Hochschulen

Studieren in der Sardinenbüchse

Deutschlands Universitäten sind ausgelastet, darunter leidet die Lehre.
Deutschlands Universitäten sind ausgelastet, darunter leidet die Lehre. © picture-alliance / dpa / Thomas Frey
Von Verena Kemna |
Die Hörsäle überfüllt, die Dozenten überlastet: Viele Universitäten platzen aus allen Nähten. Darunter leidet die Qualität der Lehre. Doch es geht nicht nur um die Ausbildung der Studenten: Auch die Dozenten erwischt es. Wer nicht rechtzeitig eine Festanstellung ergattert, für den sieht es düster aus.
Zora Neumann steht vor einer Pinnwand im Universitätsgebäude, unter ihrem Arm klemmt eine dicke Rolle. Sie zieht ein dunkelviolettes Protestplakat heraus und klebt es in die Mitte: "Aktionstag Bildungsstreik, pleite und prekär" heißt es da in weißer Schrift. Erst seit zwei Semestern studiert die 21-Jährige Kultur- und Medienwissenschaften an der Berliner Humboldt-Universität, aber schon jetzt ist sie entsetzt über die Studienbedingungen, die ihr und ihren Kommilitonen zugemutet werden. Eines ihrer Seminare – Border Studies – kennt sie nur aus der Ferne.
"Das Seminar war oder ist so voll, dass die Leute auf dem Boden sitzen, dass die Leute auf den Tischen sitzen, dass wir die Tür offen haben und andere Studierende in den Gängen stehen und versuchen noch einen Blick nach drinnen zu erhaschen und wir da wirklich zu 80 Mann da sitzen und versuchen so ein Seminar zu haben. Horror, das macht überhaupt keinen Sinn und es wurden auch nicht weniger, weil das Thema so spannend ist."
Die Bachelor-Studentin klebt ein zweites Plakat an die gläserne Eingangstür, läuft vorbei an der Terrasse vor der Mensa, dem großen Innenhof. Wo im Moment Studierende in der Sonne sitzen, sich unterhalten oder lesen, werden die Protestaktionen stattfinden: Teach-Ins, Podiumsdiskussionen, Demos.
Unter der Woche bis 22 Uhr
Übervolle Hörsäle sind nur ein Problem, sagt Zora. Bei so vielen Teilnehmern können die Dozenten gar keine Hausarbeiten mehr abnehmen.
"Ich habe viele Dozierende, die auch Samstag und Sonntag immer an der Uni sind und auch unter der Woche bis 22 Uhr und selbst damit ist das dann kaum machbar und bezahlt wird es natürlich nicht."
Sie winkt, vor der Grimm-Bibliothek der Humboldt-Universität wartet Jasper Stange, Geschichtswissenschaftler im zweiten Semester. Der schlaksige Zwanzigjährige aus Hamburg hält seine Aktentasche unter dem Arm. Er will gleich in der neuen Bibliothek arbeiten, ob er einen der begehrten Plätze ergattern kann? Mit viel Glück, sagt er und grinst. Auch Jasper Stange wird protestieren am Aktionstag. Er ist wütend, er merkt es jeden Tag, dass den Hochschulen das Geld fehlt.
"Auch wenn man mal verwaltungstechnische Sachen machen muss, bis man im Studierenden-Service-Center an die Reihe kommt, kann es gut und gerne sein, dass man mal ein, zwei Stunden da sitzt und wartet, bis man dran kommt. Aber auch in der ganz normalen Lehre, gerade da. Ich saß zu Anfang des Semesters in einem Seminar, wo 60 Leute saßen und das war für 25 bestimmt."
Er wünscht sich eine grundsätzliche Debatte.
"Dass es in der Gesellschaft eine Debatte gibt, was bedeutet die Hochschule eigentlich für uns als Gesellschaft?"
Möglichst schnell für den Arbeitsmarkt ausgebildet zu werden, das kann es nicht sein, sagt Jasper Stange.
"Das ist nicht das, was ich mir unter einer Hochschule vorstelle, da geht es auch darum, dass man frei ist, zu entscheiden, wie lange man studieren kann und auch, dass die Lehrinhalte anders gesehen werden. Es gibt praktisch keine kritischen Seminare, keine kritischen Lehrinhalte, weil das keinen Platz in dieser verqueren unternehmerischen Logik hat."
Das Institut für Geschichtswissenschaften, einige Kilometer weiter. Professorin Gabriele Metzler, 46 Jahre alt, ist Vollblutakademikerin. Forschen, Drittmittel eintreiben, akademische Aufgaben, ihr Arbeitstag endet oft erst nach zwölf Stunden. Trotzdem nimmt sie sich die Zeit für ein Gespräch.
Das komplette System ist aus der Balance
An der Bürotür im fünften Stock eines Neubaus an der Friedrichstraße klebt ein Zeitungsartikel. "Danke, es reicht!" heißt es da. Der Brandbrief zur Berliner Hochschulpolitik trägt Gabriele Metzlers Unterschrift. In Berlin schafft man Studienplätze, indem man aufschreibt, dass es sie gibt, heißt es in dem Artikel. Gabriele Metzler lehnt sich zurück. Fest steht, dass eine gute Betreuung und Ausbildung der Studierenden bei ständig steigenden Zulassungszahlen unmöglich ist. Die Lehrenden stehen unter immensem Druck. Viele müssen bis zur Hälfte ihrer Etats aus Drittmitteln einwerben.
"Eigentlich ist das komplette System vollkommen aus der Balance geraten. Das Verhältnis zwischen Grundfinanzierung und Drittmittelfinanzierung stimmt nicht mehr. Da ist es fast egal, auf welche deutsche Universität sie schauen. Dahinter steckt ein ungeheurer Druck, einfach um den Laden am Laufen zu halten."
Auch die Situation der wissenschaftlichen Mitarbeiter bezeichnet die Hochschulprofessorin als prekär. Höchstens zwölf Jahre dürfen Zeitverträge verlängert werden. Wer es dann nicht geschafft hat, einen festen Vertrag zu ergattern, zählt zum akademischen Prekariat.
"Wir verschleißen hier ganze akademische Generationen, überlassen sie prekären Beschäftigungsverhältnissen, hier muss unbedingt etwas passieren."
Akademiker als Aufstocker – soll das die Zukunft des wissenschaftlichen Nachwuchses sein? Zwei Räume weiter sitzt Felix Schnell, 43 Jahre alt. Er vertritt den Dozenten, sitzt an dessen Schreibtisch. Der habilitierte Historiker hat einen Lehrauftrag auf Zeit. Die Hoffnung auf eine Professur hat er längst aufgegeben. Felix Schnell ist Privatdozent ohne berufliche Perspektive und ohne festes Einkommen. Immer wieder muss der Akademiker zum Jobcenter.
"Ich wechsle immer zwischen Vertretung und ALG I. Es können nicht alle zum Zuge kommen. Es ist nur bitter, sich zu überlegen, dass man selbst zu denjenigen gehört, die auf der Verliererseite stehen."