Petra Hinz ist halt kein Gatsby
Wie weit darf man sich selbst erschaffen? Die SPD-Politikerin Petra Hinz hat ein paar falsche Abschlüsse in ihre Biografie geschrieben. Dafür erntet sie heftige Kritik bis hin zu Hass. Dabei war sie weder gewalttätig noch hat sie Kinderpornos veröffentlicht. Philosoph David Lauer versucht sich den Furor zu erklären.
Warum eigentlich? Hinz hat weder Crystal Meth noch Nacktbilder von Kindern konsumiert. Sie hat sich lediglich eine Lebensgeschichte geschrieben, die zu der Person passte, als die sie sich sah. Und ist Biographie nicht immer bloß eine subjektive Konstruktion? Ist Hinz nicht eigentlich nur dem Ideal der freien, dichterischen Selbsterschaffung gefolgt, das Richard Rorty im Anschluss an Nietzsche und Emerson entworfen hat?
Sie hat niemanden geschädigt
Nun, natürlich nicht. Nicht einmal die exaltiertesten Vertreter der Theorie narrativer Identität wollen behaupten, man sei frei, sich selbst zu erschaffen, indem man sich sein Leben schlicht zusammenerfindet. Okay, vielleicht der zu späte Nietzsche. Die meisten anderen aber würden darauf bestehen, dass jede erzählte Identität zusammenstimmen muss mit den objektiven Lebensdaten dieses einen menschlichen Körpers in Raum und Zeit und dass sie sich an den entsprechenden Erzählungen anderer Personen zu bewähren hat.
Die erfundene Geschichte der Petra Hinz scheitert an beiden dieser Klippen. Trotzdem erklärt das nicht den Furor, mit dem Hinz verfolgt wird. Warum darf sie nicht wenigstens ein bisschen der kaum verhohlenen Bewunderung genießen, die dem legendären Postboten Gert Postel bis heute entgegenschlägt? Dieser hat über Jahrzehnte als Psychiater an deutschen Krankenhäusern praktiziert, ohne aufzufallen. Ist es wirklich eine kleinere Leistung, über zehn Jahre lang die zahllosen Juristinnen und Juristen im deutschen Parlament glauben zu lassen, man sei eine der ihren? Übrigens hat Hinz, anders als Postel, durch ihre bloß angemaßte Expertise niemanden konkret geschädigt oder gefährdet. Ihr Problem, so müssen wir daher vermuten, ist primär gar nicht ethischer, sondern ästhetischer Natur. Denn das Ideal der Selbsterschaffung ist ein ästhetisches. Das Subjekt wird zur Künstlerin, die ihr Leben zum Kunstwerk formt.
Felix Krull und Tom Ripley wurden bewundert
Das ist das Zeichen der großen, viel geliebten und bewunderten Hochstapler der Weltliteratur – Felix Krull, Tom Ripley, Jay Gatsby. Ihre Methoden: Illusion, Lügen und Schlimmeres. Ihre Motive: die Sucht nach Ruhm und Besitz – eines Vermögens, einer Identität, einer Frau. Ethisch fragwürdig, wenn nicht offen kriminell. Aber ihr Stil, oh, ihr Stil – ihr hinreißender Charme, ihre Tollkühnheit, ihre glänzende Rhetorik, ihre weltmännische Großzügigkeit, ihre rauschhafte Freiheit. So, ja so will die Welt betrogen werden, erobert, umgarnt, verführt. Dann verzeiht sie viel, sogar die Entlarvung ihrer eigenen Leichtgläubigkeit. Dazu hat es bei Petra Hinz einfach nicht gereicht. Sie ist in der SPD. Ortsverein Frohnhausen. Zu wenig Gatsby. In einer Stellungnahme ihres Anwaltes wird eilfertig klargestellt, sie sei nie rechtsberatend tätig gewesen. Schade eigentlich. Wir wagen die These: Sie hätte sich einfach mehr trauen sollen, dann stünde sie heute vielleicht besser da.