Das gescheiterte Modell Heidelberg-Bahnstadt
09:11 Minuten
Bei der Entwicklung der Heidelberger Bahnstadt vor 20 Jahren wollte man alles richtig machen und setzte auf Passivhäuser. Doch die Bewohner sagen, die Hitze sei unerträglich. Heute räumen die Planer ein: Vieles sei nicht optimal.
Ein heißer Tag im Hochsommer in Heidelberg – genauer in der Bahnstadt. Die Bagger arbeiten, die Rasensprenger auch. Die Temperaturen klettern hier schon mal auf 35 Grad und mehr und das tagelang. Und in der Bahnstadt – da wird es noch mal um mindestens 0,2 Grad wärmer als etwa in der Altstadt. Das hat die Geografin Kathrin Foshag herausgefunden. Ihr Forschungsschwerpunkt: Klimawandelanpassung und nachhaltige Stadtentwicklung.
Wir suchen eine kühle Ecke. Das ist gar nicht so einfach. "Wir können hier Platz nehmen. Schatten ist hier Mangelware. Da vorne vielleicht unter dem Baum."
Selbst die Altstadt ist kühler
Kathrin Foshag hat seit 2018 verschiedene Plätze in Heidelberg untersucht. Das Ergebnis: Selbst in der versiegelten Altstadt auf dem Universitätsplatz ist es weniger warm als in der neu gebauten Bahnstadt.
"Das liegt vor allen Dingen daran, dass der Platz stark versiegelt ist. Außerdem wiesen die Grünflächen 2018 auch starke Trockenheit auf und deswegen konnten sie nicht den Kühlungseffekt beitragen, wie sie es im vitalen Zustand können. Und die Erwärmung ist in der Bahnstadt einfach höher und hält auch in der Nacht deutlich länger an."
"Im Sommer müssen wir runterkühlen"
Die städtischen Mitarbeiter kommen mit ihren Gießwagen kaum hinterher. Und trotzdem wachsen die Bäume nur langsam. Fast alles ist hier zugepflastert. Schon die Vormittagshitze lässt die Oberflächen flimmern, die grelle Sonne und die Hitze strahlen von den Gebäuden zurück.
Der Platz an der Schwetzinger Terrasse ist eigentlich gut gemeint, doch auch die Wasserspiele, die aus dem zubetonierten Boden spritzen, laden nicht zum Verweilen ein. Es fehlen die Schattenplätze drumherum. Über einem Spielplatz sind zwei kleinere Sonnensegel angebracht. Eine junge Mutter springt sofort auf meine Frage an:
"Heizen müssen wir nicht im Winter, aber im Sommer müssen wir runterkühlen. Abends haben wir bis 36 Grad. Wir helfen uns dieses Jahr mit einer Klimaanlage, da können wir bis 22, 23 Grad runterkühlen. Aber ohne Klimaanlage, nur mit Ventilator, da geht es hoch bis 36 Grad. Darum müssen wir uns mit einer Klimaanlage helfen, was auch Strom kostet. Das, was wir im Winter sparen, müssen wir im Sommer wieder ausgeben."
Passivhaus hat Tücken
Denn die hochgepriesene Passivhausbauweise, also dick eingepackte Wände, dreifachverglaste Fenster, so das im Idealfall die Körperwärme, die Abluft beim Duschen oder Kochen reichen um die Wohnung zu erwärmen, hat eben ihre Tücken. Die Passivhäuser speichern die Wärme zu gut.
Eine andere Frau hält einen Kaffeebecher in der einen und schiebt einen Zwillingskinderwagen mit der anderen Hand. Die Bahnstadt findet sie toll, sagt sie:
"Die Nähe zur Stadt, die Kinderfreundlichkeit und die Barrierefreiheit." Das Klima der Bahnstadt findet sie aber "furchtbar". Und dann legt sie los:
"Durch diese kanalartigen gerade Straßenbauten ist es unglaublich heiß, die Sonne scheint den ganzen Tag. Und die Bahnstadt lädt sich auf. Egal ob wir die Lüftung laufen haben. Lüften ist keine Möglichkeit. Das Wohnen innen und das Wohnen außen ist genau das gleiche. Die Fassaden sind so warm, dass sie noch mal doppelt abstrahlen. Dadurch, dass die Bäume noch so klein sind, gibt es zu wenig Grün. Und alle Spielplätze haben entweder gar keinen Schatten, oder bei dem kinderreichen Stadtteil viel zu wenig Schatten. Ich habe regelmäßig Angst vor Juli und August."
Kompakte, dichte Bebauung
Das Thema ist bekannt bei den Machern der Bahnstadt. Einer, der von Anfang an dabei war, ist Michael Braum, heute Direktor bei der Internationalen Bauausstellung, die zurzeit in Heidelberg die Stadt mitgestaltet. Der Architekt und Städtebauer Braum saß vor mehr als 20 Jahren als Hochschulprofessor in der Jury, als die passenden Projektentwickler für die Bahnstadt gesucht wurden. Er erinnert sich, worauf es ankam:
"Das, was wir unter dem Aspekt Nachhaltigkeit zur Grundlage unserer Entscheidung gemacht hatten, war, dass wir sagen, wir wollen eine vergleichsweise dichte Bebauung, wir wollen dort verhältnismäßig gut nutzbare Freiräume und eine kompakte Bauweise haben."
Sprich: genug Menschen unterbringen. Denn in Heidelberg ist Wohnungsnot der Normalzustand. Gleichwohl war klar: Es wird ein energieeffizienter Stadtteil in Passivhausbauweise, damit man so wenig wie möglich das Universum aufheizt. Aber das, so der gelernte Stadtentwickler Michael Braum, sei eben nicht mehr der neueste Stand der Technik. Braum sitzt vor einem großformatigen Foto des nächsten Großprojekts in Heidelberg, die Konversion einer ehemaligen US-Wohnsiedlung.
"State of the Art ist, dass ich in der Gebäudeherstellung drei Dinge - effiziente Baustoffe, suffiziente Nutzung des Gebäudes und diese konsistente Herstellung eines Gebäudes - als Lebenszyklus denke. Und dass ich diese Kosten in die Gesamtbilanz - der Energiebilanz eines Gebäudes, sprich: Co2- Ausstoß - mit reinrechne."
Im Auffangbecken gärt das Wasser
Und ginge es nach dem Stadtentwickler Michael Braum, dann müsste, wer ein Haus baut, mit der Baugenehmigung schon einen Nachweis bringen, wie er es wieder abbauen kann.
Ein hehrer Wunsch? Vielleicht. Genauso wie der Wasserkanal, an der Straße am langen Anger in der Bahnstadt ein hehres Ziel verfolgte. Der Kanal ist ein Regenwasserrückhaltebecken, sagt Ralf Bermich. Er leitet die Klimaschutzaktivitäten der Stadt Heidelberg und war ebenfalls von Anfang an dabei. Wir stehen am Wasser, einer grün-braunen Brühe.
"Neben dem Energie- und Klimaschutzthema ist eben auch ein Thema der Umgang mit dem Regenwasser, dass wir eben möglichst wenig Regenwasser direkt in den Neckar und schon gar nicht ins Kanalnetz einleiten wollen. Denn immer wenn man bei Starkregen Regenwasser ins Kanalnetz einleitet, kommt man bei sehr starkem Regen irgendwann an die Grenze dessen, was Kanal und Kläranlage schlucken können. Dann spült man Schmutzwasser in den Neckar."
Doch das Wasser am Langen Anger steht und gärt vor sich hin, gesteht auch Ralf Bermich:
"Wir würden das so wahrscheinlich auch nicht wieder machen. Denn als weitgehend stehendes Gewässer neigt es einfach sehr stark zum Veralgen und erfüllt dadurch nicht zu jeder Jahreszeit die optischen Ansprüche, die man hat."
"Wir würden das so wahrscheinlich auch nicht wieder machen. Denn als weitgehend stehendes Gewässer neigt es einfach sehr stark zum Veralgen und erfüllt dadurch nicht zu jeder Jahreszeit die optischen Ansprüche, die man hat."
Und offenbar auch nicht die olfaktorischen: Die Brühe kann stinken, bezeugen Anwohner. Vieles habe man aber trotz aller Kritik gut gemacht. Zum Beispiel die Anbindung der Fernwärme, sagt Ralf Bermich:
"Die Fernwärmeversorgung würden wir jederzeit wieder so machen. Das ist auch das erklärte Ziel, die Fernwärme in Heidelberg auszubauen. Weil es einfach ein Wärmeversorgungssystem ist, das schon jetzt zu 50% Co2-freie Wärme verteilt. Unter anderem aus einem Holzheizkraftwerk, das hier in direktem Zusammenhang mit der Entwicklung der Bahnstadt entstanden ist. Bei der Fernwärme sehen wir das größte Potential, sie innerhalb einiger Jahre bis Jahrzehnte komplett erneuerbar zu kriegen."
Klimawandel war vorhersehbar
Dafür, dass die Anfänge der Bahnstadt mehr als 20 Jahre zurückliegen, sei vieles gelungen und man habe viel gelernt. Auch, was man anders machen würde, sagt Ralf Bermich:
"Der Sommer ist eine Unbekannte. Darauf wird man stärkeres Augenmerk legen müssen. Unbedingt eine außenliegende Verschattung, damit die Wärme gar nicht erst reinkommt, unbedingt Überlegungen, wie man mit Lüften nachts Wärme rauskriegt. Und möglicherweise auch Systeme, die im Winter zum Heizen und im Sommer zum Kühlen dienen können, um so eine Kühlmöglichkeit zu schaffen."
Der Klimawandel – der war bei der Planung und dem Bau der Bahnstadt vor 20 Jahren eben noch nicht so greifbar wie heute, sagen die Städtebauer. Die Geografin Kathrin Foshag sagt da etwas ganz anderes:
"Wir wissen schon lange, dass der Klimawandel existiert, dass er sich entwickeln und schnell fortschreiten wird. Persönlich merkt man es vielleicht eher erst in den letzten Jahren. Wobei 2003 schon ein extremes Hitzejahr war, das sich zum Beispiel 2018 wiederholt hat. Aber es gibt Prognosen, Klimarechnungen und Modelle - das hat man vorhersagen können."