"Hochschulen brauchen eine Planungssicherheit"

Svenja Schulze im Gespräch mit Nana Brink |
In NRW gehe man davon aus, dass über 50 Prozent mehr Studierende als erwartet an die Hochschulen kämen, sagt die nordrhein-westfälische Wissenschaftsministerin Schulze (SPD). Jetzt müsse die Vereinbarung stehen, dass Bund und Land die Mehrkosten gemeinsam finanzieren.
Nana Brink: Es macht derzeit keinen Spaß, Student in Deutschland zu sein: Entweder drückt man sich mit Hunderten Kommilitonen auf den Stufen des Hörsaals herum, oder - schlimmer noch - man bekommt gar keinen Studienplatz. Noch nie haben so viele junge Menschen studiert wie im letzten Wintersemester, 2,38 Millionen, Rekordzahl! Woran das liegt? Doppelte Abiturjahrgänge, Aussetzung der Wehrpflicht und der Trend zur akademischen Ausbildung. Und das geht weiter: Nach den jüngsten Prognosen der Kultusministerkonferenz werden 2025 jedes Jahr über 400.000 neue Studenten an die Hochschulen strömen.

Hurra, können wir da rufen, das Land braucht dringend gut ausgebildete, hoch ausgebildete Menschen! Wenn, ja, wenn das nicht zu teuer wäre. Und am Telefon begrüße ich jetzt die SPD-Politikerin Svenja Schulze, sie ist Ministerin für Innovation, Wissenschaft und Forschung in Nordrhein-Westfalen. Schönen guten Morgen, Frau Schulze!

Svenja Schulze: Ja, guten Morgen, Frau Brink!

Brink: Freuen Sie sich über das Interesse am Hochschulstudium?

Schulze: Ja, ich finde es sehr erfreulich, dass sich immer mehr Menschen für ein Studium entscheiden. Wir haben in Nordrhein-Westfalen, wir haben in Deutschland einen sehr hohen Fachkräftebedarf. Und deswegen ist das ein sehr positives Signal, dass so viele junge Menschen jetzt auch wirklich ein Studium aufnehmen wollen. Wir brauchen diese gut ausgebildeten Menschen, wir brauchen sie in der Wirtschaft, wir brauchen sie aber auch in der Wissenschaft.

Brink: Die Situation an den Hochschulen - ich habe es kurt geschildert - ist ja jetzt schon prekär und sie wird in den kommenden Jahren noch prekärer. Dann fehlen Zehntausende Studienplätze. Das wusste man nicht?

Schulze: Also, die Prognosen waren eben am Anfang andere. Die KMK hat nicht damit gerechnet, dass ...

Brink: ... also die Hochschul ... Kultusministerkonferenzen ...

Schulze: ... ja, die Kultusministerkonferenz, ganz genau, da gab es eine Prognose. Die haben nicht damit gerechnet, dass so viele junge Menschen jetzt wirklich auch an die Hochschulen gehen wollen. Das ist eben auch ein Erfolg, wie ich finde, sozialdemokratischer Politik. Wir haben da sehr für geworben und offensichtlich entscheiden sich auch mehr junge Menschen jetzt, zu studieren.

Brink: Das ist ja eine Blindheit gegenüber dem Problem, auch ein verheerendes Signal an die jungen Leute, nach dem Motto: Wir wollen euch gar nicht an den Unis?

Schulze: Doch, wir wollen die jungen Leute an den Hochschulen. Wir haben auch sehr viel dafür getan. Wir haben zum Beispiel in Nordrhein-Westfalen alleine zehn Milliarden Euro zusätzlich zur Verfügung. Das, was wir jetzt an neuen Plätzen schaffen, das ist drei Mal die Hochschule in Aachen zusätzlich dazu.

Also, wir machen schon sehr viel und die Hochschulen stellen sich auch darauf ein. Jetzt ist aber klar, man muss noch mal ... ja, im Ruhrgebiet würde man sagen, eine Schippe drauflegen.

Brink: Der Hochschulpakt zwischen Bund und Ländern, der ja bis 2020 läuft in mehreren Stufen, weist insgesamt 275.000 neue Studienplätze aus. Ist das zu wenig?

Schulze: Ja, das, was bisher vereinbart ist, ist deutlich zu wenig. Wir gehen in Nordrhein-Westfalen davon aus, dass wir über 50 Prozent mehr Studierende haben werden, als wir bisher erwartet haben. Das heißt ganz konkret, dass die Mittel des Hochschulpaktes aufgebraucht sein werden, wenn der doppelte Abiturjahrgang kommt.

Und ab da müssen wir in Nordrhein-Westfalen alleine finanzieren. Das geht nicht, das ist auch nicht gerecht für die Generationen, die danach kommen. Und deswegen müssen die Mittel im Hochschulpakt dringend erhöht werden.

Brink: Aber das wissen Sie doch auch nicht erst seit gestern, also, doppelte Abiturjahrgänge, Aussetzung der Wehrpflicht. Gut, das war etwas, was kam, aber warum dann diese Blindheit, warum haben Sie nicht schon früher sozusagen den Finger gehoben?

Schulze: Na ja, der Pakt läuft ja jetzt erst mal noch bis 2015. Das heißt, wir müssen jetzt darüber verhandeln, dass er eben weiter aufgestockt wird. Wir haben auch frühzeitig die Finger gehoben, ich habe von Anfang an, seitdem ich das Amt angetreten habe, gesagt, dass wir da mehr machen müssen, dass wir diejenigen, die dazukommen, dass wir auch für die eine sichere Finanzierung brauchen.

Weil, die Hochschulen brauchen eine Planungssicherheit, die können nicht einfach aus dem Stand neue Studienplätze schaffen, sondern die brauchen auch eine gewisse Sicherheit. Die müssen das Personal einstellen, da wollen wir auch, dass sie es nicht befristet einstellen, sondern wirklich dauerhaft einstellen. Also, da muss man sich drauf einrichten können und deswegen müssen wir jetzt für die Zeit nach 2015 planen.

Brink: Sie müssen nachverhandeln mit dem Bund. Und zwar wo? Können wir das ein bisschen konkretisieren, um wie viel Geld geht es und wo geht es?

Schulze: Ja, also, die genauen Summen habe ich im Moment noch nicht, das wird jetzt gerade erst errechnet. Aber was man schon weiß, ist, dass die Anfängerzahlen deutlich höher werden. Das heißt, wir müssen sozusagen den Deckel, den wir bis jetzt drin haben, der muss auf jeden Fall weg, wir müssen die Laufzeit verlängern.

Wir wissen, dass der Studierendenandrang auch länger noch so hoch sein wird. Und was bis jetzt noch gar nicht verhandelt ist, das ist eine Master-Komponente. Wir wissen, dass viele Studierende eben weiterstudieren wollen, da ist nach dem Bachelor nicht Schluss. Und für die brauchen wir eben dann auch zusätzliche Plätze an den Hochschulen und auch das muss nachverhandelt werden.

Brink: Aber es geht natürlich doch immer aufs Geld. Also, die SPD hat ja auch schon letztes Jahr im Bundestag eine Anfrage gestellt und hat eine Antwort bekommen von der Bundesregierung, da ging es genau um diesen Hochschulpakt: Eine baldige Überschreitung der im Hochschulpakt vereinbarten Obergrenzen ist nicht zu erwarten. - Das ist doch eine klare Aussage?

Schulze: Ja, aber das hat ja Frau Schavan auch schon wieder zurückgezogen. Sie hat in einem großen Interview gesagt, dass sie natürlich sieht, dass das Geld nicht reicht und dass man das nachverhandeln muss. Das ist allen klar, dass das Geld, was bisher in dem Hochschulpakt vereinbart ist, das kann nicht reichen.

Das ist von viel weniger Studierenden ausgegangen. Wenn jetzt wirklich noch mal in Nordrhein-Westfalen 50 Prozent mehr kommen, dann muss man auch mehr Geld an die Hochschulen geben.

Brink: Es ist die Summe von 1,3 Milliarden, diese Summe steht im Raum.

Schulze: Also, wahrscheinlich ist es sogar etwas mehr. Die Alternative dazu ist, wenn der Bund jetzt nicht mitfinanziert, die Alternative ist, dass die Länder das ganz alleine finanzieren müssen. Und das mit Blick auf die Schuldenbremse, das kann einfach nicht sein.

Das ist eine gemeinsame Verantwortung, die Bund und Land da haben, und der Bund darf sich nicht dann rausstehlen, wenn der doppelte Abiturjahrgang kommt. Jetzt kommen die vielen Studierenden und da muss die Vereinbarung, dass Bund und Land da gemeinsam finanzieren, muss diese Vereinbarung auch stehen.

Brink: Entscheidend ist ja auch - Sie haben es schon angedeutet -, dass die Master-Studienplätze fehlen. Da war man ja auch ein bisschen blind, weil man dachte, der Bachelor ist in der Wirtschaft schon anerkannt. Ist er aber nicht.

Schulze: Doch, der Bachelor ist in der Wirtschaft anerkannt, die jungen Leute kriegen auch in der Wirtschaft sehr gute Plätze. Aber viele junge Leute sagen eben, nein, ich will mich noch mal spezialisieren, ich will genau das tun, was mit Bachelor und Master jetzt möglich ist, noch mal vertiefend ein Studium dazu machen, einen Masterstudiengang. Fast 40 Prozent der Studierenden sagen, dass sie weiter studieren wollen. Und darauf muss man sich auf den Hochschulen einrichten. Wir brauchen auch diese Spezialisten, die dann diese Masterstudiengänge machen.

Brink: Nun ist das Lamento der Universitäten ja bekannt: Mehr Geld, wir brauchen mehr Geld, wir müssen sozusagen mehr Geld aufwenden für die Ausbildung und für die Studenten. Wie kann man denn die Universitäten motivieren, ihre Studenten dann auch effektiver, ja, sage ich jetzt mal, zu verwalten?

Schulze: Die Hochschulen verwalten ihre Studierenden, glaube ich, nicht, sondern es geht schon darum, mit hohem Engagement mit diesen jungen Leuten da wirklich auch Bildung zu vermitteln. Es geht darum, junge Wissenschaftler zu haben, junge Fachkräfte dann auch für die Wirtschaft wieder zu haben. In Nordrhein-Westfalen ist es so, dass die Hochschulen hier noch nie so viel Geld hatten wie jetzt.

Weil, wir haben mit ihnen eine Hochschulvereinbarung getroffen, das ist ganz wichtig, dass die Hochschulen Planungssicherheit haben, dass sie wissen, welche Finanzen stehen ihnen in den nächsten Jahren zur Verfügung. Wir haben das bis 2015 sogar zugesagt. Wir haben sehr viel Mittel jetzt für die Verbesserung der Qualität der Lehre, die da an die Hochschulen gehen, und wir haben ein Maßnahmenpaket für den doppelten Abiturjahrgang. Also, hier passiert schon eine ganze Menge. Nur, das kann kein Land alleine schaffen, was da jetzt an Herausforderung da ist.

Brink: Svenja Schulze, Ministerin für Innovation, Wissenschaft und Forschung in Nordrhein-Westfalen. Frau Schulze, schönen Dank für das Gespräch!

Schulze: Danke Ihnen auch!


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