45 waren die weg. Das ist ein Aspekt.
Wir haben einen blinden Leser dabei, der weite Passagen von dem Buch liest. Das war eben auch ein Bedürfnis, zu sagen, wir hören wirklich in dieses Buch rein, also es geht nicht nur darum, über das Buch zu sprechen, sondern man begibt sich wirklich rein, man hört zu und man macht wirklich eine Erfahrung mit dem Buch, und der macht das sehr gut, der ist Radiomoderator und man kann ihm beim Lesen zuschauen, weil er sich mit den Händen durch das Buch bewegt.
Kassel: Man muss sich wahrscheinlich, nachdem man das Stück gesehen hat, auch ein eigenes Urteil bilden, ein ganz persönliches, was jetzt den Umgang mit "Mein Kampf" ab dem kommenden Jahr angeht. Was würden Sie denn empfehlen? Völlige Freigabe oder doch lieber auch irgendeine Form von kontrolliertem Lesen?
Man kann "Mein Kampf" nicht unkommentiert stehen lassen
Haug: Ich bin sehr gespannt auf die kommentierte Ausgabe, die es gibt, die ja entsteht im Institut für Zeitgeschichte, das finde ich eigentlich den allerbesten Vorgang, zu sagen, man lässt diesen Text nicht einfach unkommentiert stehen, sondern die haben sich ja jahrelang die Mühe gemacht, ein ganzes Team von Historikern, jedem Halbsatz, jedem Begriff hinterherzujagen und den in eine Beziehung zu stellen, also genau dieses Geflecht aus Texten und Gedankengut erstmal herzustellen.
Das finde ich einen sehr, sehr guten Vorgang. Ich denke, man sollte das Buch eben nicht einfach nur rausgeben und sagen, naja, jetzt ist wieder da, ist halt so. Faktisch ist es das und es ist natürlich faktisch auch im Ausland – wir haben auch ganz viele Ausgaben aus dem Ausland, wir haben ein großes Bücherregal auf der Bühne, da gibt es Ausgaben aus Indien, aus dem Libanon, aus Ägypten, das ist überhaupt kein Problem, diesen Text zu bekommen sowie auch im Internet, also auch in Deutschland ist es kein Problem, aber ich denke, es ist wichtig, dass der kommentiert wird, dass möglichst schon in den Schulen reingeguckt wird, und ich glaube, nur so kann man den entkräften.
Kassel: Herzlichen Dank! Helgard Haug war das von Rimini Protokoll über "Mein Kampf, Band 1 und 2", das Stück wird heute Abend beim Kunstfest Weimar uraufgeführt.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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