Studenten wehren sich gegen freie Lehre
Immer öfter ziehen amerikanische Universitäten der freien Lehre Grenzen - meist auf Verlangen von Studenten, die vor unbequemen Ideen verschont bleiben wollen. Damit forderten diese nichts anderes als Zensur, kritisiert Sabina Matthay.
Fragt man Amerikaner nach der größten nationalen Errungenschaft, dann nennen viele die freie Meinung. Das Grundrecht wird in den USA weiter ausgelegt als anderswo, es schützt sogar Aussagen, die in vielen Ländern als Volksverhetzung strafbar wären. Dementsprechend robust fallen öffentliche Debatten aus.
Doch ausgerechnet amerikanische Universitäten ziehen der freien Lehre immer öfter Grenzen – und zwar meist auf Verlangen von Studenten. Sie möchten vor unbequemen Ideen verschont bleiben, fordern für sich je nach Bedarf einen höchst individuellen akademischen Verbraucherschutz.
Es ist nichts anderes als Zensur, was sie verlangen. Professoren und Hochschulen aber wehren sich nicht, sondern reichen die Hand dazu. Was umso erstaunlicher ist, als sie ansonsten gegenüber der Gesellschaft vehement ihre wissenschaftliche Freiheit verteidigen, sich ihrer Toleranz und Vielfalt brüsten, wenn es auf dem Campus um Rasse, Geschlecht und sexuelle Orientierung geht.
Mit sogenannten "trigger warnings" werden Studenten vorsorglich darauf aufmerksam gemacht, dass ein Aufsatz, ein Vortrag, eine Diskussion das Publikum verunsichern und verstören könnte.
Die intellektuelle Neugier bleibt auf der Strecke
Sollten Warnhinweise vor dem Hörsaal oder auf dem Lehrplan nicht verhindert haben, dass sich der studentische Nachwuchs leichtfertig einer Vorlesung aussetzt, die er inhaltlich nicht verkraftet, kann er aber immer noch in "safe spaces" flüchten, um sein Seelenheil bei sanfter Musik auf Kissen und Decken in zarten Farben mit Keksen und Videos von Hundewelpen wiederherzustellen.
Solche Studenten benehmen sich wie Kinder und werden auch so behandelt. Ihnen fehlen Hochschulreife und intellektuelle Neugier. Beides wurde wohl vernachlässigt, als Lehrer und Eltern sie auf den scharfen Wettbewerb im Beruf und Bildungswesen vorbereiteten.
Da hilft es nicht, dass ältere Semester zwischen Spott und Kritik an einer Generation von Sensibelchen schwanken. Die Jüngeren verschieben lieber das Erwachsensein, sind weder an der Unbill der Realität noch an unbequemen Standpunkten interessiert, ziehen Bequemlichkeit und Unmündigkeit vor.
Diese Selbst-Infantilisierung wird dazu noch von der Rechtslage unterstützt. Das hätten selbst Bürgerrechtler, die noch die turbulenten 60er und 70er erlebten, nicht erwartet. Denn weil sie durchgesetzt haben, dass Minderheiten nicht benachteiligt werden dürfen, müssen amerikanische Universitäten nunmehr darauf achten, dass Studenten keinen seelischen Schaden nehmen.
So haben sie auch Gastredner ausgeladen oder eine Ehrendoktorwürde zurückgenommen, weil studentische Opposition Vorbehalte anmeldete. Ex-Aussenministerin Condoleezza Rice und die Islamkritikerin Ayaan Hirsi Ali mussten diese Erfahrungen machen.
Universitäten untergraben ihren eigenen Exzellenzanspruch
Solche Einflussnahme ist schon nicht mehr persönlich präventiv gemeint, sondern hochpolitisch. Nicht anders übrigens als jene anonymen Blogs in Deutschland, in denen Hochschullehrer von Studenten bewertet oder gar angefeindet und denunziert werden.
Problematisch erscheint, dass in allen diesen Fällen die Kriterien nicht klar sind, nach denen die Lehrtätigkeit von Professoren beurteilt wird. Dort, wo Grundlagen empirischer Forschung und wissenschaftlicher Methoden vermittelt werden sollen, dominiert das Subjektive. Anstelle des offenen Disputs in Hörsaal und Seminarraum tritt die Attacke aus dunklem Hinterhalt, die sich selbst der Kritik entzieht.
So spielen amerikanische Universitäten den Gegnern akademischer Freiheit in die Hände und untergraben ihren eigenen Anspruch auf Exzellenz. Vor allem aber tragen ihre Absolventen einen Sieg davon, der dem Selbstverständnis der USA und ihren Idealen schweren Schaden zufügt.
Sabina Matthay, geboren 1961, studierte Angewandte Sprachwissenschaft in Saarbrücken - mit Abstechern nach Exeter in England und Urbino in Italien.
1990 Einstieg in den Hörfunk beim Deutschen Dienst des BBC World Service in London. Ihre Arbeitsschwerpunkte sind Politik, Geschichte, Gesellschaft Großbritanniens und seiner ehemaligen Kolonien und Mandatsgebiete. Auch nach der Rückkehr nach Deutschland und der Arbeit für verschiedene ARD-Sender ist sie dem Radio treu geblieben.