Beitrag "100 Jahre Bund der Hochhausfreunde in Berlin - Geschichte einer Skyline"
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Neue Skyline am Alex
08:54 Minuten
Berlin war bislang zurückhaltend mit dem Bauen in die hohe Senkrechte. Doch im Moment ist eine Veränderung zu beobachten: Unweit vom Bahnhof Zoo entstanden zuletzt zwei Hochhäuser. Und am Alexanderplatz entstehen nach jahrzehntelangem Stillstand weitere.
Der erste Wohnturm unweit des Alex ist bezugsfertig. 65 Meter hoch, 20 Stockwerke, daran angeschlossen ein L-Riegel, 40 Meter hoch, 12 Etagen, mit Dachterrasse. Zugänglich allerdings nur für die Bewohner.
Helle Natursteinfassade, raumhohe Panoramafenster, flexible Grundrisse – die 164 Eigentumswohnungen des "Grandaire", so heißt der Neubau, sind alle verkauft, teilweise schon seit Baubeginn 2016.
In den vergangenen vier, fünf Jahren habe es eine deutliche Preisentwicklung gegeben, sagt Michael Elst vom Immobiliendienstleister Strategis AG, der das Objekt vermarktet. "Ganz grob kann man sagen, hier im innerstädtischen Bereich, zehn Prozent Preisentwicklung pro Jahr."
Mit 5000 Euro pro Quadratmeter in den unteren Geschosslagen hätten sie begonnen, sagt er. "Und sind dann bei Spitzenpreisen von 15.000 Euro pro Quadratmeter im drittletzten Geschoss ausgelaufen." Die beiden letzten Geschosse, die Penthouse-Etagen, kämen jetzt erst in die Vermarktung.
Neben den Eigentumswohnungen gibt es auch 105 Mietwohnungen – für 19 Euro kalt den Quadratmeter. Das erste Hochhaus, das seit dem Fall der Mauer nun unweit vom Alexanderplatz mitten in der City Ost fertiggestellt wurde, ist ein reines Wohnhaus. Beim Richtfest vor einem Jahr sagte Berlins Senatsbaudirektorin Regula Lüscher, Hochhäuser belasteten die Umwelt und die Nachbarn, sie müssten der Stadt daher etwas zurückgeben – öffentlich zugängliche Dachgärten oder Gastronomie im Erdgeschoss.
Erste Hochhäuser in der DDR gebaut
Dieses Gebäude gebe der Stadt "einen Ort zurück, der ein weißer Fleck auf der Stadtkarte war", sagt Elst. "Man darf nicht vergessen, dass wir hier über Jahrzehnte eine große Brache hatten innerstädtisch, wo nichts stattgefunden hat außer dem jährlichen Weihnachtsmarkt - und heute steht hier ein Gebäude, stehen benachbarte Gebäude, die diesen Ort wieder mit Leben erfüllen." Das "Grandaire" sei hier ein maßgeblicher Teil, ohne den diese Dynamik in der Nachbarschaft so nicht eingesetzt hätte, so Elst. "Klassischer Entwicklermut, der hier bewiesen wurde."
Wolkenkratzer-Visionen für den Berliner Alexanderplatz beflügeln die Fantasie der Planer schon seit einhundert Jahren. Doch erst in der DDR wurden hier Hochhäuser errichtet. Fünf Jahre nach dem Mauerfall entwarf der Architekt Hans Kollhoff einen Masterplan – mit bis zu 13 Türmen, alle 150 Meter hoch. Eine Vision, die auch heute noch passt, findet Senatsbaudirektorin Regula Lüscher.
"Der Alex ist so ein Ort des Kommerzes, des Konsums, der Bewegung, des metropolitanen Alltags. Es ist jetzt nicht ein schöner Ort, an dem man sich jetzt bei Vogelgezwitscher irgendwie erholt, sondern es ist genau das andere, das Pulsierende, was eine Metropole einfach hat. Da kommt natürlich sofort das Hochhaus als Typologie in die Diskussion."
Bürger in die Hochhäuser
Mit einigen Änderungen gilt der Kollhoff-Plan deshalb nach wie vor. Realisiert wurde davon jedoch bis heute nichts.
"Der Hauptgrund war schon, dass einfach die Wirtschaftlichkeit nicht gegeben war. Die Entwickler haben einfach zu wenig hohe Mieten daraus generieren können."
Doch nun endlich scheint es loszugehen. Nach Jahrzehnten des Stillstands und der Absichtserklärungen. Zwei Hochhausprojekte laufen, ein drittes wartet auf die Baugenehmigung, zwei weitere stehen in den Startlöchern. Die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung hatte 2015 den Masterplan angepasst. Statt der ursprünglich geplanten 150 Meter sollen die neuen Hochhaustürme nur 130 Meter messen. So können der Fernsehturm und die umliegenden Gebäude aus DDR-Zeiten, unter anderem das ehemalige Forumhotel, gestalterisch besser eingebunden werden.
"Ein Hochhaus soll im Grunde genommen die Idee der gemischten Stadt widerspiegeln. Und darum haben wir auch gesagt: Häuser, die über 60 Meter hoch sind, die sollen von einem Nutzungstyp nur 70 Prozent beinhalten." Zudem müssten Hochhäuser den öffentlichen Raum beleben. "Darum sollen die Erdgeschossnutzungen immer publikumsbezogen sein. Und wir haben auch gesagt: Die Bürger sollen etwas von der Weitsicht profitieren, also nicht die Chefetage zuoberst, sondern ein öffentlich zugänglicher Ort soll zuoberst sein."
Um das zu gewährleisten, hat der Senat zu Beginn des Jahres das sogenannte "Hochhausleitbild für Berlin" verabschiedet. Darin wird genau geregelt, woran sich die Planer beim Neubau von Hochhäusern zu orientieren haben. Für die aktuellen Projekte am Alex gelten diese Regeln allerdings nicht. Weil hier zu früherem Zeitpunkt bereits das Bebauungsplanverfahren eingeleitet wurde.
Getrennte Aufzüge für Wohnungsmieter und Büros?
"Das Hochhausleitbild ist sehr anspruchsvoll", sagt der Architekt Matthias Sauerbruch. Es habe viele "Randbedingungen", die seiner Meinung nach zwar im Großen und Ganzen wünschenswert, aber nicht so einfach zu erfüllen seien. "Aber ich bin mal gespannt, wie weit sie umgesetzt werden können."
Sauerbruch gewann vor zwei Jahren zusammen mit Louisa Hutton den Wettbewerb für das Baufeld direkt neben dem Hotel. Ihr Entwurf sieht einen 130 Meter hohen Turm vor, der auf zwei Seiten mittig durch eine vertikale Furche geteilt wird. Durch diesen Kniff wirkt das Hochhaus wie zwei schlanke Türme. Auch wenn das Hochhausleitbild für diesen Bau nicht gilt – einzelne Planungsgrundsätze berücksichtigt Matthias Sauerbruch schon jetzt. Beispiel Nachhaltigkeit:
Es sei geplant, dass die nach Süden, Osten und Westen ausgerichtete Fassade und das Dach mit Fotovoltaik belegt sein soll. "Das heißt, es wird quasi sein eigenes Kraftwerk sein, wenn man so möchte, es wird seinen eigenen Strom generieren, nicht in voller Menge, aber immerhin einen erheblichen Anteil." Energiegewinnung in diesem Umfang und als Teil der Architektur, das sei relativ neu, so der Architekt.
Sauerbruch/Hutton planen auch die gewünschte Mischnutzung der Immobilie. Im 30 Meter hohen Sockelbau befinden sich in den ersten drei Geschossen Flächen für Einzelhandel, Gastronomie und Co-Working-Spaces, in den fünf Geschossen darüber Wohnungen. Der Turm ist vorwiegend mit Büronutzung belegt.
"Das ist ja das große Thema: Wie kriegen Sie das gebacken, wenn Sie jetzt in einem Hochhaus normale Mieter haben, also Wohnungsmieter, dann gleichzeitig eine repräsentative Büroetage?" Dann brauche es etwa getrennte Aufzüge. "Insofern bin ich mal gespannt, wie weit diese Aspekte umgesetzt werden können."
Matthias Sauerbruch ist zuversichtlich, dass das seinem Team gelingen wird. Und dass der Alexanderplatz in ein paar Jahren, wenn alle geplanten Hochhäuser fertig sind, eine sehr viel höhere Aufenthaltsqualität besitzt als heute.
Kein zweites Frankfurt am Main
Weil unbebaute Grundstücke in der Berliner Innenstadt knapp werden, wollen immer mehr Entwickler in die Höhe bauen, verdichten. So auch die Signa Holding, ein österreichisches Immobilien- und Handelsunternehmen, dem die Kaufhauskette Galeria Karstadt Kaufhof gehört. Auf dem Gelände von Karstadt am Kurfürstendamm direkt neben der Gedächtniskirche würde Signa am liebsten drei bis zu 150 Meter hohe Türme errichten. Die Senatsbaudirektorin lehnt das mit Hinweis auf die gründerzeitliche Struktur des Umfeldes ab. Jetzt haben Signa und der Berliner Senat jedoch eine "Nachverdichtung" mit "ein bis zwei Hochpunkten" vereinbart. Regula Lüscher gibt ihren Widerstand auf.
"In diesen Gesprächen war klar, dass man jetzt von der Traufhöhe her auch gewisse Abweichungen machen kann. Das sieht man auch dort: Im städtebaulichen Kontext gibt es gewisse Erhöhungen, eben so genannte Hochpunkte." Sie sehe da nicht wirklich einen Widerspruch, so Lüscher.
Ob Hochpunkte oder Hochhäuser - das Beispiel aus der City West zeigt: Es wird gerungen um jedes einzelne Bauprojekt. Eine durchgängige Skyline aus Wolkenkratzern wie in Frankfurt am Main wird es in Berlin so bald nicht geben.