Hizmet-Bewegung im Visier

Der lange Arm des türkischen Geheimdienstes

Das Gebäude des türkischen Generalkonsulats in der Menzinger Straße in München
Beim türkischen Konsulat in München sei ein Angestellter für Denunziationen zuständig, ist sich ein Mitglied des Dialogvereins Idizem sicher. © picture alliance / dpa / Markus C. Hurek
Von Susanne Lettenbauer |
Sie geben Nachhilfeunterricht oder organisieren Moscheeführungen: Die Vereine der Hizmet-Bewegung sind seit dem niedergeschlagenen Putsch in der Türkei auch hierzulande im Visier des türkischen Geheimdienstes – der in Deutschland gezielt nach Anhängern des Predigers Fetullah Gülen sucht.
Die leeren Tische stehen ordentlich in einer Reihe, die Stühle sind untergeschoben, an der Tafel erkennt man noch einige verwischte Matheformeln. Das Problem: Die Schüler fehlen. Der Nachhilfelehrer zuckt nachdenklich mit den Schultern:
"Wir haben sechs Nachhilfeschüler momentan, letztes Jahr waren es um die 50."
Seit 2008 bietet die Hizmet-Bewegung mit ihrem Verein Vision Lernpunkte in München Nachhilfekurse an, in Mathematik, Deutsch, Englisch. Vor allem lernschwache Kinder von Migranten und Deutschtürken nutzten das Angebot bisher rege. Doch seit dem Putsch und den Verhaftungen von tausenden Gülen-Anhängern in der Türkei haben die Eltern auch in München Angst, so der Lehrer:
"Also die sind zur Anmeldung gekommen, aber die hatten wirklich sehr viel Angst, das hat man gemerkt, dann habe ich gesagt, wir sind hier ein Verein, wir sind hier in Deutschland und wir richten uns nach den deutschen Gesetzen, sie dürfen hier keine Angst haben. Das waren Eltern, die uns seit sechs Jahren kannten, die haben klar und deutlich gesagt, dass sie sehr großen Druck von der Außenseite bekommen, von der Verwandtschaft, von der Umgebung, dass sie ihr Kind hier wegnehmen sollen."

Türkisches Konsulat zieht Pässe ein

Von Normalität können die Mitglieder vom Nachhilfeverein Vision Lernpunkte derzeit nur träumen. Pässe werden vom türkischen Konsulat München eingezogen, Ditib-Moscheen verweigern ihnen den Zutritt, das Gefühl, abgehört zu werden am Telefon, werde immer stärker, heißt es hinter vorgehaltener Hand. Ihr erster Wunsch deshalb: Bitte keine Namen in den Medien, auch nicht in Deutschland. Allein diese Vorsichtsmaßnahme hätte man sich noch vor einem Jahr nicht vorstellen können, sagen die Betroffenen. Man habe nie einen Hehl aus seiner Kritik am türkischen Präsidenten und der Verfolgung von Gülen-Anhängern in der Türkei gemacht. Denn: Sie leben doch in Deutschland. Jetzt fühlen sie sich auch hier verfolgt:
"Ich glaube das wären sehr schlechte Geheimagenten, wenn wir wüssten, wo sich diese Geheimagenten tummeln, aber anders kann ich mir nicht diese Weiterleitung der Listen mit unserem Namen erklären. Sowohl von mir als auch von Idizem-Mitgliedern liegen höchstwahrscheinlich – wie gesagt, die sind ja inoffiziell und unausgesprochen – aber die ganzen Listen, wir haben das über die Kollegen mitbekommen, liegen denen vor."

In Deutschland kursieren Schwarze Listen

Klar ist: Die Eltern wissen, dass seit dem Putsch in Istanbul am 15. Juli auch in Deutschland Schwarze Listen kursieren. Die Türkische Community wurde öffentlich aufgerufen, Gülen-Anhänger zu melden. Beim türkischen Konsulat in München sei seit Kurzem ein Angestellter extra für diese Listen und Denunziationen zuständig, ist sich ein Mitglied des Dialogvereins Idizem sicher:
"Das Konsulat positioniert sich sehr klar: Die sagen, man soll die Gülen-Anhänger boykottieren, jeglichen Dialog auf Eis legen oder abbrechen, weil wir eben Terroristen seien oder Landesverräter seien."
Man habe Angst um seinen Arbeitsplatz hört man unisono von allen Idizem-Mitgliedern, ob Angestellte bei Logistikfirmen, Lehrer oder im Lebensmittelhandel. Ein Vorstandsmitglied des Vereins befürchtet einen Boykott seiner Münchner Firma, weil wichtige Zulieferbetriebe in der Türkei unter Druck gesetzt würden. Am Arbeitsgericht München wird gerade ein Fall verhandelt, bei dem ein Mitarbeiter von Turkish Airlines entlassen wurde. Augenscheinlich aufgrund seiner Sympathie für die Hizmet-Bewegung. Deutschlandweit trennte sich die türkische Fluglinie von 16 angeblichen Gülen-Sympathisanten.

Denunziation einer Frauen-WG

"Ich habe gestern von einer Freundin gehört, dass sie im Konsulat war, um ihren Pass zu verlängern und der Pass wurde ihr jetzt weggenommen. Jetzt hat sie gar keinen Pass mehr. Jetzt muss sie ins Landratsamt gehen oder ins Bürgerbüro und sich einen Zettel holen, dass sie ihr Visum wenigstens noch hat. Also sie hatte einen Pass und der wurde ihr abgenommen, weil sie meinen, dass jetzt viele mit diesem grünen Pass, der aus der Türkei stammt, viele Leute, viele Beamte flüchten und dass sie eine von denen sein könnte, obwohl sie nur Studentin ist und nicht einmal was mit der Gülen-Bewegung zu tun hat."
Diese Lehramtsstudentin wohnte in einer Frauen-WG, die als Gülen-nah denunziert wurde. Eltern holten daraufhin sofort ihre Mädchen ab. Ihre Freundin, eine Medizinstudentin, lebt seit dem Passentzug rechtlich gesehen illegal in Deutschland, eine Rückkehr in die Türkei wird ihr von Idizem dringendst abgeraten. Man ist überzeugt, dass die Vereine der Hizmet-Bewegung vom türkischen Geheimdienst beobachtet werden, und zwar in Deutschland.
Am 8. Dezember lädt Idizem wieder zu seinen traditionellen Nymphenburger Gesprächen. Einem hoch anerkannten interreligiösen Forum mit Politikern, Imamen, Pfarrern und Wissenschaftlern. Absagen wird man die Veranstaltung auf keinen Fall, so die Vorstandsmitglieder. Trotz Beobachtung. Man werde jetzt erst recht auf Dialog und Transparenz setzen. Und ihre deutschen Partner unterstützen sie, darunter die Evangelische Stadtakademie, die Friedrich-Ebert-Stiftung, der Münchner Presseclub, die Technische Universität, die Israelitische Kultusgemeinde und das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge.
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