Hochhäusler: "Ich glaube sehr an Zusammenarbeit"
"Ein Gegenüber zu haben, das man ja dann später im Kino auch hat, das ist auf jeden Fall hilfreich, zu erkennen, was eine Idee wert ist, wie sie klingt und so weiter", sagt Christoph Hochhäusler. Er hat zusammen mit Christoph Petzold und Dominik Graf das Filmprojekt "Dreileben" entwickelt: Drei Filme, drei Regisseure, ein Ort und ein lose verbindender Kriminalfall.
Ulrike Timm: "Dreileben", das sind drei Regisseure, drei Filme, ein Ausgangspunkt, die Geschichte eines entflohenen Sexualstraftäters zieht sich – mal mehr, mal weniger – durch alle Folgen, ebenso der Ort, Dreileben im Thüringer Wald nahe Oberhof. Als Zuschauer kann man alle Filme unabhängig voneinander verstehen, und wird doch zum Puzzlespieler, der die mal deutlich und mal ganz am Rande ausgelegten Fährten aufnimmt – das Mordmesser, das genauso gut zum Zwiebelschneiden taugt, die unterschiedlichen Sichtweisen auf die gleiche Szene und vor allem die völlig verschiedenen Geschichten und Handschriften, die dabei herausgekommen sind: einmal eine so zarte wie vergebliche Liebesgeschichte, zum Zweiten ein weinseliges Midlife-Trio, das sein Leben aufrollt, und zum Dritten die so wilde wie verzweifelte Flucht von Molesch, der entflohene Häftling, der sich eben durch die Episoden zieht. Zwei des Trios von "Dreileben" sind uns jetzt aus dem Berlinale-Studio zugeschaltet, Christian Petzold und Christoph Hochhäusler. Ich freue mich sehr, dass Sie da sind, hallo!
Christian Petzold: Hallo!
Christoph Hochhäusler: Hallo!
Timm: Ist alleine an einem guten Filmbuch werkeln vielleicht einfach ein zu einsames Geschäft?
Hochhäusler: Ich glaube, dass das dem Film immer gut tut, wenn man dialogisch arbeitet. Das heißt jetzt nicht, dass man immer mit drei Regisseuren und so weiter arbeiten sollte, aber ein Gegenüber zu haben, das man ja dann später im Kino auch hat, das ist auf jeden Fall hilfreich, zu erkennen, was eine Idee wert ist, wie sie klingt und so weiter. Also ich glaube sehr an Zusammenarbeit, nicht nur in diesem Kontext.
Petzold: Ja, wir hatten ja schon eine theoretische Zusammenarbeit zuvor: Wir haben also einen Briefwechsel gemacht über unsere Situationen und die Situation des Kinos in Deutschland, und das hat so viel Spaß gemacht, wir haben also im Grunde genommen Leidenschaften ausgetauscht, dass wir gedacht haben, dass man das ja auch vielleicht mal ... so Filme machen könnte und aus dieser Einsamkeit ein bisschen herauskommt. Man ist ja nicht einsam beim Filmemachen, weil sehr viele Leute um einen herum sind, die das Geld gegeben haben oder andere Dinge auch. Aber diese Gemeinsamkeit, die wir hier bei den Dreharbeiten erfahren haben, war eine völlig neue.
Timm: Herr Hochhäusler, der Krimi zieht sich mal mehr, mal weniger durch, verschwindet auch unterwegs fast gänzlich. Trotzdem: Warum sollte der rote Faden der Geschichte ein Krimi sein? Macht das am meisten Spaß?
Hochhäusler: Nein, die Idee war eher erst mal einer gemeinsamen Landschaft und dann die Frage, was die Zeit, diese gemeinsame Zeit von drei Geschichten aufladen könnte. Und da hatte Christian die Idee: Könnte es nicht sein, dass es eines dieser Sommerlöcher ist, das zusammengehalten wird von Projektionen, von Ängsten, ausgelöst von einer Flucht? Das war so eine der ersten Ideen, und darauf aufbauend haben wir dann gesagt, okay, welche Geschichte könnte ich erzählen, welche könntest du erzählen und so weiter, und ich habe dann die Geschichte des Flüchtigen sozusagen ergriffen, und für mich ist es aber weniger ein Krimi als ein Porträtfilm. Es sind zwei Männer in meinem Film, beide in der Krise auf eine Art, und es ist zwar einer der Jäger und der andere der Gejagte, aber trotzdem geht es nicht so sehr um die Mechanik dieses Kriminalplots.
Timm: Stimmt, trotzdem ist das ja der kleine rote Faden, der sich durchzieht und der immer wieder aufgenommen wird. Herr Petzold, Ort ist der Thüringer Wald, und dieser Thüringer Wald spielt gerade auch in Ihren beiden Filmen, in dem von Christian Petzold und in dem von Christoph Hochhäusler, der spielt wirklich mit. Was macht diesen Wald so ergiebig für "Dreileben"?
Petzold: Also ich hole mal ein bisschen weiter aus, ich wollte nämlich noch zu der anderen Frage noch was sagen. Ich bin in den 60er-Jahren in der Nähe von Wuppertal großgeworden, und in der Zeit war die Hatz beziehungsweise die Jagd auf Jürgen Bartsch, den Kindermörder. Und ich habe diese Zeit so als Kleinkind erlebt, und plötzlich war das so, dass wir nicht mehr raus durften, plötzlich war die Normalität der Reihenhaussiedlung mit Jägerzäunen nicht mehr eine, die einem Schutz und Sicherheit bot, sondern alles war infrage gestellt, und in der Zeit ... zum Beispiel unsere Nachbarin ist dann mit einem Vertreter für Solo-Konfitüren durchgebrannt und es sind Liebesgeschichten passiert, Verzweiflungsgeschichten passiert, und ich dachte oder wir dachten, dass eine Kriminalgeschichte der Normalität oder dem alltäglichen Leben einen Druck verpasst, der überhaupt es wert ist, dass man Geschichten erzählt oder drei Geschichten da abfallen. Der Thüringer Wald war im Grunde genommen gar nicht zuerst bei uns auf der Liste. Der Dominik, der hatte sehr viele Mythen des Spreewalds gelesen über die Irrlichter im Spreewald, und wir dachten, wir könnten unsere Geschichten im Spreewald drehen. Und dann ist ... Der Spreewald sieht aber ein bisschen aus wie eine Minigolfanlage, muss man wirklich sagen, und es ist auch ein bisschen auserzählt in den letzten Jahren. Und ich erinnerte mich, dass ... Meine Eltern stammen aus Thüringen und ich habe da meine Kindheit, die Sommerurlaube verbracht, dass das ein unglaublich aufgeladenes, mythisches, schwarzes, armes und mit unfassbar vielen Schichten bedecktes Land ist, und habe das dem Christoph und dem Dominik vorgeschlagen, und wir haben dann sehr viele Reisen dorthin gemacht, und im Grunde genommen einen Schauplatz entdeckt.
Hochhäusler: Und es gab auch am Anfang, bevor es einen realen Ort gab, eine Verabredung, eine gezeichnete Landkarte eines fiktiven Ortes, den wir sozusagen dann finden mussten. Und in diesem fiktiven Ort, den wir eben "Dreileben" genannt haben, gab es einen Berg und Wälder und eine große Autobahn und ein Hotel und ein Krankenhaus und diese Dinge, auf die wir uns verständigt hatten, und das mussten wir dann sozusagen in der Realität wiederfinden. Und Thüringen war für mich da wirklich ein Geschenk, weil es so reich ist an Spuren, auch an offenen Wunden, wenn man so will. Man sieht wirklich diverse gescheiterte Projekte der deutschen Geschichte, die da noch anwesend sind, und gleichzeitig eben diese wirklich überwältigende Landschaft. Also es ist großartig da.
Timm: Deutschlandradio Kultur, das "Radiofeuilleton", Christian Petzold und Christoph Hochhäusler sind uns aus unserem Berlinale-Studio zugeschaltet, zwei der Regisseure von "Dreileben". Und es sind ja drei ganz verschiedene Handschriften, die den Reiz dieser Produktion ausmachen. Der Wald zum Beispiel spielt bei Ihnen beiden richtig mit, in Dominik Grafs Film bleibt er eher Kulisse. Dessen Textbuch dürfte aber zwanzig Mal so dick sein wie das von Christian Petzold, bei dem wird nämlich kaum gesprochen. Kurzum: Jeder bleibt ganz bei seiner Eigenart als Filmemacher. Ich fand das sehr faszinierend. Trotzdem: Wenn man so gemeinsam arbeitet, gehen da bei aller Verschiedenheit kreative Energien hinrück, guckt man sich voneinander was ab oder ärgert man sich auch mal kräftig übereinander?
Petzold: Bei diesem Projekt ist es so: Uns war irgendwann klar, das wird jetzt hier keine Serie, wo ein head of ceremony einfach bestimmt, wie die aussehen soll, noch ist es ein Film, der einfach nur drei verschiedene Perspektiven auf ein- und dasselbe Geschehen wirft, sondern wir wollten uns ein Tal teilen, eine Stadt teilen, eine Woche, eine Ausnahmewoche in einer kleinen Stadt teilen, und dann haben wir uns doch sehr auf uns selber zurückgezogen. Das war dann ganz interessant, als wir dann die ersten Ausschnitte aus den Filmen der anderen gesehen haben, die sich ja an denselben Orten aufgehalten haben, wie die ihre Kameras platziert haben oder ihre Geschichten oder ihre Erzählungen dort platziert haben. Also wir sind uns eigentlich von dem Moment an, wo es sicher war, dass wir drehen, uns eigentlich nicht mehr begegnet.
Hochhäusler: Oder sagen wir mal, es gab schon noch Berührungspunkte, es gab zum Beispiel jetzt, wenn ein Schauspieler zum Film des anderen wechseln wollte, sollte, Absprachen über das Kostüm und solche Dinge, das natürlich. Aber es stimmt: Jedes Projekt hat eine Dynamik gewonnen, die sehr stark dann auch für sich war. Es geht vielleicht auch nicht anders.
Timm: Ist denn das nun ein gemeinsamer Großfilm oder ein nachbarschaftlicher Großfilm?
Petzold: Ein nachbarschaftlicher Großfilm. Ich habe mir immer vorgestellt, ich würde ins Kino gehen und würde von drei Regisseuren einen Film sehen, der zum Beispiel an der Golden Gate Bridge spielt, und die drei Handlungen haben vielleicht gar nicht viel miteinander zu tun, und trotzdem sind sie eine Auseinandersetzung mit einer Stadt oder mit einer Zeit, und ich würde das an einem Nachmittag sehen – ich glaube, dass es einer der glücklichsten Kinonachmittage wäre. Und sowas Ähnliches wollten wir auch machen.
Hochhäusler: Es ist auf jeden Fall ... also Großfilm ist auch ein Wort, das ich seltsam finde, aber es geht auf jeden Fall um Nachbarschaft. Christian hat mal den Begriff geprägt, "Nachbarschaft ohne Jägerzaun", also man kann rübergehen und das Kleinkind von dem einen läuft auch mal zum Garten des anderen, so, das ist schon wirklich ideal (Anm. d. Red.: schwer verständlich).
Petzold: Wir hatten früher in der Siedlung bei Wuppertal, wo ich großgeworden bin, also dieser Jürgen-Bartsch-Siedlung kann man die ja nennen, das waren so von holländischen Architekten gebaute Reihenhäuser, und der hatte vorgehabt, dass es da hinten keine parzellierten Grundstücke gibt, also kleine Privatgrundstücke, sondern dass da ein großer Park hinter den Reihenhäusern ist, wo dann alle über eine Treppe über die Terrasse runtergehen können, miteinander spielen, Fußball, Badminton, was weiß ich. Das erste, was diese Deutschen dort gemacht haben, meine Eltern inbegriffen, war Zäune ziehen, Jägerzäune, so hoch es nur irgendwie geht, als ob das da zum Kalten Krieg gekommen ist. Und das dachte ich mir: So ähnlich möchte ich nie Filme machen. So sieht es ein bisschen in Deutschland aus, die Jägerzäune beherrschen unser Bild noch ein wenig, aber es wäre viel, viel schöner, wenn man seine Terrasse runtergehen könnte und gemeinsam, in einem gemeinsamen öffentlichen Raum seine Arbeit macht.
Timm: "Dreileben", das nicht parzellierte Großprojekt von drei Regisseuren mit drei nachbarschaftlichen Filmen, ist gemacht fürs Fernsehen, für ein Fernsehen abseits des Mainstreams. Kriegen Sie denn für diese Geschichte einen gemeinsamen Termin, oder doch wenigstens drei Abende nacheinander, Herr Petzold?
Petzold: Ich glaube, also das ist ein bisschen Diskussion, ich bin da nicht so involviert, es besteht die Hoffnung, dass die alle an einem Abend laufen, hintereinander in der ARD, und das fände ich ja mal sowas Ähnliches wie Apollo 11 nach zehn oder ein Boxkampf Zaire mit Muhammad Ali. Also ich finde, wenn das Fernsehen aus seiner Verslottung rauskommt und mal wieder was Besonderes macht, würde mich das schon begeistern, auch als Fernsehzuschauer, jetzt nicht nur als Regisseur.
Timm: Die Filme sind ja völlig unterschiedlich, in der Geschichte, im Tempo, im Blickwinkel, im Schauen. Wie war denn das, Ihr erster gemeinsamer Kinoabend zu dritt, die drei Filme nacheinander geguckt – wie war das, haben Sie übereinander gestaunt?
Hochhäusler: Also das Tolle ist ja, wir sitzen hier und wir haben die Filme immer noch nicht gesehen.
Timm: Das ist nicht wahr!
Hochhäusler: Ja! Wir hatten jetzt gerade vorgestern eine Pressevorführung, eine Presseprojektion, und da hätte die Möglichkeit bestanden, dass wir drei uns das irgendwie angucken, aber wir wollten auf die heutige Premiere, die wollten wir abwarten. Wir sitzen heute Abend nebeneinander im Delphi und schauen uns drei Filme an und haben uns da seit einem Jahr drauf gefreut, und das wird auch wunderschön werden.
Timm: Heute Abend sehen Sie es tatsächlich zum ersten Mal gemeinsam. Lampenfieber, nur Vorfreude, oder auch ein kleiner Schuss Angst?
Hochhäusler: Ich habe Lampenfieber und kann manchmal dieses Fieber nicht von Angst unterscheiden.
Petzold: Ja, ich bin mehr davon in Anspruch genommen, dass ich bald noch mal Vater werde und es könnte jederzeit passieren, insofern ist das so ein bisschen überlagert. Aber ich freue mich!
Timm: Zwei Regisseure von "Dreileben" waren unsere Gäste, Christian Petzold und Christoph Hochhäusler. Dominik Graf, den Dritten, den denken wir uns jetzt dazu. Vielen herzlichen Dank für Ihren Besuch im Studio!
Petzold: Danke!
Hochhäusler: Gerne!
Timm: Und viel Erfolg damit!
Petzold: Danke, tschüss!
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Christian Petzold: Hallo!
Christoph Hochhäusler: Hallo!
Timm: Ist alleine an einem guten Filmbuch werkeln vielleicht einfach ein zu einsames Geschäft?
Hochhäusler: Ich glaube, dass das dem Film immer gut tut, wenn man dialogisch arbeitet. Das heißt jetzt nicht, dass man immer mit drei Regisseuren und so weiter arbeiten sollte, aber ein Gegenüber zu haben, das man ja dann später im Kino auch hat, das ist auf jeden Fall hilfreich, zu erkennen, was eine Idee wert ist, wie sie klingt und so weiter. Also ich glaube sehr an Zusammenarbeit, nicht nur in diesem Kontext.
Petzold: Ja, wir hatten ja schon eine theoretische Zusammenarbeit zuvor: Wir haben also einen Briefwechsel gemacht über unsere Situationen und die Situation des Kinos in Deutschland, und das hat so viel Spaß gemacht, wir haben also im Grunde genommen Leidenschaften ausgetauscht, dass wir gedacht haben, dass man das ja auch vielleicht mal ... so Filme machen könnte und aus dieser Einsamkeit ein bisschen herauskommt. Man ist ja nicht einsam beim Filmemachen, weil sehr viele Leute um einen herum sind, die das Geld gegeben haben oder andere Dinge auch. Aber diese Gemeinsamkeit, die wir hier bei den Dreharbeiten erfahren haben, war eine völlig neue.
Timm: Herr Hochhäusler, der Krimi zieht sich mal mehr, mal weniger durch, verschwindet auch unterwegs fast gänzlich. Trotzdem: Warum sollte der rote Faden der Geschichte ein Krimi sein? Macht das am meisten Spaß?
Hochhäusler: Nein, die Idee war eher erst mal einer gemeinsamen Landschaft und dann die Frage, was die Zeit, diese gemeinsame Zeit von drei Geschichten aufladen könnte. Und da hatte Christian die Idee: Könnte es nicht sein, dass es eines dieser Sommerlöcher ist, das zusammengehalten wird von Projektionen, von Ängsten, ausgelöst von einer Flucht? Das war so eine der ersten Ideen, und darauf aufbauend haben wir dann gesagt, okay, welche Geschichte könnte ich erzählen, welche könntest du erzählen und so weiter, und ich habe dann die Geschichte des Flüchtigen sozusagen ergriffen, und für mich ist es aber weniger ein Krimi als ein Porträtfilm. Es sind zwei Männer in meinem Film, beide in der Krise auf eine Art, und es ist zwar einer der Jäger und der andere der Gejagte, aber trotzdem geht es nicht so sehr um die Mechanik dieses Kriminalplots.
Timm: Stimmt, trotzdem ist das ja der kleine rote Faden, der sich durchzieht und der immer wieder aufgenommen wird. Herr Petzold, Ort ist der Thüringer Wald, und dieser Thüringer Wald spielt gerade auch in Ihren beiden Filmen, in dem von Christian Petzold und in dem von Christoph Hochhäusler, der spielt wirklich mit. Was macht diesen Wald so ergiebig für "Dreileben"?
Petzold: Also ich hole mal ein bisschen weiter aus, ich wollte nämlich noch zu der anderen Frage noch was sagen. Ich bin in den 60er-Jahren in der Nähe von Wuppertal großgeworden, und in der Zeit war die Hatz beziehungsweise die Jagd auf Jürgen Bartsch, den Kindermörder. Und ich habe diese Zeit so als Kleinkind erlebt, und plötzlich war das so, dass wir nicht mehr raus durften, plötzlich war die Normalität der Reihenhaussiedlung mit Jägerzäunen nicht mehr eine, die einem Schutz und Sicherheit bot, sondern alles war infrage gestellt, und in der Zeit ... zum Beispiel unsere Nachbarin ist dann mit einem Vertreter für Solo-Konfitüren durchgebrannt und es sind Liebesgeschichten passiert, Verzweiflungsgeschichten passiert, und ich dachte oder wir dachten, dass eine Kriminalgeschichte der Normalität oder dem alltäglichen Leben einen Druck verpasst, der überhaupt es wert ist, dass man Geschichten erzählt oder drei Geschichten da abfallen. Der Thüringer Wald war im Grunde genommen gar nicht zuerst bei uns auf der Liste. Der Dominik, der hatte sehr viele Mythen des Spreewalds gelesen über die Irrlichter im Spreewald, und wir dachten, wir könnten unsere Geschichten im Spreewald drehen. Und dann ist ... Der Spreewald sieht aber ein bisschen aus wie eine Minigolfanlage, muss man wirklich sagen, und es ist auch ein bisschen auserzählt in den letzten Jahren. Und ich erinnerte mich, dass ... Meine Eltern stammen aus Thüringen und ich habe da meine Kindheit, die Sommerurlaube verbracht, dass das ein unglaublich aufgeladenes, mythisches, schwarzes, armes und mit unfassbar vielen Schichten bedecktes Land ist, und habe das dem Christoph und dem Dominik vorgeschlagen, und wir haben dann sehr viele Reisen dorthin gemacht, und im Grunde genommen einen Schauplatz entdeckt.
Hochhäusler: Und es gab auch am Anfang, bevor es einen realen Ort gab, eine Verabredung, eine gezeichnete Landkarte eines fiktiven Ortes, den wir sozusagen dann finden mussten. Und in diesem fiktiven Ort, den wir eben "Dreileben" genannt haben, gab es einen Berg und Wälder und eine große Autobahn und ein Hotel und ein Krankenhaus und diese Dinge, auf die wir uns verständigt hatten, und das mussten wir dann sozusagen in der Realität wiederfinden. Und Thüringen war für mich da wirklich ein Geschenk, weil es so reich ist an Spuren, auch an offenen Wunden, wenn man so will. Man sieht wirklich diverse gescheiterte Projekte der deutschen Geschichte, die da noch anwesend sind, und gleichzeitig eben diese wirklich überwältigende Landschaft. Also es ist großartig da.
Timm: Deutschlandradio Kultur, das "Radiofeuilleton", Christian Petzold und Christoph Hochhäusler sind uns aus unserem Berlinale-Studio zugeschaltet, zwei der Regisseure von "Dreileben". Und es sind ja drei ganz verschiedene Handschriften, die den Reiz dieser Produktion ausmachen. Der Wald zum Beispiel spielt bei Ihnen beiden richtig mit, in Dominik Grafs Film bleibt er eher Kulisse. Dessen Textbuch dürfte aber zwanzig Mal so dick sein wie das von Christian Petzold, bei dem wird nämlich kaum gesprochen. Kurzum: Jeder bleibt ganz bei seiner Eigenart als Filmemacher. Ich fand das sehr faszinierend. Trotzdem: Wenn man so gemeinsam arbeitet, gehen da bei aller Verschiedenheit kreative Energien hinrück, guckt man sich voneinander was ab oder ärgert man sich auch mal kräftig übereinander?
Petzold: Bei diesem Projekt ist es so: Uns war irgendwann klar, das wird jetzt hier keine Serie, wo ein head of ceremony einfach bestimmt, wie die aussehen soll, noch ist es ein Film, der einfach nur drei verschiedene Perspektiven auf ein- und dasselbe Geschehen wirft, sondern wir wollten uns ein Tal teilen, eine Stadt teilen, eine Woche, eine Ausnahmewoche in einer kleinen Stadt teilen, und dann haben wir uns doch sehr auf uns selber zurückgezogen. Das war dann ganz interessant, als wir dann die ersten Ausschnitte aus den Filmen der anderen gesehen haben, die sich ja an denselben Orten aufgehalten haben, wie die ihre Kameras platziert haben oder ihre Geschichten oder ihre Erzählungen dort platziert haben. Also wir sind uns eigentlich von dem Moment an, wo es sicher war, dass wir drehen, uns eigentlich nicht mehr begegnet.
Hochhäusler: Oder sagen wir mal, es gab schon noch Berührungspunkte, es gab zum Beispiel jetzt, wenn ein Schauspieler zum Film des anderen wechseln wollte, sollte, Absprachen über das Kostüm und solche Dinge, das natürlich. Aber es stimmt: Jedes Projekt hat eine Dynamik gewonnen, die sehr stark dann auch für sich war. Es geht vielleicht auch nicht anders.
Timm: Ist denn das nun ein gemeinsamer Großfilm oder ein nachbarschaftlicher Großfilm?
Petzold: Ein nachbarschaftlicher Großfilm. Ich habe mir immer vorgestellt, ich würde ins Kino gehen und würde von drei Regisseuren einen Film sehen, der zum Beispiel an der Golden Gate Bridge spielt, und die drei Handlungen haben vielleicht gar nicht viel miteinander zu tun, und trotzdem sind sie eine Auseinandersetzung mit einer Stadt oder mit einer Zeit, und ich würde das an einem Nachmittag sehen – ich glaube, dass es einer der glücklichsten Kinonachmittage wäre. Und sowas Ähnliches wollten wir auch machen.
Hochhäusler: Es ist auf jeden Fall ... also Großfilm ist auch ein Wort, das ich seltsam finde, aber es geht auf jeden Fall um Nachbarschaft. Christian hat mal den Begriff geprägt, "Nachbarschaft ohne Jägerzaun", also man kann rübergehen und das Kleinkind von dem einen läuft auch mal zum Garten des anderen, so, das ist schon wirklich ideal (Anm. d. Red.: schwer verständlich).
Petzold: Wir hatten früher in der Siedlung bei Wuppertal, wo ich großgeworden bin, also dieser Jürgen-Bartsch-Siedlung kann man die ja nennen, das waren so von holländischen Architekten gebaute Reihenhäuser, und der hatte vorgehabt, dass es da hinten keine parzellierten Grundstücke gibt, also kleine Privatgrundstücke, sondern dass da ein großer Park hinter den Reihenhäusern ist, wo dann alle über eine Treppe über die Terrasse runtergehen können, miteinander spielen, Fußball, Badminton, was weiß ich. Das erste, was diese Deutschen dort gemacht haben, meine Eltern inbegriffen, war Zäune ziehen, Jägerzäune, so hoch es nur irgendwie geht, als ob das da zum Kalten Krieg gekommen ist. Und das dachte ich mir: So ähnlich möchte ich nie Filme machen. So sieht es ein bisschen in Deutschland aus, die Jägerzäune beherrschen unser Bild noch ein wenig, aber es wäre viel, viel schöner, wenn man seine Terrasse runtergehen könnte und gemeinsam, in einem gemeinsamen öffentlichen Raum seine Arbeit macht.
Timm: "Dreileben", das nicht parzellierte Großprojekt von drei Regisseuren mit drei nachbarschaftlichen Filmen, ist gemacht fürs Fernsehen, für ein Fernsehen abseits des Mainstreams. Kriegen Sie denn für diese Geschichte einen gemeinsamen Termin, oder doch wenigstens drei Abende nacheinander, Herr Petzold?
Petzold: Ich glaube, also das ist ein bisschen Diskussion, ich bin da nicht so involviert, es besteht die Hoffnung, dass die alle an einem Abend laufen, hintereinander in der ARD, und das fände ich ja mal sowas Ähnliches wie Apollo 11 nach zehn oder ein Boxkampf Zaire mit Muhammad Ali. Also ich finde, wenn das Fernsehen aus seiner Verslottung rauskommt und mal wieder was Besonderes macht, würde mich das schon begeistern, auch als Fernsehzuschauer, jetzt nicht nur als Regisseur.
Timm: Die Filme sind ja völlig unterschiedlich, in der Geschichte, im Tempo, im Blickwinkel, im Schauen. Wie war denn das, Ihr erster gemeinsamer Kinoabend zu dritt, die drei Filme nacheinander geguckt – wie war das, haben Sie übereinander gestaunt?
Hochhäusler: Also das Tolle ist ja, wir sitzen hier und wir haben die Filme immer noch nicht gesehen.
Timm: Das ist nicht wahr!
Hochhäusler: Ja! Wir hatten jetzt gerade vorgestern eine Pressevorführung, eine Presseprojektion, und da hätte die Möglichkeit bestanden, dass wir drei uns das irgendwie angucken, aber wir wollten auf die heutige Premiere, die wollten wir abwarten. Wir sitzen heute Abend nebeneinander im Delphi und schauen uns drei Filme an und haben uns da seit einem Jahr drauf gefreut, und das wird auch wunderschön werden.
Timm: Heute Abend sehen Sie es tatsächlich zum ersten Mal gemeinsam. Lampenfieber, nur Vorfreude, oder auch ein kleiner Schuss Angst?
Hochhäusler: Ich habe Lampenfieber und kann manchmal dieses Fieber nicht von Angst unterscheiden.
Petzold: Ja, ich bin mehr davon in Anspruch genommen, dass ich bald noch mal Vater werde und es könnte jederzeit passieren, insofern ist das so ein bisschen überlagert. Aber ich freue mich!
Timm: Zwei Regisseure von "Dreileben" waren unsere Gäste, Christian Petzold und Christoph Hochhäusler. Dominik Graf, den Dritten, den denken wir uns jetzt dazu. Vielen herzlichen Dank für Ihren Besuch im Studio!
Petzold: Danke!
Hochhäusler: Gerne!
Timm: Und viel Erfolg damit!
Petzold: Danke, tschüss!
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