Wenn das Wasser alles schluckt
21:54 Minuten
Mal bringt der Klimawandel zu wenig, mal zu viel Wasser mit sich. In Kenia ist es eher zu viel. So hat der Baringo-See seine Fläche verdoppelt und breitet sich immer weiter aus. Für die Anwohner eine Katastrophe.
Die Sonne geht auf über dem Baringo-See in Kenia. Ziegen laufen ans Wasser, löschen ihren Durst und nehmen ein früh morgendliches Bad.
Ihr Hirte, ein Junge in kurzer Hose und löchrigem T-Shirt, setzt sich so lange auf einen Baumstamm ans Ufer. Etwas weiter hat sich eine Gruppe junger Männer mit Motorrädern versammelt.
Sie haben ein Handy laut gestellt und hören Musik. Jeder von ihnen hat große Kanister dabei.
"Ich hole Wasser für zu Hause. Dafür fahre ich sogar 20 Kilometer weit. Ich versorge meine Familie und wenn etwas übrig ist, verkaufe ich es an die Nachbarn", sagt Vincent Kiprop.
Der See ist für die Menschen in der Umgebung überlebenswichtig. Sie nutzen sein Wasser für ihr Vieh und für sich selbst.
Lange Jahre war ihre größte Sorge, dass der Baringo-See schrumpfen und sie nicht mehr versorgen könnte. Doch inzwischen fürchten sie nichts mehr, als dass er sich weiter ausbreitet. Denn in den vergangenen Monaten ist der See immer mehr über die Ufer getreten, erzählt ein alter Mann. Jetzt helfe nur noch beten, dass er nicht alles mit sich reißt.
Lange Jahre war ihre größte Sorge, dass der Baringo-See schrumpfen und sie nicht mehr versorgen könnte. Doch inzwischen fürchten sie nichts mehr, als dass er sich weiter ausbreitet. Denn in den vergangenen Monaten ist der See immer mehr über die Ufer getreten, erzählt ein alter Mann. Jetzt helfe nur noch beten, dass er nicht alles mit sich reißt.
Inzwischen steigt das Wasser nur noch
"Sonst gab es immer mal Überschwemmungen, aber die hielten nicht an. Inzwischen steigt das Wasser nur noch", Lekmart Barhalat.
Und es hat schon viel geschluckt. Das Ausmaß der Überflutungen lässt sich am besten vom Boot aus sehen.
Aus dem Wasser ragen schon nach wenigen Metern ein paar Häuser. Die Wellen tanzen um ihre Dächer. Der Rest von ihnen ist untergegangen, erklärt Titus Kangor von einer Umweltschutzgruppe am See.
"Unter dem Boot liegt ein Hotel. Es hatte 49 Zimmer und ein großes Restaurant. Der Besitzer konnte noch ein paar Sachen retten. Möbel und die ganze Ausstattung für die Küche. Denn das Wasser ist nicht plötzlich gekommen. Der Pegel steigt Tag für Tag."
Es ist nicht das einzige Hotel, das zerstört wurde. Die Region hat sonst viele Urlauber angelockt. Aber auch die Reste ganzer Dörfer sind im See versunken – samt Schulen und Kirchen.
"Selbst das Krankenhaus war hier. Es war in Nähe der Siedlungen gebaut worden, damit die Menschen leicht dorthin kamen. Jetzt haben wir nur noch ein Zelt, das uns das Rote Kreuz gespendet hat. Das ist jetzt unser Krankenhaus."
"Selbst das Krankenhaus war hier. Es war in Nähe der Siedlungen gebaut worden, damit die Menschen leicht dorthin kamen. Jetzt haben wir nur noch ein Zelt, das uns das Rote Kreuz gespendet hat. Das ist jetzt unser Krankenhaus."
Titus Kangor ist Mitte 30. Er wuchs am See auf, studierte dann als Erster in der Familie, um Naturschützer zu werden. Besonders gut kennt er sich mit Giraffen aus. Auch die gibt es am See. Und sie leiden wie die Menschen unter den Überschwemmungen.
Das Wasser steht selbst Giraffen bis zum Hals
Auf einer Insel im See sind rund ein Dutzend von ihnen gefangen. Früher war der kleine Hügel mit dem Festland verbunden – dann kam das Wasser und die Giraffen konnten nicht mehr zurück. Die Not hat sie ungewöhnlich zahm gemacht. Weil sie hier nicht genug zu fressen finden, lassen sie sich von Wildhütern füttern.
"Diese Art heißt Baringo-Giraffe oder auch Rothschild-Giraffe. Wir haben in Kenia viel weniger von ihnen als von den anderen Giraffen-Arten."
Deswegen sind die Ranger da, um die Giraffen zu schützen. Eine von ihnen hat es besonders hart erwischt. Sie hatte von Akazien-Bäumen gefressen, die auf einem flacheren Teil der Insel stehen. Doch dann wurde ihr Rückweg plötzlich von Wasser überspült, sagt Wildhüter Charles Lekapei.
"Sie blieb allein zurück. Es ist eine weibliche Giraffe. Inzwischen ist sie ziemlich gestresst. Manchmal versucht sie, ins Wasser zu gehen, um zu ihrer Herde zurückzukommen."
Doch das Wasser steht inzwischen selbst einer Giraffe bis zum Hals. Außerdem wäre so ein Ausflug gefährlich. Im Wasser sind Nilpferde und auch Krokodile. Die Ranger treiben die Giraffe darum immer wieder zurück.
Ihr einziger Freund in dieser Zeit ist ein Warzenschwein, das es ebenfalls nicht mehr von dem kleinen Inselstück herunter geschafft hat.
Das Warzenschwein folgt der Giraffe überall hin, erzählt ein anderer Wildhüter.
Unerwarteter Angriff beim Baden
Ein paar Tage später wird die Giraffe gerettet. Auf einem Floß, das extra für sie gebaut wurde. Auch der Rest der Herde wird so nach und nach von der Insel gebracht. Einige der weiblichen Tiere sind schwanger.
"Sie werden ihren Nachwuchs auf dem Festland bekommen. Dort gibt es viel Grün. Genug für sie zu fressen. Wahrscheinlich werden sie sich weiter vermehren."
Ein Happy End für die Giraffen. Den Menschen am See kann nicht so leicht geholfen werden.
Der zehnjährige Kevin geht an Krücken. Ihm fehlt der Unterschenkel des rechten Beins. Als er mit Freunden am See war, griff ihn ein Krokodil an. Seit das Wasser immer näher an die Dörfer schwappt, sind sie zu einer großen Gefahr geworden.
"Ich bin im See geschwommen. Als ich wieder rauskommen wollte, hat mich das Krokodil geschnappt. Es war so groß. Ich habe geschrien und zwei Leute sind gekommen und haben es vertrieben", sagt Kevin Nongonop.
Attacken von Wildtieren nehmen zu
Auf einem Motorrad wurde Kevin ins Krankenhaus gebracht. Ein Teil seines Beins war halb abgerissen. Es konnte nicht mehr gerettet werden, sagt Lehrer Christopher Lenongonop. Er hat sich seit dem Angriff um den Jungen gekümmert und seine Krankenhausrechnungen übernommen, weil die Familie sich das nicht leisten konnte.
"Sie haben ihn acht Stunden lang operiert. Die Ärzte wollten sein Bein retten, aber das war nicht mehr möglich. Es blieb nur die Amputation, sonst hätten wir ihn ganz verloren."
Obwohl das alles erst ein paar Monate her ist, kommt Kevin inzwischen gut mit seinen Krücken zurecht. Er schafft den Weg einen Hügel hoch schneller als seine Freunde.
"Ein Doktor hat mir das beigebracht. Er hat mich gestützt und so lange mit mir geübt, bis ich es konnte."
Kevin ist nicht das einzige Opfer von Krokodilangriffen in den vergangenen Monaten. Auch Nilpferde werden zu einer immer größeren Bedrohung, sagt Christopher Lenongonop.
"Sie waren immer schon da. Aber solche Angriffe gab es nur selten. Seit der See so angeschwollen ist, sind sie nicht mehr zu kontrollieren. Sowohl Krokodile als auch Nilpferde."
Attacken von Wildtieren sind ein neues Problem, mit dem die Menschen fertig werden müssen. Für viele ist aber schon das alltägliche Leben inzwischen eine Herausforderung.
Fast alles zerstört
In einer einfachen Hütte, etwa 50 Meter vom See entfernt. Rael Pkopus hat Wasser geholt, um damit Geschirr abzuspülen. Sie musste vor einigen Wochen umziehen. Seitdem funktioniert alles nur noch behelfsmäßig.
"Mein Haus ist überschwemmt worden. Es war schwer, etwas Neues zu finden. Fast alles ist zerstört worden."
Die Frau in den 50ern hat mehrere Kinder und Enkel. Insgesamt zehn von ihnen wohnen mit ihr in dem kleinen Haus, weil sie nichts anderes mehr gefunden haben. Rael Pkopus weiß nicht, wie es weitergehen soll.
"Alle Leute haben Angst. Das Wasser steigt ja immer weiter. Keiner weiß, ob es jemals aufhört. Wenn es hier ankommt, bleibt nichts mehr übrig, wo wir noch hinkönnen. Dann können wir nur noch wie Flüchtlinge in Zelten leben."
Für die Menschen sind die Überschwemmungen eine Katastrophe. Der See ist inzwischen um 100 Quadratkilometer gewachsen und ist jetzt halb so groß wie der Bodensee. Die meisten können sich diesen Zuwachs nicht so richtig erklären, meint Umweltschützer Titus Kangor.
Für die Menschen sind die Überschwemmungen eine Katastrophe. Der See ist inzwischen um 100 Quadratkilometer gewachsen und ist jetzt halb so groß wie der Bodensee. Die meisten können sich diesen Zuwachs nicht so richtig erklären, meint Umweltschützer Titus Kangor.
"Viele denken, es könne nur an einem Fluch liegen. Dass die Vorfahren ihnen nicht gut gesonnen sind."
Doch Wissenschaftler haben ganz andere Erklärungen. Professor Elias Maranga erforscht an der Egerton Universität in Kenia die Ursachen der Überschwemmungen. Für ihn steht fest:
"Es gibt nicht nur einen Faktor, der die Überflutungen der Seen im ostafrikanischen Grabenbruch erklären würde."
Das Problem der Abholzung
Andere Gewässer in der Region sind ähnlich stark betroffen wie der Baringo-See. Der Professor sagt: Das liegt zum einen an der Abholzung. Die Bevölkerung wächst – und damit werden auch mehr Lebensmittel verbraucht. In Kenia, wo es sowieso schon viele kleine Farmen gibt, entstehen noch mehr.
"Es steigt der Druck, dass immer mehr Nahrungsmittel produziert werden müssen. Wir hatten in Kenia große Wälder, die sehr wichtig für den Wasserkreislauf sind. Große Teile davon wurden gerodet, um Platz für landwirtschaftliche Felder zu machen", sagt Elias Maranga.
Außerdem werden Wälder zerstört, weil neues Bauland gebraucht wird oder weil die Menschen auf der Suche nach Brennholz sind. Dadurch ist der Boden rund um Flüsse, die in die Seen führen, nicht mehr so gefestigt.
"Unsere Städte wachsen immer mehr. Bäume werden gefällt, was schlecht für das Klima ist. Sie helfen sonst durch ihre Wurzeln mit, dass Regenwasser auch in tiefere Schichten eindringen kann. Und sie verhindern, dass die Oberfläche der Böden weggespült wird. Fehlt die Vegetation, kommt es zur Erosion."
Zur Regenzeit sind die Flüsse in Kenia inzwischen oft rotbraun vor Schlamm. Besonders in den vergangenen zwei Jahren, wo auch in sonst trockenen Monaten oft heftige Güsse vom Himmel kamen. Der Regen schwemmt Erde in die Seen und hebt diese quasi von unten an. Der Pegel steigt.
Die Verschiebung der Erdplatten verändert das Gesamtsystem
Ein anderer Grund hat mit den geologischen Besonderheiten der Region zu tun. Mehrere Erdplatten stoßen hier aneinander.
"Im ostafrikanischen Grabenbruch haben wir drei Erdplatten, die für die Formation des gesamten Systems verantwortlich sind. Das ist die arabische Platte, dann die afrikanische Platte und es bildet sich gerade noch eine weitere Platte heraus, die wir somalische Platte nennen. Diese Platten entfernen sich voneinander."
Ein Prozess, der sowieso stattgefunden hätte, jetzt aber nach Meinung des Professors durch den Klimawandel und Umweltprobleme sehr viel schneller abläuft.
"Wenn Berge abgetragen werden und Gletscher schmelzen, gelangt viel Wasser in die Ozeane. Dadurch bekommen sie mehr Gewicht. Das System muss sich wieder ins Gleichgewicht bringen. Wir sprechen von einer isostatischen Ausgleichsbewegung."
Was das für die Seen bedeutet, erklärt Anthony Wamalwa von einem staatlichen Unternehmen, das in der Nähe der Seen nach Erdwärme bohrt. Er sieht die Überflutungen schon lange mit Sorge.
"Weil sich die tektonischen Kräfte verändern, wird Wasser nach oben gedrückt. Es läuft dann von unten in die Seen."
Nicht weit vom Baringo-See liegt der Bogoria-See. Ein ähnlicher Name, aber eine ganz andere Art von Gewässer. Weil auch dieser See schon stark über die Ufer getreten ist, könnten beide bald zusammenfließen.
Gestörte Ökosysteme beeinflussen die Fauna
"Das Beunruhigende ist, dass der Bogoria-See salzig ist. Hier gibt es viele Flamingos. Im Baringo-See haben wir dagegen Fische. Wenn die beiden Seen zusammenlaufen, wird das Ökosystem gestört."
Am Bogoria-See hat sich ein großer Schwarm Flamingos niedergelassen. Ihre rosa und pinken Federn leuchten mit dem knallblau des Himmels um die Wette. Ein Bild, wie es Afrika-Touristen lieben. Aber die Vögel machen sich am See inzwischen rar, sagt Umweltschützer Titus Kangor. Die Bakterien und Algen, von denen sie sich ernähren, finden sie nur im seichten Wasser.
"Es kommen nur noch wenige. Denn der Wasserpegel ist gestiegen. Das bedeutet für die Flamingos, dass sie weniger zu essen finden als in früheren Jahren."
An einer Stelle am Ufer kommt kochend heißes Wasser aus dem Boden. Ein Zeichen für vulkanische Aktivitäten tief unter der Erde. Titus Kangor hat Eier mitgebracht, die er in einem Korb in dem Wasser gekocht hat.
"Wir lassen sie jetzt ein wenig abkühlen. Dann können wir sie pellen und essen. Salz brauchen wir nicht. Denn durch das Wasser sind sie schon salzig geworden."
Beim Imbiss in der Idylle zwischen Flamingos kommt der Umweltschützer ins Träumen. Vielleicht ist der Anstieg der Seen doch nicht endgültig.
Beim Imbiss in der Idylle zwischen Flamingos kommt der Umweltschützer ins Träumen. Vielleicht ist der Anstieg der Seen doch nicht endgültig.
"Wir hoffen, dass das Wasser wieder zurückgeht. Und dass eines Tages die Leute wieder dahin zurückkehren können, wo sie früher gewohnt haben."
Titus Kangor will selbst weiter daran mitarbeiten. Er geht in Schulen, um über Umweltzerstörung und die Folgen aufzuklären. Vielleicht gehe die nächste Generation dann verantwortlicher mit der Natur um. Nur werden sich die Seen in Kenia und ihre Tierwelt bis dahin wohl dauerhaft verändert haben.