Nach wie vor kein freier Verkauf
Das Erlöschen der Urheberrechte an Hitlers "Mein Kampf" zum 1. Januar hatte im Vorfeld große Befürchtungen ausgelöst. Doch in der Praxis ändert sich nicht viel: Der unkommentierte Nachdruck bleibt verboten, und antiquarisch kaufen konnte man das Buch auch vorher schon.
Die Kammerspiele München. Hier gibt die Theatergruppe "Rimini Protokoll" das Stück "Mein Kampf". Auf der Bühne steht die Juristin Anna Gilsbach. Sie präsentiert dem Publikum eine englischsprachige Ausgabe von "Mein Kampf" aus Bangalore.
"Das ist eine von momentan 33 offiziellen Ausgaben aus Indien. Cover mit dem Titel auf deutsch und englisch. Hakenkreuz. Hitlerporträt. Vorne steht drauf: 'A classic, indeed. Never to be neglected.' (Lachen) Hat umgerechnet zwei Euro gekostet."
"Ein Klassiker. Nicht zu vernachlässigen." So lautet die Cover-Inschrift der indischen Ausgabe von "Mein Kampf". Wer heute nach Mumbai oder Neu Delhi reist, kann sich Hitlers Kampfschrift in jeder größeren Buchhandlung besorgen. In Deutschland ist das nicht so, und es wird auch nach dem Auslaufen der Autorenrechte nicht so kommen.
Manche Antiquare weigern sich, "Mein Kampf" zu verkaufen
Besuch im Antiquariat Kitzinger in München-Schwabing. Inhaber Bernhard Kitzinger hat mit "Mein Kampf" noch nie gehandelt – und wird es auch in Zukunft nicht verkaufen:
"Wenn ich aus irgendwelchen Nachlässen NS-Literatur bekomme, dann stelle ich eine sogenannte braune Kiste zusammen, und wenn die voll ist, dann melde ich mich beim NS-Dokumentationszentrum und schenke es denen."
Bis 1945 erreichte "Mein Kampf" eine Auflage von 12 Millionen Exemplaren. Es kostete 12 Reichsmark. Hitler verdiente königlich daran. Heutzutage seien noch immer jede Menge Exemplare auf dem Markt, sagt Buchhändler Kitzinger.
"Es sind 1945 natürlich viele vergraben, weggeschmissen und verbrannt worden. Aber es schwirren noch genügend umeinander. Nur: wenn es in die falschen Hände kommt, dann möchte ich nicht dafür verantwortlich sein, dass irgendjemand in eine Wehrsportgruppe eintritt oder vor einem Flüchtlingsheim rumgrölt. Da habe ich lieber nichts mit zu tun."
So halten es alle befragten Antiquariate in München. Von Hauser bis Turszynski.
Trotz Verbot konnte jeder das Buch kaufen
Wer "Mein Kampf" in der Originalausgabe kaufen will, der muss entweder ins Internet. Dort gibt es die Hochzeitsausgabe für 270 Euro auf Ebay. Oder er muss, wie der der Autor Matthias Kessler, zu einem Militaria-Händler in einen Münchner Hinterhof.
"Der hat mir drei Ausgaben gezeigt. Die hatte er aus Wohnungs-Auflösungen. Die Ausgabe, die ich gekauft habe, hat 90 Euro gekostet. Die war dann schon in Antiqua, also lateinischer Schrift. Aber ich wollte eine in Fraktur. Das hatte für mich den Geschmack dieser Zeit."
Der Münchner Matthias Kessler hat das Buch "Eine Abrechnung – die Wahrheit über Hitlers 'Mein Kampf'" geschrieben. Darin schildert er, wie virulent und allgegenwärtig "Mein Kampf" noch heute ist. Kaufen kann es jeder – Verbot hin oder her. Nur eine Unterschrift muss man beim Kauf leisten.
"Sie müssen einfach unterschreiben, für was Sie das Buch verwenden wollen. Also, ob Sie es für eigene Bildungszwecke lesen wollen. Ob Sie es für journalistische Recherchezwecke brauchen. Oder für wissenschaftliche Zwecke. Sie müssen unterschreiben und Ihre Adresse angeben. Finde ich auch gut so."
Großes Interesse an der kommentierten Ausgabe
Das wird sich auch im Jahr 2016 nicht ändern. Es sei denn, man kauft eine kommentierte "Mein Kampf"-Ausgabe, etwa die des Instituts für Zeitgeschichte. Deren 2000-seitige, mit 3700 Fußnoten versehene Edition wird ab dem 8. Januar in den Schaufenstern vieler Münchner Buchläden zu finden sein. Die Universitäts-Buchhandlung Rupprecht an der LMU München beispielsweise kann sich vorstellen, diese Edition auszustellen. Das Interesse werde groß sein, glaubt man dort. Das hofft auch das Institut für Zeitgeschichte. Die Startauflage wird dem Vernehmen nach bei etwa 6000 Exemplaren liegen. Institutsleiter Professor Andreas Wirsching hat sich entschieden, die kommentierte Ausgabe im Selbstverlag zu publizieren.
"Wir geben das aus zwei Gründen im Selbstverlag heraus: erstens wollen wir unbedingt alle Rechte behalten. Mit dem Text kann Schindluder betrieben werden, gar keine Frage. Und zweitens, genauso wichtig: wir wollen unbedingt verhindern, dass irgendwie ein Narrativ entsteht, dass mit diesem Werk private Profite erzielt werden."
Kein seriöser Verlag will mit "Mein Kampf" Geld verdienen
Geld verdienen mit "Mein Kampf" – dessen will sich kein ernstzunehmender Verlag zeihen lassen. Bisher gibt es auch keine Hinweise darauf, dass dubiose Kleinverlage – etwa aus dem rechtsradikalen Spektrum – eine Neu-Auflage planen. Denn die unkommentierte Verbreitung von "Mein Kampf" soll in Deutschland auch nach dem Auslaufen der Urheberschutzfrist verboten bleiben. Dazu brauche es kein Sondergesetz, sagt der bayerische Justizminister Winfried Bausback. Um den Nachdruck zu verhindern, reiche die geltende Rechtslage aus. Etwa über den Straftatbestand der Volksverhetzung. Manche Wissenschaftler sind damit gar nicht glücklich: der fortwährende Kampf gegen "Mein Kampf" diene am Ende nur der Mystifizierung des Buches. Und damit tue man Hitlers Hetzschrift zu viel Ehre an.