Das Sterben der Stadtbäume
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Bäume machen Städte grün, sind aber auch schweren Belastungen unterworfen. Hinzu kommen lange Dürreperioden wie im Hitzesommer 2018. Händeringend suchen Städte nach Lösungen, um ihre Bestände zu halten – eine echte Herausforderung.
Derk Ehlert von der Senatsverwaltung Berlin weiß, wie sehr die Bäume seiner Stadt leiden:
"Die Straßenbäume haben es wirklich schwer: Die stehen auf zwei mal zwei Metern, die Wurzeln bewegen sich irgendwo unter versiegeltem Raum und müssen dieses Stadtklima vertragen. Sie müssen diesen Salzeintrag im Winter vertragen, sie müssen Hunde-Urin in Mengen vertragen, dass immer wieder auch die Gehwegbereiche aufgegraben werden, die Wurzeln verletzt werden, und sie müssen dann darüber hinaus die Trockenheit ausstehen. Also ich bin ehrlich gesagt froh, dass ich kein Straßenbaum bin."
Etliche tausend Bäume mussten gefällt werden. Heute gibt es über 7000 weniger als noch vor zweieinhalb Jahren. Grund sind der verheerende Orkan Xavier sowie die extreme Hitze und Trockenheit in diesem und vor allem im letzten Jahr:
"Die meisten Bäume zeigen ihre Schäden von 2018 erst in diesem Jahr 2019 oder sogar in den Folgejahren von 2020. Das sind einmal Trockenschäden, dass ganze Astpartien plötzlich abtrocknen, es sind aber auch Schäden im Kronenbereich, sogenannte Wipfeldürre, also unmittelbar oben an den Wipfeln plötzlich absterbende Astbereiche. Die müssen natürlich sofort entfernt werden, da wir ja eine Verkehrssicherungspflicht haben und uns kein Ast auf den Kopf fallen soll."
Neue Bäume für Berlin - dringend gesucht
Vor allem junge Bäume verdorren, wie hier am Kupfergraben vor dem deutschen Dom. Hitze und Trockenheit bewirken auch, dass Schädlinge und Krankheiten sich ausbreiten: Bäume werden geschwächt oder sterben ab.
Noch zählt Berlin mit über 430.000 Straßenbäume zu den grünsten Städten Deutschlands. Doch Wissenschaftler sind sich einig: Einheimische Baumarten haben an vielen Standorten keine Chance mehr, wenn Hitze-und Trockenperioden zunehmen. Sie suchen nach Bäumen der Zukunft – oft sind dies so genannte gebietsfremde Arten, erklärt Matthias Zander von der Humboldt-Universität Berlin:
"Wir stehen hier an der Neuen Späthstraße in Berlin Neukölln, das ist ein extremer Standort, hier fahren im Jahr tausende Autos durch. Von den Bodenverhältnissen ist es natürlich auch extrem. Man hat hier vorher Spitzahorn gepflanzt, diese Pflanzung hat man nach fünf Jahren absägen müssen, beziehungsweise die Hälfte der Spitzahornbäume war bis dahin schon abgestorben. Und da haben wir gesagt: Ok, extremer geht es fast nicht, wir gehen auf diesen Standort."
Matthias Zander erforscht hier seit mehreren Jahren sechs gebietsfremde Baumarten, gepflanzt als Allee in Neukölln. Favorit dieser Testserie ist die Ungarische Eiche:
"Man sieht schon, sehr gesundes, frisches grünes Blatt, aber auch etwas derb, oben glänzend. Das sind auch die Voraussetzungen, die so ein klimatoleranter Baum der Zukunft erfüllen muss und sollte."
Die Ungarische Eiche verträgt nicht nur hohe Temperaturen, sondern auch Frost – ein Kriterium, das alle Baumarten erfüllen müssen.
Heilbronns Bäume werden unterirdisch bewässert
Eine Stadt, die schon seit Jahrzenten mit neuen Baumarten experimentiert, ist Heilbronn. In einem der größten Industriegebiete Baden-Württembergs pflanzte man an der neu ausgebauten Bundesstraße Zerr-Eichen, eine Spezies aus Südeuropa. Der schmale Mittelstreifen an der sechsspurigen Fügerstraße bietet den klima-robusten Bäumen jedoch nicht genug Lebensraum, weshalb man intensiv in Technik investierte: Der Wurzelraum ist unterirdisch miteinander verbunden und wird mit Sauerstoff und Wasser versorgt, erklärt Stephan Näschen vom Grünflächenamt Heilbronn:
"Diese unauffälligen kleinen schwarzen Schachdeckel sind die Bewässerungseinrichtungen für den Baum. Und jeder Baum hat hier einen Anschluss, der über Steuerungskästen im Mittelstreifenbereich gesteuert wird. Jeder Baum bekommt im Moment zweimal die Woche in etwa 150 Liter pro Gießeinheit."
Stephan Näschen glaubt, dass ausgefeilte Technik und Bewässerungsanlagen an extremen Straßenstandorten künftig unerlässlich sind – allerdings kostet das zwischen 15.000 und 25.000 Euro pro Baum. Auch in Heilbronn ist dies eher die Ausnahme: 70 Prozent aller Stadtbäume haben Trockenschäden noch vom vorigen Jahr – Ausgang ungewiss.
Berlin greift zur Gießkanne
Automatische Bewässerungsanlagen für Straßenbäume sind in Berlin keine Alternative. Aber weil die Niederschläge auch in diesem Jahr nicht ausreichen, investiert der Senat zusätzlich eine Million Euro, um die Bäume zu wässern. Außerdem rief er die Berliner zum Gießen auf:
"Ich gieße gerade den Straßenbaum vor meinem Haus, weil der zweite Sommer in Folge sehr trocken ist. Jetzt sind schon einzelne Ästchen abgestorben, so dass ich befürchte, dass er dieses Jahr vielleicht ganz eingehen würde, wenn sich niemand kümmert."
Und die Berliner engagieren sich auch finanziell für ihre Bäume: Seit einigen Jahren spenden sie im Rahmen der Stadtbaumkampagne Geld, mit dem ein neuer Baum gekauft und die ersten drei Jahre gepflegt wird.
Wenig Raum zum Wurzeln
Allerdings kann nicht jeder gefällte Baum sofort ersetzt werden – und das nicht nur aus finanziellen Gründen, erklärt der Leiter des Grünflächenamtes Friedrichshain-Kreuzberg, Felix Weisbrich:
"Das ist ein großer Missstand, dass die Bäume schlicht und einfach nicht genug Platz zum Wurzeln haben: kein tiefes Wurzelwerk, keine gute Wasseranschlussfähigkeit, keine gute Dürreresistenz. Der Standort und die Standortherstellung eines Baums sind mindestens und wahrscheinlich noch deutlich gewichtiger als die Baumarten-Wahl selber."
In Friedrichshain-Kreuzberg arbeitet das Grünflächenamt eng mit dem Straßenbauamt zusammen: Gemeinsam sucht man Baumgruben, die groß genug für die Wurzeln sind, und wo sie nicht durch Straßenarbeiten und das Verlegen von Leitungen verletzt werden.
Obstbäume sind widerstandsfähiger
Darüber hinaus experimentiert man auch hier mit klimaresistenteren Baumarten:
"Wir haben ein Konzept der 'essbaren Stadt': Esskastanie haben wir hier angepflanzt und andere Baumarten, insbesondere auch Obstbäume, die auch Trockenresistenz aufweisen, wo wir aber auch den Bürgerinnen und Bürgern unseres Bezirkes deutlich machen können, dass es auch andere interessante Nutzungsaspekte dieser Bäume gibt, dass man dann vielleicht auch eine Esskastanie, eine Marone mal ernten kann und dann daraus beispielsweise einen Kuchen backen kann oder Ähnliches."
Vorbehalte gegenüber gebietsfremden Bäumen
Viele Städte haben jedoch Bedenken gegenüber gebietsfremden Bäumen, da sie fürchten, dass einheimische Insekten diese nicht anfliegen. Das wurde in einem Forschungsprojekt der Universität Würzburg widerlegt. Die Vielfalt an Insekten sei bei einheimischen und gebietsfremden Baumarten gleich groß.
Einige Insekten kämen auf einheimischen, andere nur auf gebietsfremden und wieder andere auf allen Baumarten vor, sagt Susanne Böll, die schon über 10 Jahre zu dem Thema forscht:
"Das sagt einem, dass wir die größte Artenvielfalt genau dann kriegen, wenn wir nicht mehr Alleen aus einer Baumart pflanzen, sondern wenn wir Mischalleen pflanzen, was auch gut ist wegen neuer Schädlinge, die reinkommen oder Krankheiten, die sich dann nicht so schnell ausbreiten können - und bei diesen Misch-Pflanzungen dürfen und sollten dann auch südosteuropäische Baumarten dabei sein."
Verkürzte Lebenszeit von Bäumen
Es besteht dringend Handlungsbedarf: Wurden nämlich Straßenbäume früher durchschnittlich 80 Jahre alt, ist zu befürchten, dass sie künftig nur noch 50, im Extremfall nicht mehr als 20 Jahre an unseren Straßen stehen.
"Ich hoffe nicht, denn ich finde, dass im Moment gerade ein großes Umdenken stattfindet, also man merkt, dass die Bürger doch immer mehr richtiggehend fordern, dass Bäume erhalten werden bzw. dass mehr Bäume gepflanzt werden. Und ich denke, dass das im Moment gerade auch in der Politik ankommt und vielleicht dazu hilft, dass bei der Planung von neuen Stadtvierteln oder der Umwidmung von alten Stadtvierteln, dass man da Bäume eben mehr berücksichtigt und mehr Gelder zur Verfügung stellt."