Erfolge gegen den steigenden Meeresspiegel
160 Millionen Menschen knapp über dem Meeresspiegel: In Bangladesch hört der Kampf gegen Flut und Überschwemmungen nie auf. Dämme, Brücken und erhöhte Straßen sorgen für verbesserte Lebensbedingungen – und sollen die Zahl der Klimaflüchtlinge reduzieren.
Standortbestimmung durch Ingenieur Sayfuddin: Der schlanke Mittvierziger lehnt am Geländer einer schlichten Betonbrücke, zeigt auf eine Karte und weist mit den Armen mal auf die eine, dann wieder auf die andere Seite des träge einige Meter unter uns dahin fließenden Stroms. Wir stehen am Poirob, einem der zahllosen Flüsse, die wie ein engmaschiges Netz Bangladesch durchziehen, bis sie im Golf von Bengalen münden. Noch 100 Kilometer entfernt von der Küste wirken hier die Gezeiten – sechs Meter Differenz zwischen Ebbe und Flut, zweimal täglich. Bei Monsun legt der Fluss noch mal um 60 Zentimeter zu.
Riesiges Delta mit fruchtbaren Feldern
Bangladesch, halb so groß wie Deutschland, aber mit doppelt so vielen Menschen: 160 Millionen. Bangladesch, der am dichtesten besiedelte Flächenstaat der Welt – und flach wie das landestypische Chapati-Brot. Der Ganges und seine Nebenflüsse bilden ein riesiges Delta mit fruchtbaren Feldern und grünen Wäldern. Das Problem: Die Menschen sind nur unzureichend vor den Wassermassen geschützt, weiß Elma Morsheda. Sie plant für die Asiatische Entwicklungsbank den Hochwasserschutz in Bangladesch:
"Bangladesch ist durchzogen von vielen Flüssen, abhängig von Ebbe und Flut. Dazu kommt die Regenzeit. Sie dauert sechs bis neun Monate. Das bedeutet dauernd Überschwemmungen. Wir brauchen geeigneten Schutz und Drainage, um der Flut Herr zu werden und sie zu kanalisieren – Regen, Meer und Flusswasser."
Hochwasserschutz für Bangladesch – das ist eine gewaltige Aufgabe. Auch hier am Poirob in der 1,6-Millionen-Stadt Khulna muss etwas passieren, damit die Einwohner nicht zu Klimaflüchtlingen werden. Das liegt im Interesse vieler Länder – auch Deutschlands. Und so hat die Frankfurter KfW-Entwicklungsbank Sandra Soares da Silva zur Unterstützung nach Bangladesch entsandt. Sie steht auf einem Damm und blickt auf den Poirob, der sich gerade tief in sein Bett verkrochen hat und sich braun und träge dahin wälzt:
"Jedes Jahr, wenn der Monsun kommt und der Fluss anschwillt ist immer ein Stück Ufer und Straße verloren gegangen und das Wasser aus dem Fluss ist in den dahinter liegenden Slum gelaufen. Jetzt hat man jetzt eine Betonwand eingezogen, dass das Ufer nicht weiter wegbrechen kann. Man hat die Straße erhöht. Dadurch wird sie nicht mehr so leicht überflutet und dient als Schutz für den Slum."
Jede neue Flut hat verheerende Folgen
Was hier in der Millionenstadt Khulna erreicht wurde, ist nicht Standard in Bangladesch. In anderen Gebieten, so Hochwasserschutzexpertin Morsheda, hat jede neue Flut verheerende Folgen:
"Ohne Hochwasserschutz werden Pflanzen von der Flut ausgewaschen, Märkte und Wohngebiete überschwemmt. Die Leute verlieren ihre Lebensgrundlage. Deshalb entwickeln wir nachhaltigen Hochwasserschutz, der nicht durch eine Flut oder einen Wirbelsturm zerstört werden kann."
Dabei kommen die Initiativen in Bangladesch für viele Menschen zu spät. Sie haben an den Flüssen gewohnt, mussten dem Pflanzensterben und der Bodenversalzung durch das Eindringen von Meerwasser hilflos zusehen, um schließlich resigniert ihre verwüstete Heimat zu verlassen.
"Ja, wir haben Klimaflüchtlinge. Hochwasserschutz dauert lange. An den Küsten fliehen viele vor dem Wasser. Sie ziehen ins Zentrum des Landes und in die Slums der Großstädte. – Wenn wir es schaffen, ihnen Trinkwasser, Versorgung und Hygiene zu garantieren, verringert sich die Zahl der Klimaflüchtlinge."
Elma Morsheda weiß, dass ihr Land zwischen Himalaya und Golf von Bengalen wegen seiner flachen Geografie besonders vom Klimawandel betroffen ist. Die Flüsse führen immer mehr Wasser, die Böden senken sich, der Meeresspiegel steigt. Ein Meter mehr könnte Bangladesch 20 Prozent seiner Fläche kosten. Experten erwarten dann bis zu 20 Millionen Klimaflüchtlinge in den nächsten zehn Jahren.
Neue Dämme und erhöhte Straßen
Am Fluss Poirob halten der neue Damm und die höhere Straße die Menschen von einer Flucht ab. Auf dem Markt hinter dem Deich und im benachbarten Slum ist das Leben keineswegs leicht, biete aber wieder bescheidene Perspektiven, meint der 70-jährige Gemüsehändler Abdul Manan:
"Bevor sie die Straße und den Damm gebaut haben, saßen wir hier regelmäßig im Schlamm. Jetzt ist es trocken und wir können verkaufen. Das ist eine große Hilfe."
Nicht nur in der Millionenstadt Khulna, auch tief am Chitra River im Dschungel nahe der indischen Grenze ist Wasser das beherrschende Thema zu jeder Jahreszeit.
Abu Muhammad: "Hier an der Narikelbari-Brücke werden die Probleme Bangladeschs sehr deutlich. Ein Fluss, über den es bisher keine Verbindung gegeben hat mit Ausnahme eines schwankenden Stegs aus Bambuslatten, über den die Leute sich hinüber tasten von einer Seite des Ufers zur anderen. Wenn sie schwereres Gepäck haben oder Güter transportieren, dann steht ihnen ein kleiner Kahn zur Verfügung, mit dem sie übergesetzt werden müssen. Nun soll eine neue, feste Brücke aus Beton diesen Zustand verändern, damit die Leute von der einen Seite des Flusses auf die andere viel leichter kommen können - auch mit dem, was hier das Delta im Süden von Bangladesch hergibt an Früchten, an Lebensmitteln, an Obst und Gemüse – damit das von einer Seite des Flusses zur anderen gebracht werden kann und die Leute davon profitieren."
Eine Brücke macht Träume wahr
Während Abu Muhammad mit der Nüchternheit des Ingenieurs Technik und Vorteile der neuen Brücke über den Chitra River beschreibt, weckt die 90-Meter-Betontraverse in Schülerin Rumi spürbar Begeisterung. Die 15-Jährige sieht durch die neue Flussquerung plötzlich ihren Lebenstraum wahr werden:
"Ich wohne am Ufer drüben und möchte Ärztin werden. Ich muss jeden Tag über den Fluss, aber oft geht das nicht oder ich komme zu spät. Bei Regen wird alles nass - Kleider, Rucksack und Schulbücher. Dann muss ich wieder nach Hause. Die neue Brücke ist super. Sie verändert mein Leben und mein Berufswunsch erfüllt sich."
Nicht nur für die Schülerin werde sich das Leben durch die 90 Meter Beton über den Chitra River verändern ist Brückeningenieur Abu Muhammad überzeugt:
"Immer wieder wollten Leute nachts oder bei schlechtem Wetter über den Fluss. Oft gab es Tote, Kinder ertranken, Boote kenterten. Hatte jemand nachts einen Herzanfall, kam er nicht ins Krankenhaus drüben. Ihm drohte der Tod oder er musste auf Gott hoffen."
Die Menschen profitieren auf vielen Ebenen
Auch auf dem Narikelbari-Markt gleich hinter der Brücke spüren sie die Vorteile des intensiven und sicheren Hin und Her am Chitra. Händlerin Mukti Shikdar hat gerade ihren schmucken Stand eröffnet, sie verkauft Schuhe und Tücher:
"Früher hätte ich so einen Stand nicht haben können. Jetzt kommen viele Leute – ich hoffe auf gute Geschäfte. Außerdem kann ich meine Sachen auch am anderen Ufer verkaufen und ins Land fahren. Meine Familie bewundert mich, weil ich erfolgreich bin. Ich bin ein Vorbild. Alles wird besser."
Einen besseren Schutz vor dem Fluss bei Hochwasser verspricht nicht nur die Betonbrücke. Auch die Straßentrasse wurde um einen Meter erhöht. So kann der Verkehr den Überschwemmungen, Stürmen und Regengüssen widerstehen, der Handel florieren, Anwohner schneller zur Arbeit kommen und das Hospital und fünf Schulen sind besser erreichbar.
Auch zwischenmenschlich hätten die 80.000 Anwohner am Fluss profitiert, erfuhr Ingenieur Abu Mohammad:
"Dorfbewohner konnten früher ihre Töchter schwer verheiraten. Sie kannten ja kaum Männer von drüben. Jetzt gibt es viele Heiratsanträge, weil sie sich kennenlernen."
Am Chitra River mit der neuen Narikelbari-Brücke und in Khulna, der drittgrößten Stadt Bangladeschs, hoffen sie auf eine bessere, weil trockenere und sichere Zukunft. Doch sind viele extrem witterungsabhängige Regionen in Bangladesch knapp über dem Meeresspiegel noch längst nicht über den Berg. Lebender Beweis sind in Khulna jährlich 15.000 Zuwanderer aus ungeschützten Gebieten. Sie werden ihr Land verlassen, sollte der Wettlauf gegen den Klimawandel in Südasien verloren gehen – noch ist es nicht so weit, sagt Hochwasserschutzexpertin Elma Morsheda – noch:
"Wir registrieren vor allem Klimaflüchtlinge innerhalb des Landes. Nach Europa sind sie bis jetzt noch nicht unterwegs."