Höflichkeit in der amerikanischen Geschäftswelt

Den Chef duzen - und doch Respekt bekunden

Ein Sessel steht hinter einem Schreibtisch.
Chefsessel im Büro © imago/Horst Rudel
Von Wolfgang Stuflesser |
Schon in der Schule lernt man, dass es im Englischen für "Du" und "Sie" nur "You" gibt. Trotzdem hat auch die angelsächsische Welt sprachliche Mittel und Wege, die für mehr oder weniger Distanz und Förmlichkeit sorgen. Unser Korrespondent Wolfgang Stuflesser hat sich in seinem Freundeskreis umgehört.
Klar, die Anrede mit "Du" oder "Sie", die gibt es in amerikanischen Unternehmen erst mal nicht - das "you" gilt für alle, vom Assistenten bis zum Firmenchef. Trotzdem gibt es auch im Englischen Mittel für mehr oder weniger Formalität, erklärt mir mein amerikanischer Freund Mike Casey:
"Wenn sich ein Vorgesetzter oder Chef mit 'Hallo, ich bin Mr. Casey' vorstellt, dann will er in der Regel auch so angesprochen werden. Üblicher ist aber, dass jemand sagt: 'Ich bin Mike', und dann kannst auch Du Deinen Vornamen benutzen."
Vor- oder Nachnamen für mehr oder weniger Vertraulichkeit. Das ist mit dem deutschen "Du" und "Sie" aber nur bedingt vergleichbar. Googles Pressesprecherin zum Beispiel nennt mich ganz selbstverständlich "Wolfgang" und ich sie "Maggie" - obwohl wir uns natürlich im Zweifel gegenseitig eher kritisch auf Distanz halten.
Insgesamt scheint mir aber der Umgang in amerikanischen Unternehmen deutlich weniger förmlich als in Deutschland. Anne Casey, Mikes Frau, bestätigt das. Sie kennt als Amerikanerin mit deutschem Vater beide Kulturkreise.

"Sir" oder "Ma'am" nur noch in den Südstaaten

"Ich kann mich noch erinnern, als ich in Deutschland meine erste Stelle hatte, war ich noch an der Universität in Amerika, aber habe ein Vorstellungsgespräch gehabt in Deutschland. Und ich hab' sofort 'Du' gesagt, weil, ich kannte nichts anderes als 'Du'. Und im Nachhinein hab' ich erfahren, dass der Geschäftsführer sehr auf 'Sie' basiert war. Ich bin überrascht, dass ich überhaupt die Stelle bekommen habe."
Als neue Mitarbeiterin hat sie den deutschen Chef dann aber natürlich doch erst mal gesiezt. Auch in den USA gibt es neben Vor- und Nachnamen noch weitere Arten, Distanz oder Nähe, Freundschaft oder Respekt auszudrücken: Das am Satzende angehängte "Sir" oder "Ma'am" ist allerdings fast nur noch in den Südstaaten üblich. Mike Casey spricht den Vorstandsvorsitzenden der Finanzfirma, in der er arbeitet, zwar mit dem Vornamen an. Allerdings behandelt er ihn trotzdem mit mehr Respekt - Anrede hin oder her.
Seine Frau Anne findet, dass es auch fürs Betriebsklima Vorteile hat, wenn in einer Firma alle die Vornamen benutzen.
"Es ist angenehmer und einfacher, wenn jeder sich gleichmäßig anspricht. Man fühlt sich nicht als Außenstehender, wenn man die einzige ist, die nicht duzt oder nicht den Vornamen sagt. Also ich finde, als ich in Deutschland angefangen hatte zu arbeiten - ich war neu, und die Leute kannten mich nicht, und ich hab’ mich ein bisschen als Außenstehende gefühlt."