Hochwasser

Das Wasser ist weg, die Not bleibt

02.12.2013
Ein halbes Jahr nach dem verheerenden Hochwasser in Süd- und Ostdeutschland leiden die Menschen dort noch immer unter den psychischen und materiellen Folgen der Überschwemmungen, erklärt Martin Wessels von der Maltester-Hochwasserhilfe.
Korbinian Frenzel: Was bleibt nach einer Flut? Wenn das Wasser weg ist und auch die Kameras und Mikrofone, die jeden Wasserstand und auch so manche Träne eingefangen haben, von Betroffenen, von Flutopfern. Ein halbes Jahr nach der großen Flut in Mitteleuropa, die in Deutschland ja vor allem den Süden und den Osten getroffen hat, haben wir uns vorgenommen, ein Thema auch mal zu beleuchten, wenn es kein Thema ist. Wie geht es den Menschen dort? Wie viele Schäden sind schon beseitigt, was liegt noch im Argen? Fragen sind das, die uns der Leiter der Malteser Hochwasserhilfe Nordost beantworten kann. Martin Wessels ist jetzt in Magdeburg am Telefon. Guten Morgen!
Martin Wessels: Guten Morgen, Herr Frenzel!
Frenzel: Die Bilder damals waren ja verheerend, ganze Landstriche unter Wasser – sind die Spuren dieser Naturkatastrophe noch sichtbar?
Wessels: Ja, auf jeden Fall. Wenn man in die betroffenen Gebiete fährt, wird das sofort augenscheinlich. Natürlich in den verschiedenen Regionen ganz verschieden, aber zum Beispiel im bayerischen Deggendorf warten noch 150 Häuser darauf, abgerissen zu werden, sind nicht mehr bewohnbar. Das Wasser mit dem Öl ist in das Mauerwerk gezogen, und die ganzen Häuser müssen abgerissen werden. Aber auch in den Regionen des Ostens sind noch viele, viele Haushalte, also Häuser und Wohnungen, noch nicht wieder instandgesetzt worden. Das liegt teilweise am fehlenden Geld, teilweise aber auch eben an Handwerkern, die nicht so zur Verfügung stehen. Man muss sich natürlich vorstellen, wenn so viele Dinge getan werden müssen zu den normalen Aufträgen, die ein Handwerker eh hat, dann sind da die Termine auch eng. Von daher erleben wir noch in vielen Bereichen Häuser, die noch nicht instandgesetzt werden konnten.
Frenzel: Es gab damals das Versprechen schneller, unbürokratischer Hilfe vonseiten der Politik. Ist das eingelöst worden aus Ihrer Sicht?
Wessels: Die Politik hat, glaube ich, ihr Möglichstes getan. Natürlich ist nach einer solchen Katastrophe – viele Dinge sind neu, auch wenn sie schon mal vor elf Jahren erlebt wurden. Aber das muss sich einspielen, dass es da Reibungsverluste gibt, ist, glaube ich, ganz normal. Und dass aus Sicht der Betroffenen und vielleicht auch aus meiner Sicht als Hilfsorganisation, wir Malteser wollen den Menschen ja auch helfen, das es manchmal schneller und unbürokratischer gehen könnte, ist, glaube ich, klar, aber im Grundsatz sind wir da im guten Dialog miteinander, und ich glaube, dass man da auf einem guten Weg ist, zu helfen.
Frenzel: Was ist noch zu tun, wenn wir uns zunächst mal die materiellen Schäden anschauen?
Wessels: Na ja, was ich gesagt habe: Viele Häuser sind einfach noch nicht instandgesetzt. In einigen Bereichen sind die Anträge auf die staatliche Förderung, die ja bis zu 80 Prozent ist, noch nicht durch. Das ist eine Baustelle. Die andere Baustelle sind teilweise auch fehlende Handwerker, fehlende Heizungstechniker und so weiter. Da ist noch Einiges zu tun. Und wenn ein ganzes Haus abgerissen werden muss, bedarf das ja auch guter Planung, und da sind einfach noch Dinge zu tun.
Frenzel: Sie haben es angesprochen: 80 Prozent kann man erhalten vom Staat, bleiben 20 Prozent übrig an Eigenanteil. Das ist natürlich erst mal auf dem Papier nicht viel, aber dann ganz konkret vielleicht schon. Machen sie die Erfahrung, dass sich das manche nicht leisten können?
Wessels: Ja, es gibt – ich will nicht sagen, ein Großteil, aber es gibt viele Menschen, die sich das nicht leisten können. Man muss sich ja auch vorstellen, man hat vielleicht sogar noch einen laufenden Kredit auf das Haus. Das Hochwasser hat ja nicht auf die Abzahlung des Kredits gewartet, und so kann der 20-Prozent-Eigenanteil schon auch eine starke oder zu starke Belastung für Menschen sein. Weswegen wir eben auch besonders bedürftigen Menschen helfen wollen mit den Spendengeldern, die wir Malteser bekommen haben, dass wir diesen Eigenanteil mit übernehmen.
Frenzel: Wenn Dinge Schaden nehmen, dann kann man das reparieren, auch wenn es schwierig ist – Sie haben es ja gerade dargestellt. Aber wie sieht es mit den psychologischen Folgen einer solchen Flut aus. Ich hab die Tränen anfangs erwähnt, die wir ja häufig sehen konnten damals in den Berichten. Die sind wahrscheinlich getrocknet. Aber merken Sie im Umgang mit den Menschen, dass da was geblieben ist?
Wessels: Bei vielen Menschen ist etwas geblieben. Das geht über Einzelschicksale sogar hinaus. Aber die Einzelschicksale sind auch sehr bemerkenswert. Wir kommen in Familien, denen wir dann über die materielle Hilfe, indem wir Spendengelder geben, aber dann auch an tiefere Probleme kommen. Da sind vielleicht Familienproblematiken, die aufgebrochen sind während der Katastrophe. Nicht jeder rückt dann eng zusammen, es kann auch sein, dass Problematiken eben stärker werden. Sind das Süchte, sind das Familienprobleme, Trennungen stehen da im Raum – also, die Flut hat auch dafür gesorgt, dass viele Problematiken aufbrechen und besonders stark werden.
Aber auch Menschen, die evakuiert werden mussten oder die in eine Notunterkunft mussten, haben teilweise mit so einer Art traumatischen Erlebnissen zu kämpfen. Wir denken da immer besonders an ältere Menschen, die vielleicht auch einsam sind und nicht so viele soziale Kontakte haben. Und wenn dann plötzlich die Menschen kommen, die sie evakuieren müssen und in die Notunterkunft bringen, weil sie nicht zu Verwandten können, dann ist das schon ein traumatisches Erlebnis.
Und das ist natürlich nicht vorbei, wenn das Hochwasser wieder weg ist, sondern das bleibt. Und ich glaube, das ist auch eine wichtige Aufgabe, der wir Malteser uns auch annehmen wollen, dort zu helfen, mit psychologischer Beratung, aber vielleicht auch einfach mit dem Wiedererstarken von zivilgesellschaftlichem Engagement, also ehrenamtlichem Engagement. Einfach zu den Menschen hinzugehen, mit denen zu sprechen, sie zu begleiten. Das ist, glaube ich, auch noch eine wichtige Aufgabe, die vor uns liegt.
Frenzel: Da stellt sich die Frage, wenn eine solche Katastrophe passiert, dann sind viele Menschen bereit zu helfen, zu spenden. Gibt es auch Formen der Hilfe, die man danach noch leisten kann? Eine langfristige Hilfe?
Wessels: Ich glaube, das, was ich gerade versucht habe zu beschreiben. Zeit – den Menschen Zeit und ein Ohr zu leihen, das ist, glaube ich, ganz besonders wichtig. Also es war super, dass so viele Helfer, auch viele Malteser sind aus dem ganzen Bundesgebiet in die Region gekommen und haben mit den Sandsäcken geholfen. Aber jetzt geht es darum, die Nöte, die sozialen, die psychologischen Nöte einfach zu heilen. Und da kann Zeit spenden, ein Ohr stiften ein ganz großer Schritt sein. Von daher fänden wir es toll, wenn es wieder auch mehr dahin geht, dass man Nachbarschaftshilfe leistet, indem man den Menschen, denen es nicht gut geht nach der Flut, eben Zeit spendet.
Frenzel: Sechs Monate nach dem Jahrhunderthochwasser, wie die Folgen bewältigt sind, wie es den Menschen geht – davon erzählte uns Martin Wessels von der Malteser Hochwasserhilfe. Ich danke Ihnen für das Gespräch!
Wessels: Gerne, danke!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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